Montag, Oktober 7


Tipps

Liegt es an der Frische der Muscheln oder am einzigartigen Ambiente im Restaurant direkt am Meer, dass die Pasta Vongole in den Ferien immer besser als zu Hause schmeckt? Nein, matchentscheidend ist etwas anderes.

Haben Sie sich schon einmal gewundert, warum Ihre Pasta con le Vongole nicht so schmeckt wie die in Ihren letzten Strandferien in Sizilien? Nein, es liegt weder an der Frische der Muscheltiere noch an den anderen vom Koch verwendeten Zutaten. Was nie ganz ausgeblendet werden kann, ist das «Wein trinken am Sonnenuntergangsstrand»-Symptom. Wir geniessen dort diesen einen Wein, möglicherweise noch mit der Liebsten, finden alles phantastisch, nehmen einige Flaschen heim, und zu Hause dann das böse Erwachen. Der Wein ist sauer und mau (die Liebste vielleicht auch gerade), und die Magie blieb am Strand zurück.

Obwohl diese Pasta für die allermeisten der kulinarische Inbegriff von Ferien am Meer ist, hat es wohl andere Ursachen, dass sie bei uns in der Küche weniger muschelig, weniger meerig schmeckt. Nachlassende Frische bei Schweizer Fischtheken? Kaum, denn der allergrösste Teil der in Italien für den Rest der Welt produzierten und verspeisten Vongole Veraci ist Zuchtware von der nördlichen Adria, aus der erweiterten Lagune von Venedig. Da ist ihre Reise in die Schweiz kürzer als jene nach Apulien oder Sizilien. Wild gefischte sind nur über mafiöse Kanäle erhältlich, der Handel damit ist strengstens verboten.

Nichts geht über die richtige Zubereitung

Da bleibt nur die Zubereitung als Game-Changer. Zuerst eine kurze Definition, was denn die perfekten Spaghetti Vongole ausmachen. Und Spaghetti(ni) müssen es sein, ob die sehr dünnen oder normale, spielt weniger eine Rolle. Es ist die dickflüssige Sauce mit ihrer dennoch geschmeidigen Konsistenz, welche die perfekt al dente gegarte Pasta unzertrennlich aufnehmen soll wie die Nonna das Bambina von ihrem Rockzipfel. Ein Sugo, der nur aus Muschelflüssigkeit, Olivenöl und Pastawasser besteht.

Dem Zucht-Prozedere ist auch zu verdanken, dass die Schalentiere vor dem Kochen nicht mehr gewässert werden müssen, um sie von allfälligen Sandkörnern zu befreien. Ein wichtiger Vorteil, denn dann bleibt das Meerwasser in der Muschel und trägt entscheidend zum Geschmack der Sauce bei, wenn das Tier es erst in der Pfanne entlässt als schon vorher beim Wässern. Das geschieht im Zuchtbetrieb, nach der Ernte, in grossen Becken mit (mehr oder weniger) klarem, gefiltertem Meerwasser.

Die Historie dieser ikonischen Zubereitung lässt sich nicht auf einen genauen Zeitpunkt festnageln. Die älteste überlieferte Erwähnung von 1830 stammt von Ippolito Cavalcanti, Herzog von Buonvicino (den hätte ich nur schon seines Namens wegen geheiratet!), aus seinem Kochbuch «Cucina Teorico-pratica». Wahrscheinlicher ist: Das Gericht gibt es, seit es Pasta gibt. Ist es doch Cucina povera schlechthin. Mehl und Wasser für die Pasta, die Muscheln umsonst aus dem Meer.

Das Grundrezept ist seit eh und je gleich

Das Grundrezept seit damals (ohne Tomaten, darum mit dem Zusatz «in bianco») hat sich nicht geändert, dazugekommen zum neapolitanischen Original (dort Spaghetto a vongole genannt) sind regionale Abwandlungen. In Sardinien wird Bottarga, getrockneter Thunfisch-Rogen, darübergeraspelt. In Kalabrien schärfen die Nonnas mit den dort allgegenwärtigen Peperoncini nach. In Ligurien werfen sie – anstatt Spaghetti – Linguine ins Kochwasser. Manchmal werden wenig Pelati oder Datterini-Tomaten zugegeben, dann erhält das Gericht den Zusatz «in rosso».

Seltener findet sich eine Version mit Arselle, manche sagen ihnen auch Telline. Winzige Muscheln, klein wie Böhnchen, man gräbt sie selbst am Strand aus. Oft noch aromatischer im Geschmack, aber eine Heidenarbeit, zum Sammeln und beim Auslösen. Die essenzielle Gemeinsamkeit aller Varianten ist das Fertiggaren der Pasta im Muschel-/Pastawasser-Sud. In keiner anderen Pasta-Sugo-Kombination der italienischen Küche ist dieser Vorgang dermassen entscheidend für das Endresultat. Und muss ich noch anmerken, dass mit bestem Olivenöl nicht gespart werden darf? Es verbindet sich mit der Stärke der Pasta zu dieser wunderbaren, aromatischen Cremigkeit. Fehlt sie, ist das Gericht schon beim Kaffee vergessen, mit ihr aber wird der Rückfahrstau am Gotthard zur Träumerei, so unvergesslich köstlich kann es sein.

Die Aromen des Meeres

Ein Teller Spaghetti, triefend von köstlichem Muschelsud, die Aromen des Meeres auf der Zunge, das schmeckt, egal, wo auf der Welt man sich gerade befindet. Der Legende nach kreierte der neapolitanische Bühnenschauspieler Eduardo De Filippo in seinem Heisshunger nach dem Gericht – als er keine frischen Muscheln zur Verfügung hatte – eine Version namens Spaghetti alle vongole fujute, was so viel heisst wie «geflüchtete Muscheln». Sein Rezept enthielt viel Prezzemolo, Knoblauch, rote Peperonciniflocken und ein paar kleine Tomaten. Keine Muscheln. In seiner eigenen Vorstellung bestand er darauf, dass er das Meer riechen und schmecken konnte, wenn er diese Zubereitung ass. Und genau darum geht es hier. Die Erinnerungen an den Sommer in Italien und an die Spaghetti Vongole kommen nicht nur von den Zutaten und ihren Umami-Aromen. Sondern auch von einem sehr lebendigen Funken Phantasie.

Die allerbesten Spaghetti Vongole bleiben den Unermüdlichen vorbehalten, die ausserhalb des Sommers das gelobte Land bereisen. Ab November, wenn die meisten Touristen weg sind, die Reproduktionszeit der Muscheln vorüber ist, das Wasser kälter wird. Dann sind sie am besten, fett und aromatisch. Man sitzt dann auf einer Terrasse über dem Wasser, trägt schon eine dieser modischen gesteppten Daunenjacken, aber sieht auf die Wellen hinaus, ein Glas kühler Weisswein in der Hand, eine erfrischende Brise im Gesicht und den Geschmack des Meeres in seinem Teller.

Hier ist das Rezept, das Sie auf der Stelle zurück an den Strand beamt:

Und eine Alternative, für jene, die Pizza mögen:

Richi Kägi ist Autor und Foodscout, schreibt Kochbücher und Kolumnen, am liebsten am Meer. Seine Rezepte veröffentlicht er auf homemade.ch und richardkaegi.ch, Instagram @richifoodscout.

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