Freitag, März 28

In den Vereinigten Arabischen Emiraten geniessen ausländische Kaderkräfte viele Annehmlichkeiten. Zur Arbeit geht es mit dem Chauffeur, am Flughafen sind die Wartezeiten kurz. Wenn nur die extreme Sommerhitze nicht wäre.

Isabel Afonso machte als Managerin während fast zweier Dekaden Karriere beim Medikamentenhersteller Novartis. Die meiste Zeit verbrachte die gebürtige Portugiesin in der Konzernzentrale in Basel. Sie schwärmt bis heute von der hohen Lebensqualität, die sie zusammen mit ihrer fünfköpfigen Familie in der Schweiz genoss. Besonders die Natur rund um ihren Wohnort in Binningen, wo sie nach wie vor ein Haus besitzt, tat es der Läuferin an.

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Neuer Arbeitgeber mit grossen Ambitionen

Seit eineinhalb Jahren arbeitet Afonso an einem Ort, wohin es die wenigsten Führungskräfte in der Pharmabranche verschlägt. Sie verliess Novartis, um im Oktober 2023 in Abu Dhabi, der Hauptstadt der Vereinigten Arabischen Emirate, die Geschäftsführung des lokalen Pharmakonzerns Arcera zu übernehmen. Das noch junge Unternehmen, zu dem auch der Schweizer Generikahersteller Acino gehört, soll nach dem Willen seiner finanzstarken staatlichen Eigentümer zum ersten Branchenschwergewicht aus der arabischen Welt aufsteigen.

Die Emirate stehen im Ruf, gesellschaftlich liberaler als Saudiarabien zu sein. Die Sitten im bevölkerungsreichsten Land der Golfregion sind trotz gewissen Lockerungen in den vergangenen Jahren noch immer streng. Doch auch in den Emiraten, die mit gut 10 Millionen Einwohnern lediglich einen Drittel der Bevölkerung Saudiarabiens zählen, gehen einheimische Frauen nicht ohne Kopfbedeckung aus dem Haus.

Afonso ist voll des Lobes über die Emirate. Sie spüre dort eine grosse wirtschaftliche und gesellschaftliche Dynamik sowie viel Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Ideen. Als Unternehmenschefin sei sie trotz ihrer ausländischen Herkunft von Anfang an akzeptiert worden. «Ich kann dort sein, wer ich bin, und werde dafür respektiert, was ich an langjähriger Branchen- und Führungserfahrung mitbringe.»

Eintauchen in einen fremden Kulturraum

Weltweit sind Afonso, die bei Novartis als Linienmanager auf unteren Führungsstufen arbeitete, nun über 6500 Mitarbeitende unterstellt. Ihr Team in Abu Dhabi ist stark durchmischt. Afonso arbeitet sowohl mit Einheimischen als auch mit vielen Beschäftigten aus anderen Ländern, insbesondere aus dem Nahen Osten und Nordafrika, zusammen.

Dies verlangt von ihr, sich mit Menschen aus einem ihr bisher weniger vertrauten Kulturraum auseinanderzusetzen. Doch sie finde den Austausch sehr bereichernd, sagt sie.

Zusammen mit einigen anderen Mitarbeitenden aus Europa hat Afonso begonnen, Arabisch zu lernen. Obschon in den Emiraten verbreitet Englisch gesprochen wird, empfindet sie dies nicht als unnötige Mühsal – im Gegenteil: «Die Lokalsprache wenigstens ein Stück weit zu beherrschen, ist ein Zeichen des Respekts, den Zugezogene Einheimischen entgegenbringen.»

Die Managerin ist mit ihren drei Kindern im Teenageralter nach Abu Dhabi gezogen. Ihr Mann, der noch immer für eine kleine Firma in Kaiseraugst tätig ist, blieb in der Schweiz zurück. Er besucht die Familie jedes zweite Wochenende. Wenn es seine Zeit erlaubt, bleibt er auch für eine ganze Woche und arbeitet dann vom Home-Office aus.

Die Kinder besuchen die britische Schule in Abu Dhabi. Weil die Chefin von Arcera oft unterwegs ist und abends kaum vor sieben nach Hause kommt, sind sie nach Unterrichtsschluss weitgehend auf sich allein gestellt. Sie erwarte von ihren Kindern viel Selbständigkeit, sagt Afonso.

Wenig betreut sind die beiden Töchter und der Sohn auch während Geschäftsreisen, die ihre Mutter ungefähr alle zwei Wochen unternimmt. Sie dauerten glücklicherweise meist nur wenige Tage, sagt Afonso. So könne sie in aller Regel die Wochenenden mit der Familie verbringen.

