Freitag, Oktober 18

Der Basler Modehändler stand für provozierende Werbung und rasantes Wachstum. Nach einer Krise ist die Firma nur noch halb so gross wie in den besten Zeiten. Gründer und CEO Beat Grüring will das Unternehmen auf diesem Niveau stabilisieren. Optimistisch stimmt ihn insbesondere die Entwicklung in Italien.

Es gab Jahre, in denen Beat Grüring über 100 neue Tally-Weijl-Läden eröffnen konnte. Doch in letzter Zeit musste der Gründer und CEO der Firma jeweils fast so viele schliessen. Statt 800 Filialen gibt es nun weltweit noch ungefähr 450. Davon sind ungefähr die Hälfte eigene Läden, die anderen werden als Franchisen von Dritten geführt.

Am Hauptsitz in Basel sitzen auch die Designerinnen, die Einkäufer oder etwa der Denim-Experte, der für die richtige Farbe, Bleichung und Musterung der Jeansstoffe zuständig ist. Hier habe sich die Belegschaft mehr als halbiert, sagt Grüring beim Gang durch die Räumlichkeiten, vorbei an Ständern mit Ware aus der neuen Kollektion. Statt knapp 300 arbeiten noch 120 Personen in dem Gebäude beim Bahnhof SBB. Einzelbüros gab es schon früher keine, auch für den Chef nicht.

Nach den Boom-Jahren als gefeierte Schweizer Mode-Erfolgsgeschichte und dem brutalen Abstieg muss sich das Unternehmen wieder neu finden.

«Das Ziel ist, die Firma auf einem tieferen Niveau zu stabilisieren», sagt Grüring. Er hatte das Unternehmen 1984 mit seiner damaligen Partnerin, Ravital «Tally» Weijl, gegründet. Während Letztere seit 2020 nicht mehr in der Firma tätig ist, amtet Grüring weiterhin als CEO.

Nachfahren des Media-Markt-Gründers übernehmen

Die Kontrolle über die Gesellschaft haben die beiden Gründer schrittweise abgegeben. Als Ladenschliessungen während der Corona-Pandemie die Firma in Not brachten, stieg die Familie Kellerhals 2020 bei Tally Weijl ein. Mit ihrem Vehikel Convergenta beteiligten sich die Nachfahren des Media-Markt-Gründers an der Modefirma. Im Zuge der Restrukturierung bauten die Deutschen ihren Anteil bereits 2022 auf eine Mehrheit aus und halten heute über zwei Drittel der Aktien, wie die «Handelszeitung» kürzlich bemerkt hatte.

Zeitweise war das Unternehmen in 14 Ländern mit Läden aktiv. Jetzt konzentriert man sich auf Deutschland, die Schweiz, Italien sowie Österreich, wo die Geschäfte ein Sanierungsverfahren durchlaufen haben. Ein paar Franchise-Geschäfte gibt es noch in Frankreich, Griechenland und Ungarn. Dazu kommen noch Grosshandelsaktivitäten in einzelnen Ländern im Mittleren Osten, in Peru, Chile oder der Ukraine.

In der Schweiz allein gab es einst rund 100 Tally-Weijl-Geschäfte, heute sind es noch 52. Gut möglich, dass sich das Filialnetz hierzulande noch um ein paar Läden reduziert, «aber mehr möchten wir eigentlich nicht verlieren», sagt Grüring.

In Deutschland, wo die Anzahl Läden ebenfalls drastisch reduziert wurde, setzt Tally Weijl auf sogenannte «Corner», bespielt also Ecken in den Geschäften von «Local Heros», wie Grüring sie nennt: lokal und regional tätige Modehäuser, die mit ein paar Filialen ein Einzugsgebiet abdecken und sich zum Teil erstaunlich gut halten.

Italien sorgt für Optimismus

Das Land, das dem Tally-Weijl-Chef jedoch am meisten Freude bereitet, ist Italien. Dort gibt es 183 Läden (davon 151 von Partnern) und 86 Corner. Eine Erklärung für den Erfolg ist die Altersstruktur der Kundinnen, die sich dort deutlich von derjenigen im übrigen Europa unterscheidet.

Grüring zeigt auf eine Auswertung der Kundenkarten in verschiedenen Ländern. Die wichtigste Alterskategorie ist überall 15 bis 20 Jahre, es folgen die 20- bis 25-Jährigen, danach flacht es ab. Nur in Italien kommen die Kundinnen aber Jahre später wieder zurück. Das Segment der über 40-Jährigen ist im südlichen Nachbarland insgesamt sogar wichtiger als dasjenige der 15- bis 25-Jährigen.

