Swytch Technology vergleicht die Umrüstung des Fahrrads auf Elektroantrieb mit dem Zusammenbau eines Ikea-Regals. Ein Selbstversuch, um herauszufinden, wie alltagstauglich Umbau und Fahrt sind.
Während die E-Auto-Nachfrage derzeit eine Baisse durchlebt, brummt der E-Bike-Absatz: Velos mit Elektromotor sind trotz einigen Branchen-Problemen en vogue und inzwischen überall unterwegs. Was die Frage aufwirft: Was geschieht mit den vielen normalen Velos, die jahrzehntelang klaglos ihren Dienst versahen und nun in Kellern, feuchten Gartenschuppen oder schattigen Garagen ein tristes Dasein fristen?
Der britische Ingenieur Oliver Montague hatte dazu eine clevere Geschäftsidee, die er sich patentieren liess. 2017 sammelte er in London gemeinsam mit seinem Kollegen Dmitro Khroma per Crowdfunding eine halbe Million Dollar, entwickelte einen ersten Prototyp und gründete jenes Unternehmen, dessen Name Programm ist: Swytch Technology verwandelt das in praktisch jedem Haushalt noch irgendwo herumstehende Velo in ein 25-km/h-Elektrofahrrad.
Der dazu erforderliche Umrüst-Bausatz Swytch Bike kam 2018 auf den Markt, passt praktisch auf jedes gängige Modell, kostet nur den Bruchteil eines neuen E-Bikes und soll auch von technisch weniger versierten Menschen montiert werden können. Der elegante Kit hat bereits mehrere Designpreise gewonnen; zudem ist er nur 2,4 Kilo schwer, dazu kompakt sowie erstaunlich günstig, schont also gleich mehrere Ressourcen.
Das klingt alles sehr attraktiv. Es sei hier allerdings erwähnt, dass es früher bereits andere E-Antrieb-Nachrüstungen gegeben hat, bevor sie wieder vom Markt verschwanden. Und auch heute noch existieren neben Swytch mehrere Konkurrenten, Pendix zum Beispiel. Deren Systeme sind allerdings aufwendiger, und sie kosten ein Vielfaches.
Für tiefe Preise lohnt sich das Warten
Interessenten müssen sich auf einer Warteliste eintragen, bevor sie eine Kaufeinladung erhalten. Die trifft derzeit nach etwa drei Monaten ein, womit der eigentliche Bestellvorgang beginnt. Das langwierige Prozedere ist etwas nervig, aber es lohnt sich: Für Auslieferungen im Juli beginnen die Preise bei 700 Euro, doch wer bereit ist, bis September zu warten, ist mit 500 Euro dabei. Für dieses Geld gibt es bei herkömmlichen E-Bike-Herstellern gerade einmal einen neuen Akku.
Swytch verfolgt eine strenge Tiefpreispolitik, die auch mit dem Vertriebssystem und einer schlanken Logistik begründet ist. Denn verkauft wird ausschliesslich online. Wer so schnell wie möglich umrüsten will, zahlt je nach Ausführung mit 1200 bis 1600 Euro den Höchstpreis inklusive Expresszuschlag. Swytch operiert Lager-abhängig und stockt seinen Bestand erst nach dem jeweiligen Bestelleingang auf.
Bereits 2019 überarbeitete Swytch seine Modelle und gab eine neue Linie heraus. 2022 kam die dritte Generation, mittlerweile sind bereits 70 000 Kits in mehr als 100 Ländern unterwegs. Die Kernmärkte sind Grossbritannien und die USA, doch die Marke möchte weiterwachsen und ein Händlernetz etablieren: 2023 hatte sie sich die schrittweise Eroberung des deutschsprachigen Markts vorgenommen.
Zwei Versionen für Starrrahmen- oder Klappvelo werden angeboten, wir haben uns im Test für erstere entschieden, um ein 20-jähriges, mit Anbauteilen und Gepäckträger 16 Kilo schweres City-Damenrad umzurüsten. Und lernten dabei gleich die Swytch-Anwender-Lektion Nummer 1: Das Empfänger-Velo darf zwar verstaubt, sollte aber technisch fit sein und nicht, wie in unserem Fall, auf den ersten Blick versteckte Mängel wie verharzte Bowdenzüge, harte Bremsgummis und Reifen oder ein verbogenes Kettenblatt aufweisen.
