Die Mainzer Fussballer verblüffen wieder einmal – in dieser Saison mit dem Trainer Bo Henriksen an der Seitenlinie, der aus Zürich geholt wurde. Der Weg könnte in die Champions League führen. Das Erfolgsrezept des Klubs tönt erstaunlich einfach.

Zweieinhalb Stunden nach dem Spiel ist der Sportvorstand des Bundesliga-Klubs Mainz 05 bei seinen Leuten. Der Sportvorstand, das ist Christian Heidel. Die Leute, das sind die Fans des FSV, sie feiern in der Gaststätte des Vereins am Stadion. Der Raum ist zum Bersten gefüllt, die Farben Rot und Weiss dominieren, Bierseligkeit liegt in der Luft.

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2:2 haben die Mainzer am Samstag gegen den SC Freiburg gespielt und damit in Unterzahl ein mehr als respektables Ergebnis erzielt, sie behaupten den dritten Rang in der Tabelle. Ihre Anhänger wittern zum 120. Vereinsjubiläum die Sensation: den Einzug in die Champions League.

Kult und Karneval

Es läuft blendend für Mainz 05, diesen Klub, dem das Prädikat «Kult» unabstreifbar anhaftet, dessen Verbindung zum heimischen Karneval prägend ist und dessen seit 16 Jahren ununterbrochene Erstliga-Zugehörigkeit für Staunen sorgt.

Christian Heidel war 2004 die treibende Kraft beim ersten Aufstieg mit dem Trainer Jürgen Klopp, Heidel prägte auch die Jahre mit dem Trainer Thomas Tuchel. Und Heidel leitete den Wiederaufschwung ein, nachdem er Ende 2020 von einem knapp dreijährigen Intermezzo beim FC Schalke 04 zurückgekehrt war.

Heidels besondere Fähigkeit: Er hat einen nahezu untrüglichen Blick für die Qualität von Trainern. «Das ist mein Hobby», sagt er dazu. Die wichtigste Eigenschaft dabei sei Intelligenz, alles andere könne man sich erarbeiten. Vor allem werde Erfahrung masslos überschätzt.

Das Erste, was er tue, wenn er auf einen Trainer mit gutem Erfolg aufmerksam werde: schauen, ob dort ein Investor eingestiegen sei. Falls nicht, ist Heidels Interesse endgültig geweckt. Mit dieser Methode ist er – und mit ihm der FSV Mainz – sehr gut gefahren. Jürgen Klopp wurde vom Spieler zum Cheftrainer befördert, Thomas Tuchel aus der Jugendabteilung, genauso Martin Schmidt, der Walliser, der sich ebenfalls einen hervorragenden Ruf erwarb. Keine starren Hierarchien, kein Setzen auf Namen.

Der Mann, dem Heidel jetzt vertraut, heisst Bo Henriksen und ist der Trainer, der in der letzten Saison aus dem FC Zürich ausschied. Wer ihn kennt, weiss: ein energetischer, geradezu fiebrig wirkender Coach, der keine Ruhe kennt, sobald er das Stadion betritt. Sein erster Gang, eine Stunde vor Anpfiff, ist der in die Fankurve. Als er es das erste Mal in Mainz getan hatte, war kaum jemand in der Kurve. Heute warten Tausende auf dieses Ritual des Trainers. Mainz «anzünden», den Klub und die Stadt begeistern: Das sei die Mission Henriksens gewesen, erzählt Heidel.

Henriksen hat Wort gehalten. Die Heimspiele sind ausverkauft, die Hütte vibriert. Kein Gedanke mehr an die Zeiten, als die freien Plätze im Stadion mit blossem Auge zu erkennen waren, wie noch vor einigen Jahren, bevor Heidel wieder in der Verantwortung stand. Das Aussergewöhnliche, das Mainz einmal ausgemacht hatte, war da verschwunden. Heidel sagt zu dieser Phase: «Unsere frühere Rolle hatte sich abgenutzt. Die Fans haben in jener Zeit den Bezug zum Verein, ihre Identifikation verloren. Wir haben daher komplett auf die Reset-Taste gedrückt.»

Erstmals zwei Nationalspieler

Die Massnahmen? Verstärkte Jugendarbeit, ein deutlich verändertes Kader, dazu Martin Schmidt als Sportdirektor, der den Klub in- und auswendig kannte und der von Fans wie Fachleuten geschätzt wird.

