Donnerstag, November 28

Der Pictet-Teilhaber de Planta verlässt einen Top-Job der Finanzbranche. Der Genfer äussert sich zum CS-Schock, dem unbeholfenen Umgang mit den Russland-Sanktionen – und sicheren Banken.

Bei Pictet, der grössten Privatbank der Schweiz, endet im Juni die Ära von Renaud de Planta. Nach 26 Jahren verlässt der Senior Partner, als «Erster unter Gleichen», die Genfer Banquiers. De Planta hat die Entwicklung der Bank geprägt, indem er das Geschäft mit Profikunden wie Pensionskassen und anderen Banken aufgebaut hat.

Auch deshalb ist Pictet heute mit rund 700 Milliarden Franken an verwalteten Vermögen die Schweizer Nummer zwei nach der UBS. De Planta empfängt im Zürcher Leuenhof an der Bahnhofstrasse zum Gespräch, dem von der Stararchitektin Tilla Theus aufwendig erneuerten, repräsentativen Zürcher Sitz der Bank. Das Gebäude markiert den Anspruch von Pictet, weiterhin auch Anlaufstelle für die Reichsten der Reichen zu sein.

Herr de Planta, Sie sind erst 60 Jahre alt und verlassen nun den begehrtesten Job am Schweizer Finanzplatz. Weshalb?

Ich bin jetzt 37 Jahre in der Branche, 26 Jahre als Managing Partner von Pictet. Ich habe eine tolle Zeit hinter mir, aber wir sind im Dauerbrenner. Das Tagesgeschäft beansprucht enorm viel Energie und lässt nicht die nötige Zeit, sich mit anderen Aufgaben zu befassen. Ich freue mich darauf, mehr Zeit zum Nachdenken zu haben und für andere Lebensziele.

Sie treten bald in den Bankrat der Nationalbank ein. Was werden Sie daneben noch tun?

Ich werde im Verwaltungsrat der Pictet-Gruppe Einsitz nehmen, in der unternehmenseigenen Stiftung und weiterhin auch als Investor tätig sein. Dies vor allem in kleinen Firmen, auch im Randgebiet der Finanzindustrie. Zudem werde ich meine Meinung zu wirtschaftspolitischen Themen freier ausdrücken, als ich es heute kann.

Was hat Sie 1998 zu Pictet gebracht? Sie trugen bei der UBS früh Verantwortung und hätten auch dort Karriere machen können.

Ich hatte bei der UBS einen grossartigen Job, aber in einer börsenkotierten Firma ist man abhängig von Strukturen, die man nicht unter Kontrolle hat. Die Partner von Pictet boten mir an, ich könne das Asset Management inklusive Fondsgeschäft aufbauen. Ich war gewissermassen mein eigener Chef. Diese Freiheit hat mich gewaltig angezogen, ich habe es nie bereut.

Welche konkreten Probleme hätte Pictet als börsenkotiertes Unternehmen?

Ein externer CEO könnte über Nacht mit dem Fallschirm am Hauptsitz landen. Er übernimmt eine Gruppe, die er nicht kennt, in einem Finanzplatz, der ihm nicht vertraut ist. Wenn es schiefgeht, ist er nach zwei Jahren weg, aber die Konsequenzen treffen ihn kaum. Bei Pictet ist das anders. Wir können langfristig denken und handeln.

Macht das die Bankführung nicht risikoscheu?

Im Gegenteil. Wir schrieben etwa in Japan nach unserem Einstieg in den 1980er Jahren lange Verluste. Viele Mitbewerber verliessen das Land damals, wir entschieden uns zu bleiben. Ende der 1990er Jahre veränderte sich die Regulierung, und die lokalen Konkurrenten schwächelten. Die Japaner interessierten sich plötzlich sehr für ausländische Asset Manager. Heute gehören wir zu den Top 4 der ausländischen Fonds-Häuser in Japan.

Anders gefragt: Sollte man auch die UBS als Teilhabermodell führen?

Es gab amerikanische Grossbanken, die als Partnerschaft organisiert waren. Sie waren damals stabiler als heute. Doch der Kapitalbedarf der UBS übersteigt, was für eine Partnerschaft machbar ist. Schon bei uns dauerte es zwei Jahrhunderte, um das Eigenkapital aufzubauen. Aber die symmetrische Gewinn- und Verlustbeteiligung der Eigentümer in einer Partnerschaft trägt enorm zur Stabilität des Systems bei und ist für Kunden der beste Ansatz. Wir müssen keine Aktionäre mit kurzfristigen Gewinnen glücklich machen.