Auf Einkaufstour im Nahen Osten

Während ihrer Reisen besucht Afonso vor allem Tochterfirmen, die Arcera seit der Gründung ab 2021 übernommen hat. Ausser Acino und einem kleinen Medikamentenhersteller aus dem benachbarten Dubai erwarb der Konzern auch Pharmahersteller in Ägypten und der Türkei.

Weitere Akquisitionen sind geplant. So will das Unternehmen, das sich im Besitz einer der grössten staatlichen Beteiligungsgesellschaften in der Golfregion, der Holdingfirma ADQ, befindet, verstärkt auch in Industrieländern aktiv werden. Dabei soll die Firma, die zurzeit noch ausschliesslich Nachahmerprodukte anbietet, ihr Portfolio auch auf patentgeschützte Medikamente ausweiten.

Auto als Büro

Um von ihrer Wohnung zum Flughafen von Abu Dhabi zu gelangen, benötigt Afonso lediglich 10 bis 15 Minuten mit dem Auto. Sie schätzt am Drehkreuz der Hauptstadt der Emirate die hohe Zuverlässigkeit der abfliegenden und ankommenden Maschinen. «Dieser Flughafen funktioniert perfekt», sagt sie.

Für Autofahrten, wozu auch das tägliche Pendeln ins Büro zählt, steht ihr ein Chauffeur zur Verfügung. Dies sei eine der grossen Annehmlichkeiten für Führungskräfte in den Emiraten. «Chauffeure sind hier kein Luxus», sagt Afonso. Die rund halbstündige Fahrt zum Büro nutzt die Chefin von Arcera, um E-Mails zu beantworten oder erste Telefongespräche zu führen.

Das Haus verlässt Afonso jeweils gegen 8 Uhr. Ihr Tag beginnt aber schon viel früher. «Ich stehe um 4 Uhr 45 auf, meist ohne Wecker», sagt sie. Afonso ist eine überzeugte Frühaufsteherin. Während die Kinder noch schlafen, frühstückt sie und studiert die Nachrichten. Ohne News zu leben, wäre für die Managerin, die ein internationales Unternehmen mit Standbeinen in verschiedenen politisch wenig stabilen Ländern führt, unvorstellbar. «Ich muss wissen, was wo auf der Welt läuft.»

Tagebuchschreiberin

Danach nimmt sich Afonso bis zu eine halbe Stunde Zeit für Reflexionen beziehungsweise für Einträge in ihr Tagebuch. Dies mutet für eine vielbeschäftigte Konzernchefin ungewöhnlich an. Doch sammelt Afonso seit mehreren Jahren Gedanken zu Themen, die ihr im Beruf und im Privatleben wichtig sind. Mittlerweile habe sie schon über 300 Seiten mit Ausführungen unter anderem zu Fragen der Mitarbeiterführung oder der Selbstentwicklung zusammen. «Wer weiss, vielleicht veröffentliche ich einmal ein Buch dazu.»

Um 6 Uhr 30 schnürt Afonso ihre Laufschuhe und beginnt, meist innerhalb der Wohnsiedlung, ihre Runden zu drehen. Anders als an ihrem früheren Wohnort in Binningen gibt es in der Wüstenstadt Abu Dhabi kaum Bäume und schon gar keinen Wald. Afonso muss sich beim Joggen mit dem Anblick einiger Mangroven begnügen, die sich in Sichtweite der Wohnung befinden.

Im Sommer lässt sich nur drinnen trainieren

Draussen laufen lässt sich in den Emiraten selbst frühmorgens nur in den Wintermonaten. Um sich trotzdem vor der Arbeit sportlich betätigen zu können, sucht Afonso dann ein Fitnessstudio auf. An manchen Tagen trainiert sie auch mit einem Coach in der klimatisierten Wohnung.

Die extreme Hitze in den langen Sommermonaten bezeichnet Afonso als die grösste Herausforderung dabei, sich an das Leben in den Emiraten zu gewöhnen. «Man hält es zu dieser Jahreszeit keine Minute im Freien aus. So heiss ist es.» Für sie, fügt Afonso hinzu, sei dies besonders schwierig, weil sie sich als Läuferin so gerne an der frischen Luft bewege.

Der kommende Sommer wird erst der zweite sein, den Afonso mit ihrer Familie in den Emiraten verbringen wird. Sie wird versuchen, das Leben auch dann wieder so zu nehmen, wie es ist. Die Managerin sagt, sie sei eigentlich immer guter Laune. Man glaubt es ihr auf Anhieb.

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