Samstag, Oktober 5

In Deutschland sinkt die Zahl der Baugenehmigungen für neue Wohnungen Monat für Monat. Zugleich wird in den Metropolen Wohnraum immer knapper und die Mieten steigen drastisch. Daran wird auch ein neues Gesetz wenig ändern.

Sie lesen einen Auszug aus dem werktäglichen Newsletter «Der andere Blick», heute von René Höltschi, Wirtschaftskorrespondent der NZZ in Berlin. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Nicht in Deutschland wohnhaft? Hier profitieren.

Politische Erdbeben in Thüringen und Sachsen, Migrationsdebatten und die unsichere Weltlage haben sie in den Hintergrund gedrängt, doch gelöst ist sie noch lange nicht: Deutschlands Wohnungsbaukrise. 2023 wurden laut dem Statistischen Bundesamt ähnlich wie im Vorjahr nur rund 294 000 Wohnungen fertiggestellt. Damit bleibt der Bau weit unter den von der Ampelregierung einst angepeilten 400 000 Einheiten pro Jahr. In den Metropolen wächst die Nachfrage infolge von Zuwanderung und Verstädterung weiterhin stärker als das Angebot, was die Mieten immer weiter in die Höhe treibt.

Negativer Standortfaktor

Schlimmer noch, die Zahl der erteilten Baugenehmigungen sinkt sogar stetig. Im ersten Halbjahr 2024 wurden nur 106 700 Wohnungen genehmigt, 21 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum. Doch was heute nicht beantragt und genehmigt wird, wird morgen nicht gebaut. Das birgt nicht nur sozialen Sprengstoff, sondern wird auch zum negativen Standortfaktor für die Wirtschaft: Knappe Arbeitskräfte sind umso schwieriger in die Wachstumszentren zu locken, je seltener und teurer dort Wohnungen werden. Da hilft der Verweis auf Leerstände in peripheren Regionen wenig.

Die Ursachen der Krise liegen im steilen Anstieg der Baukosten und Zinsen, der Neubauten entweder für den Bauherrn unrentabel oder für viele Mieter unerschwinglich macht. Doch nicht nur Material, Energie und Löhne tragen zu den Baukosten bei, sondern auch der Staat mit überlangen Genehmigungsverfahren und ebenso detailverliebten wie überrissenen Standards. Ein berühmtes Beispiel sind die halbleeren Tiefgaragen für Sozialwohnungen.

Die Branche hat deshalb grosse Hoffnungen in die Novelle des Baugesetzbuches gesetzt, die die sozialdemokratische Bauministerin Klara Geywitz vor längerer Zeit versprochen hat. Es ist das wichtigste Gesetz für das Bauplanungsrecht. Doch der Entwurf, den die deutsche Regierung am Mittwoch beschlossen hat und der nun in den Bundestag geht, enttäuscht. Zwar enthält er Ansätze zur Entschlackung. So sollen Aufstockungen bestehender Gebäude und verdichtetes Bauen erleichtert werden. Während die Aufstellung von Bebauungsplänen bis jetzt häufig mehrere Jahre dauert, sollen die Gemeinden diese Pläne künftig «im Regelfall» innerhalb von zwölf Monaten nach Ende der Beteiligungsverfahren veröffentlichen.

Zu kurz gesprungen

Aber die Novelle geht längst nicht weit genug. Branchenvertreter kritisieren zum Beispiel, dass zwar bestimmte Bekanntmachungen künftig digital erfolgen sollen, aber noch immer nicht der gesamte Genehmigungsprozess «digital only» möglich sei. Für Enttäuschung sorgt auch der «Bauturbo». Gemeint ist ein Paragraf, der durch den Verzicht auf einen gesonderten Bebauungsplan den Wohnungsbau vereinfachen und beschleunigen soll. Vorbild ist eine einst für den Bau von Flüchtlingsunterkünften eingeführte Sonderregel. Das soll nun ausgeweitet werden, aber nur auf angespannte Wohnungsmärkte und befristet bis 2027 statt flächendeckend und unbefristet.

Zudem greift die Novelle auf Symptombekämpfung mit kontraproduktiven Nebenwirkungen zurück. So wird das kommunale Vorkaufsrecht beim Verkauf von Eigentumswohnungen gestärkt. Das ist ein weiterer Staatseingriff in einem Markt, der schon jetzt durch zu viele Eingriffe verzerrt wird.

Was zu tun wäre

Nötig wäre statt solcher Trippelschritte ein grosser Wurf, der einen Schulterschluss von Kommunen, Ländern und Bund erfordern würde. Kommunen müssten mehr Bauland ausweisen, Bund und Länder die Vorschriften und Verfahren weiter entschlacken und zudem vereinheitlichen: Dass Treppengeländer je nach Bundesland unterschiedlich hoch sein müssen, verteuert ohne jeden Mehrwert das Bauen und erschwert seine Industrialisierung. Zu überdenken wären auch Auswüchse des Mieterschutzes, die Bestandsmieter gegenüber Neuzuzügern und jungen Familien bevorteilen und Investoren abschrecken.

Von der heillos zerstrittenen Ampelkoalition ist eine solche Rosskur nicht mehr zu erwarten. Damit geht weitere wertvolle Zeit verloren, während Wohnungsmangel und Mieten weiter steigen werden. Und damit auch die Unzufriedenheit, die Menschen an politische Ränder treibt.

Sie können dem Berliner Wirtschaftskorrespondenten René Höltschi auf den Plattformen X und Linkedin folgen.

Exit mobile version