Die Hoffnung von Tally Weijl liegt darum auf den Frauen, die mit ihren Töchtern in den Laden kommen und dabei für sich selber etwas finden. Kann die Strategie, auf Mütter zu setzen, die auch einmal stärker körperbetonte Kleidung kaufen, aufgehen? «Ausserhalb von Italien denkt kaum eine Mutter daran, dass sie bei uns etwas finden könnte. Das wollen wir ändern», sagt Grüring.

Keine Tram-Werbung in Zürich

Doch das mit der Positionierung ist so eine Sache. Einerseits möchte Tally Weijl die Kundinnenbasis verbreitern, nicht zuletzt weil bei der Teenager-Mode der Preisdruck grösser ist. Andererseits bedauert Grüring, dass die Firma in den letzten Jahren das Profil aufgeweicht hat: «Der Slogan ‹Totally sexy› und die provozierende Werbung haben nicht allen gefallen, aber wir waren klar positioniert.» Tatsächlich sorgten die Kampagnen immer wieder für Kritik. In Zürich wurde zum Beispiel der Vorschlag für ein Tally-Weijl-Werbe-Tram als «unsittlich» abgelehnt.

Inwiefern die schwierige Phase der Firma mit der Ausrichtung zu tun hatte, lässt sich nicht nachweisen. Tatsache ist, dass sich das Umfeld im Detailhandel stark verändert hat.

Die «Inditex-Armada» kommt

Als Tally Weijl um die Jahrtausendwende die ersten Läden in Polen eröffnete, war die spanische Inditex-Gruppe dort noch nicht «mit ihrer ganzen Armada» (Zara, Bershka, Pull&Bear usw.) präsent, wie Grüring sagt. Unterdessen seien in vielen Ländern die globalen Konzerne oder die grossen Lokal-Player wie etwa die polnische LPP so dominant, dass sich Tally Weijl zurückgezogen habe.

Das Geschäft von Tally Weijl ist denn auch nicht erst mit durch die Corona-Pandemie bedingten Schliessungen ins Stocken geraten. Schon in den Jahren vorher habe man laut Grüring «optimiert und konsolidiert».

In den besten Zeiten so zwischen 2006 und 2010 betrug der Umsatz inklusive Franchisen zuweilen rund eine halbe Milliarde Euro, die Betriebsgewinnmarge 12 bis 13 Prozent. Heute erwirtschaftet die Firma noch einen etwa halb so grossen Umsatz. Bei der Frage nach dem Gewinn sagt Grüring nur: «Wir kämpfen uns durch.»

Zu spät ins Internet – oder doch nicht?

Ein grosser Teil des Bekleidungshandels ist ins Internet abgewandert. Ob Tally Weijl das mit einem früheren Einstieg ins Onlinegeschäft hätte verhindern können – der CEO ist nicht mehr so sicher. «Vor ein paar Jahren hätte ich gesagt, ja, wir kamen zu spät. Heute sage ich: Es ist extrem schwierig, gleichzeitig stationären und Onlinehandel gut zu machen und dabei Geld zu verdienen.» Mit den chinesischen Billigst-Händlern Shein und Temu hat die Konkurrenz nach dem Vormarsch von Zalando nochmals eine neue Dimension erhalten.

Es ist nicht ohne Ironie, dass die Firma Tally Weijl an ihre Grenzen stösst. Haben doch Grüring und seine damalige Partnerin die Strategie mit der Marke und den eigenen Läden entwickelt, weil sie ihr vorheriges Geschäftsmodell bedroht sahen.

Ursprünglich hatten die beiden nämlich mit ihrer Firma – zunächst hiess sie Parimod – als Grosshändler Modehäusern wie Spengler, Feldpausch oder auch kleinen Geschäften Kollektionen verkauft. Ravital Weijl hatte ein gutes Gespür für Trends, Grüring hatte in Paris in der Buchhaltung von Lieferanten Erfahrung gesammelt. «So konnten wir den Schweizer Händlern oft sehr kurzfristig noch das aktuelle Sortiment zuliefern», sagt Grüring.

Zwölf Kollektionen im Jahr

Doch als ihre Kundenbasis zunehmend wegbrach, versuchten die beiden Unternehmer es mit eigenen Läden und vergaben Franchisen für Tally-Weijl-Shops. Zu den Erfolgsfaktoren zählte die rasche Erneuerung des Sortiments: zwölf Kollektionen im Jahr – mit einer Vorlaufzeit von vier bis sechs Wochen.

Aber was vor 10, 15 Jahren funktioniert hat, reicht heute nicht mehr zwingend zum Überleben. Viele erfolgreiche ähnliche Formate sind bereits wieder verschwunden, wie etwa Orsay oder Yendi. Nun muss Tally Weijl zeigen, dass der neue Werbespruch nicht nur für die Kundinnen gilt, sondern auch auf die Firma zutrifft: Totally unstoppable.

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