Donnerstag, Oktober 10


Modetrend

Cowboystiefel, Lederjacken mit Fransen und Präriekleider: Die Westernmode hat die Laufstege erobert. Auf den Trend umgesattelt haben auch Modelabels, die bis anhin wenig mit dem Stil am Hut hatten.

Während Modemarken wie Isabel Marant oder Ralph Lauren sich für ihre Kollektionen regelmässig im Westerngenre bedienen, sattelten in den vergangenen Monaten auch solche um, die bis anhin kaum oder gar keine Berührungspunkte mit dem Stil aus dem amerikanischen Westen hatten: Saint Laurent, Prada oder Khaite präsentieren Looks mit Lederjacken mit Fransen, Rodeo-Jeans, Präriekleidern und Cowboystiefeln.

Am meisten aufgefallen ist dabei die Herrenkollektion für Herbst/Winter 2024/25 von Louis Vuitton. Der Kreativchef Pharrell Williams brachte den Cowboy nach Paris. Nur dass der in Pharrells Westernepos in Trucker-Jacke mit blauen Nieten gekleidet war, im Blazer aus samtigem Kroko, in Schlaghosen im Achtziger-Jahre-Stil oder Blousons mit Louis Vuittons ikonischem Schachbrettmuster «Damier» zur Kuhfell-Optik aneinandergereiht. So geht Viehzüchter-Chic in der Luxusvariante.

Cowboy-Mode ist nichts Neues

Dabei entstand die Westernkleidung einst aus der Vermischung von funktioneller Kleidung, nach Texas hergebracht von Siedlern in den 1820er Jahren, mit jener der spanischen und mexikanischen Rancher, die geschmückter daherkam. Dieser neuartige Kleidungsstil beeindruckte Reisende im 19. Jahrhundert; unter ihnen befanden sich auch Schriftsteller. Sie verbreiteten die Legende des Cowboys als moderner Ritter für Amerika, der unabhängig und furchtlos ist. In der breiten Masse verankert wurde diese romantisierte Sicht auf das Eigenbrötlerleben in den 1950er Jahren auch durch die Popularität von Westernfilmen.

Seither zieht die Idee von Freiheit und Leichtigkeit, von endlosen Horizonten, die es zu erkunden gilt. Westernmode erfährt immer wiederkehrende Phasen der Begeisterung, sie ist zum amerikanischen Dresscode geworden. Madonna etwa verwandelte sich mit dem Musikvideo «Don’t Tell Me» 2000 quasi über Nacht zum Cowgirl und blieb dem Western-Outfit einige Alben lang treu.

Cowboystiefel wiederum wurden schon vor Jahrzehnten als Einstiegsaccessoire aus dem ländlichen Kontext gerissen. Auf den Strassen der Grossstädte werden sie rund um den Globus getragen; Marilyn Monroe, Prinzessin Diana, George W. Bush oder Taylor Swift zeigten sich in ihnen.

Es sind auch patriotische Symbole

Dass der typisch amerikanische Stil genau in dem Jahr, in dem die Präsidentschaftswahlen anstehen, wieder auf die Laufstege zurückgekehrt ist, ist kein Zufall. 2017 wurde er letztmals gefeiert – wenige Monate nach der Wahl von Donald Trump. Statt sich in Zeiten der inneren Zerrissenheit von patriotischen Symbolen zu verabschieden, würden die Leute gerade dann dazu greifen, erklärte die amerikanische Textilhistorikerin Deirdre Clemente von der University of Nevada damals im Interview mit der «Financial Times».

«Gerade jetzt, da so viele Amerikaner das Gefühl haben, dass die besten Werte ihres Landes in Gefahr sind, überrascht es mich überhaupt nicht, dass die Leute zu diesen Symbolen zurückkehren, um zu demonstrieren: ‹Das ist es, wer wir eigentlich sind›», so Clemente.

Direkte Zitate, geschweige denn Glorifizierungen waren das auf den Laufstegen damals jedoch selten – oft wurden die typisch amerikanischen Dresscodes neu interpretiert und als Kommunikationsmittel genutzt. Wie vom belgischen Modemacher Raf Simons, damals für Calvin Klein als Chefdesigner tätig. Für den amerikanischen Brand schickte er Models in Westernstiefeln und -hemden über den Laufsteg. Dazu experimentell kombinierte Looks mit Vinyl-Überzügen, transparenten Oberteilen, bunten Federn – zu David Bowies und Pat Methenys Song «This is Not America».

Die Pop-Kultur spielt eine grosse Rolle

Auf einen einzelnen Grund, wieso das Westernthema heute wieder gross in Mode ist, wollen sich Mode-Expertinnen und -Experten jedoch nicht einigen. Vielmehr seien es parallel laufende Faktoren gewesen, die ihren Höhepunkt fänden, schreibt etwa das Branchenportal «Business of Fashion». TV-Serien wie «The Last of Us» und «Yellowstone», welche das Ranger-Leben einem globalen Publikum zugänglich machten, spielten einen Einfluss, ebenso wie die wachsende Liebe zur Natur nach der Pandemie.

Ausserdem erfreue sich Country-Musik in den USA und darüber hinaus zunehmender Beliebtheit. Lil Nas X etwa hat 2019 nicht nur Country-Klänge in die Welt des Hip-Hops gebracht, sondern auch noch gleich den Cowboy-Archetyp neu definiert: Im Video des Country-Trap-Hits «Old Town Road» trägt der schwarze Rapper, der sich im selben Jahr als homosexuell outete, Cowboyhut und -jacke mit langen Fransen und Paillettenapplikationen und singt davon, dass er lieber auf einem Pferd reite, als einen Porsche zu fahren. Das war im Grunde ein Gegenentwurf zu allem, wofür der Cowboy bis dahin stand.

Der Song ging im damals noch jungen sozialen Netzwerk Tiktok durch die Decke: Jugendliche setzten sich Cowboyhüte auf und drehten zum Track von Lil Nas X kurze Videos. Junge Modelabels wie Telfar, das sich als unisex definiert, haben das in ihren Kollektionen aufgegriffen, den Stil ebenso dekonstruiert und mit einem Augenzwinkern neu zusammenfügt.

In der Pop-Kultur verewigt hat nun auch Beyoncé die Country-Vibes: 2024 überraschte die in Houston geborene Sängerin die Welt, als sie während eines Super-Bowl-Werbespots die Veröffentlichung eines neuen Albums ankündigte – eines Country-Albums! Daraus koppelte sie zwei Songs aus, «Texas Hold ’Em» und «16 Carriages», die nicht nur einen grossen Erfolg verbuchten, sondern auch neue Begeisterung für Country-Musik und die damit verbundene Kultur auslösten.

Beyoncé - TEXAS HOLD 'EM (Music Video)

Während nun immer mehr jüngere Künstlerinnen und Künstler alte Country-Songs neu interpretieren – wie die amerikanische Pop-Rock-Band Haim Shania Twains «That Don’t Impress Me Much» aus dem Jahr 1998 oder Lana Del Rey «Take Me Home, Country Roads» von John Denver –, wird der dazu passende Kleidungsstil von den Fans ebenso wie von den Modemarken aufgenommen. Cowboy-Boots haben die einen oder anderen bestimmt noch im Schrank.

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