Die Korrektur von damals zeitigt Erfolge, aber schützt nicht vor Rückschlägen. Sonst wäre Bo Henriksen gar nicht von Zürich nach Mainz geholt worden. Denn als der Däne kam, war Mainz in einer nahezu aussichtslosen Situation. «95 Prozent», so Heidel, habe die Wahrscheinlichkeit eines Abstiegs betragen.

Die Lage verlangte nach einem besonderen Coach. Mit einem ähnlichen Trainer wie dem Vorgänger Jan Siewert, sagt Heidel, wäre die Mannschaft damals nicht vorangekommen, es musste ein produktiver Bruch herbeigeführt werden, sollte die Klasse gehalten werden. «Wir mussten einen positiv Verrückten herholen, der den ganzen Laden auf den Kopf stellt», sagt Heidel, «Bo ist in die Kabine gekommen und hat erst einmal alle lautstark wachgerüttelt.»

Die Effekte von Henriksens Arbeit zeigen sich auch darin, dass zwei Mainzer für die deutsche Nationalmannschaft nominiert worden sind. Christian Heidel schüttelt den Kopf, weil er dies kaum glauben kann. «Das hatten wir noch nie», sagt er. Bei den neuen Nationalspielern handelt sich um Nadiem Amiri (Mittelfeld) und Jonny Burkardt (Sturm); sie werden in der Nations League gegen Italien dabei sein.

Amiri, den der Bundestrainer Julian Nagelsmann noch aus seiner Zeit in Hoffenheim kennt, konnte sein Glück kaum fassen. Erst seit Anfang der Saison spielt er in Mainz, er kam aus Leverkusen vom Meister, wo er wenig Einsatzzeit erhalten hatte. Heidel rief ihn an und fragte, ob er «noch einmal etwas ganz Besonderes im Fussball» erleben möchte. Schon beim ersten Telefonat, sagt Heidel, habe er gemerkt, dass Amiri nicht abgeneigt sei. Ein Schritt zurück, um vorwärtszukommen: Auch das kann gelingen, hier in Mainz.

Der Klub lebt von seinen Talenten. Von Juniorenteams, aus denen häufiger als an vielen anderen Orten Spieler den Sprung in die Bundesliga-Mannschaft schaffen. Aber eben auch von seinen Experten bis hinunter in den Nachwuchsbereich.

Martin Schmidt weiss davon zu berichten, 15 Jahre verbrachte er in Mainz. Unkonventionelle Entscheide zu treffen, nicht auf die naheliegende Lösung zu setzen: Das hat in Mainz unter Heidel Tradition. Ungewöhnlich ist manchmal auch der Termin der Bekanntgabe eines Entscheids: der Rosenmontag. Dann steht die Stadt kopf. Dann sei der ideale Tag, sagt Schmidt. Denn dann wartet kein Journalist auf Nachrichten aus dem Klub.

In Krisen rückt man zusammen

Als Schmidt vor einigen Wochen Mainz in offizieller Funktion verlassen hatte, vergegenwärtigte er sich noch einmal, was er alles mit Mainz erlebt hat. Er dachte auch daran, dass nach wie vor viele Leute dort arbeiten, die schon da waren, als er 2010 nach Mainz kam: «Daraus ergibt sich Kontinuität. Und Zusammenhalt.»

Zusammenhalt: Den rühmt auch Christian Heidel am letzten Freitag in der Vereinskneipe beim Treffen mit der NZZ. In Krisen rückten die Mainzer näher zusammen, sagt er, es sei der gegenteilige Effekt, der bei manch anderem Klub zu beobachten sei. Jene drohen dann eben schlimmstenfalls zu zerfallen. Wobei die Krisen nicht zahlreich waren in den Jahren, in denen Heidel in Mainz arbeitet. Ist die gegenwärtige Situation gar eine Sensation?

Heidel zuckt mit den Schultern. Natürlich sei es ausserordentlich, was gerade passiere. Doch er stellt eine Gegenfrage: «Wie viele schlechte Halbsaisons hat Mainz 05 in den letzten Jahren gespielt?» Selbst ein passionierter Bundesliga-Statistiker hätte die Antwort nicht sofort parat gehabt. Heidel spreizt den Daumen nach oben: «Eine einzige.» Im Grunde, sagt Heidel, gehe es im Verein stets solide zur Sache.

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