Die Instandsetzung dieses Basisfahrrads nahm mehrere Wochen in Anspruch, weil bestimmte Teile bestellt werden mussten und die Fachwerkstatt nicht sofort einen Termin anbieten konnte.
In dieser Wartungsschleife traf das Swytch-Paket mit dem gewünschten Universal-Kit ein – ein 66 × 66 Zentimeter grosser Karton, der immer folgende Komponenten enthält: das Vorderrad, bestehend aus dem in der Nabe integrierten 250-Watt-Motor sowie der bereits eingespeichten Felge, einem Kabelsatz inklusive Bedieneinheit plus Pedalsensor sowie dem Akku samt Lenker-Halterung (inzwischen gibt es auch Klemmen für den Rahmen oder die Sattelstange) sowie Ladegerät.
Damit alles passt, müssen Rad-, Naben- und Kurbel-Dimensionen vom Kunden vorab ausgemessen und entsprechend bestellt werden: Auf der ausschliesslich englischsprachigen Website wird man bei diesem Prozess begleitet, kann sogar die Felgenfarbe bestimmen und erlebt Lektion Nummer 2: Ein Mindestmass an technischem Verständnis sollte mitgebracht werden – und später auch handwerkliches Geschick, zum Beispiel bei der Montage des Reifens. Wenn der alte auf der ursprünglichen Felge noch gut ist, kann man ihn übernehmen.
In unserem Fall waren Pneus und Schläuche wie erwähnt so schlecht, dass wir vorne und hinten neue aufgezogen haben. Lektion Nummer 3: Zusätzliche Aufwendungen in Form von noch mehr Zeit und Geld werden vorausgesetzt.
Beim eigentlichen Um- bzw. Einbau unterstützt Swytch in Form einfacher Video-Tutorials, die sich per QR-Code abrufen lassen und, von wenigen Details abgesehen, inhaltlich logisch strukturiert sind. Etwas Mühe hatten wir bei der korrekten Positionierung des Pedalsensors, der die getretene Umdrehung erfasst und mit der Motorunterstützung koordiniert: Im Falle unseres Cube war es wegen der tief am Sattelrohr positionierten Umwerfer-Halterung recht eng – ein Umstand, der sicher auch bei anderen Velos auftritt und auf den im Vorfeld gar nicht hingewiesen worden war.
Mit etwas Fingerfertigkeit liess sich das Problem lösen, und unsere Sorge bezüglich der arg labil wirkenden, mit der Kurbel verbundenen Plastikscheibe erwies sich als unbegründet: Im Laufe des Langzeittests hat sie sich nie aus ihrer Position geschoben.
Kritik verdient allerdings die lückenhafte Vorab-Info zur Pedalkurbel-Fixierung, da es hier unterschiedliche Ausführungen gibt, was uns nicht klar war. Doch glücklicherweise hatte man die passende Variante mitgeschickt. Wem das alles zu viel ist, der wendet sich an die Werkstatt seines Vertrauens: Wir haben dort unsere eigene Arbeit zur Sicherheit nochmals kontrollieren lassen. Swytch selbst bietet dazu zahlreiche Videos und eine Hotline an, ausserdem gibt es ein Jahr Garantie.
Der Vorderradantrieb ist kein Nachteil
So weit, so gut, also Akkupack laden, einklinken, das System per Tastendruck aktivieren, Unterstützungsstufe wählen und los. Mal schauen, was im schwächsten Modus bei 50 Watt passiert – so gut wie gar nichts. Erst ab Stufe 2 setzt der ersehnte Vortrieb ein, läuft das Swytch-Cube locker und leise über die Ebene. Modus 3 arbeitet noch besser. Und in der höchsten Vorwahl Nummer 5 geht es mit 250 Watt richtig flott zur Sache, beschleunigt das Cube sogar auf über 28 km/h: Klarer Fall, das Velo hat sich nun in ein E-Bike verwandelt.
Wir hatten befürchtet, dass der Vorderradantrieb die Fahrdynamik stören könnte. Doch diese Situation trat nie ein. Auch Lenkeinflüsse, etwa beim ohnehin seltenen Beschleunigen in Kurven, sind so gut wie gar nicht spürbar und darum kaum der Rede wert, denn der Antritt ist eher von sanfter Natur: Es reisst den Fahrer nie nach vorne, wie es manche Bikes mit 700 oder mehr Watt tun, aber die Unterstützung ist stark genug, um mit wenig Muskelarbeit flott voranzukommen.
Bei den Reichweiten gibt Swytch 15 Kilometer mit dem kleinen (90 Wh, 700 g) und 30 Kilometer mit dem grossen Akku (180 Wh, 1,1 kg) an, und im vergleichsweise flachen England oder den Niederlanden sind das vertretbare Werte. Zwischen Schweizer Hügeln und Tälern aber geht dem Velofahrer entsprechend früher die Puste aus – konkret nach nicht einmal 15 Kilometern mit dem Max-Pack, und das bei hohen Temperaturen.
Lektion Nummer 4 lautet also: Das Swytch ist eher für Kurzstrecken gedacht, weniger für die Sonntagstour durchs Emmental. Es sei denn, man führt einen Zweitakku mit, der je nach Grösse zwischen 219 und 289 Euro extra kostet. Ein Vorteil der kompakten Kraftpakete ist, dass sie sich schnell wieder aufladen lassen – ein bis zwei Stunden genügen.
Wer sein Swytch individualisieren will, kann sich im Zubehörhandel ein LED- oder OLED-Display, einen Handgas- oder Powerboost-Schalter, ein Schnellladegerät sowie Bremssensoren zum Energiesparen dazubestellen.
Der Ladestatus wird sowohl am Display als auch dem Batteriepack selbst mit Leuchtdioden angezeigt, wenn auch mit teilweise voneinander abweichenden Angaben. Das liegt an unterschiedlich erfassten Parametern sowie dem Kraftfluss. Am verlässlichsten ist nach unserer Erfahrung die Batterieanzeige im Stand. Die Bauteile sind auch nach einem Jahr Testzeit in tadellosem Zustand, und Swytch betont, dass die Akkuzellen qualitativ ebenso hochwertig seien. Tatsächlich hat deren Spannung nach zahlreichen Ladezyklen nicht nachgelassen.
Für die Strasse geeignet – fürs Gelände nicht
Doch ist der Swytch-Bausatz ein vollwertiger E-Bike-Ersatz? Das kommt ganz auf den Einsatzzweck an. Für Gravel- oder gar Mountainbikes und gröberes Gelände ist der Kit eher ungeeignet, weil sein Aktionsradius beschränkt ist. Zudem bezweifeln wir, dass der Bausatz den Vibrationen im Gelände genügend widersteht, konkret bei Akkuhalterung und Pedalsensorscheibe. Auch die exponierte Kabelschleife an der Vorderachse ist im Gelände möglicherweise zu fragil.
Auf kürzeren Alltagswegen, etwa zum Arbeitsplatz oder Supermarkt, entlastet das Swytch-Upgrade dagegen spürbar die Muskeln und hebt so manches alte Velo, das sonst nie mehr benutzt worden wäre, in die Jetztzeit. Anspruchsvolle Kunden mit ausreichend Pedelec-Erfahrung mögen da die Nase rümpfen, doch viele vor allem ältere Velofahrer werden dankbar umsteigen. Ganz besonders dann, wenn ihnen die Kinder oder Enkel den Umbau abnehmen.
Auch als Zweit-E-Bike stellt das Swytch-Angebot eine ideale, weil preiswerte Ergänzung dar – ein wichtiger Punkt, weil viele nicht bereit sind, 5000 und mehr Franken für ein neues E-Bike zu bezahlen.
Abschliessend noch ein wesentlicher Aspekt: Ohne Motorunterstützung ist unser Cube wieder ein ganz normales Velo, denn der deaktivierte Nabenmotor bremst nicht. In einem solchen Fall kann man also, anders als mit einem E-Bike mit 25 und mehr Kilogramm Gewicht, ganz einfach weiterradeln.