Können andere Banken diese Symmetrie nicht auch erzeugen, wenn sie einfachere und transparente Vergütungsmodelle wählen?

Jeder Schritt in diese Richtung ist zu begrüssen. Aber man wird nie dieselbe Interessenkongruenz erreichen. Man spricht jetzt von Clawbacks über 3 oder 5 Jahre, also über die Rückforderung der Vergütung von Managern, wenn es in der Bank nicht gut läuft. Nun ja. Probleme entwickeln sich über viele Jahre, bis sie zu einer Krise werden.

Clawbacks funktionieren also nicht?

Sie würden helfen, aber es wird nie dasselbe sein wie eine Partnerschaft. Ich lebe heute mit den Konsequenzen von Entscheidungen, die ich vor 26 Jahren mitgetragen habe. Das ist in einer börsenkotierten Gesellschaft kaum zu replizieren.

Pictet hat jedoch wie andere Genfer Banken die unbeschränkte Teilhaberhaftung abgeschafft.

Der Löwenanteil unserer Ersparnisse steckt immer noch im Kapital der Gruppe. Wenn da etwas schiefgeht, verliert man alles. Daran hat sich nichts geändert, ebenso wenig in der Kultur. Wir haben dank diesem Schritt nun eine klare Trennung zwischen Holding und operativen Gesellschaften. Vergleichen Sie das mit der komplizierten Struktur der ehemaligen CS; mit einem Stammhaus und einer Holding und Hunderten von Tochtergesellschaften, deren Rollen sich vermischten.

Sie stiessen 1998 zu einer Firma, die 1000 Mitarbeiter hatte und frankofon geprägt war. Heute ist sie sechsmal so gross und auf der ganzen Welt tätig. Ist Pictet ein anderes Unternehmen geworden?

Struktur und Geist der Partnerschaft blieben: Wir sind nie Gegenpartei des Kunden, wir vermitteln ihnen die besten Anlagen und Produkte, anstatt als Erstes unsere eigenen zu verkaufen. Zudem wachsen wir organisch statt über Zukäufe. Doch auch bei Pictet spricht man jetzt Englisch. Wir sind multikulturell und internationaler geworden, auch im Partnergremium: Elif Aktug ist türkischer Abstammung und in Frankreich, England und Amerika gross geworden. Raymond Sagayam ist indischer Abstammung und in Ostasien und London aufgewachsen, dennoch teilen beide unsere Grundsätze.

Pictet musste wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung für US-Kunden 123 Millionen Dollar Busse zahlen; letztlich zahlen Sie und die anderen Teilhaber diese Rechnung. Wie blicken Sie auf diese Zeit zurück?

Viele Schweizer Banken haben damals nicht realisiert, dass sie so viele oder überhaupt amerikanische Kunden hatten, wegen Doppelbürgern oder Kunden mit Green Card, die als US-Personen gelten. Wir haben schon früh 2007 eine Tochtergesellschaft für US-Kunden gegründet. Diese ist in den USA registriert und transparent gegenüber den amerikanischen Behörden. Vorher hatten wir nie ein US-Desk. Als das Steuerthema aufgekommen ist, haben wir sofort und sehr gründlich mit dem amerikanischen Justizministerium zusammengearbeitet.

Was bedeutete die Episode für die Schweizer Vermögensverwaltung?

In Bezug auf das Bankgeheimnis waren 2008 und 2009 eine Wendezeit. Der Schweizer Finanzplatz hat sich angepasst – entgegen vielen Vorhersagen. Die CS-Krise hat ihn kurzfristig geschwächt, aber längerfristig werden wir bestehen und als Finanzplatz noch stärker werden. Wir haben wenig Staatsverschuldung, stabile Institutionen und sind ein neutrales Land. Das hilft, wenn man sich vor Augen führt, was im Ausland abläuft und ablaufen wird.

Welche Entwicklungen im Ausland sprechen Sie konkret an?

Auf andere Finanzzentren dieser Welt kommen Turbulenzen aufgrund von geopolitischen Spannungen oder einer untragbaren Staatsverschuldung zu. Diese wird zu einem Abwertungswettlauf jener Währungen führen und wahrscheinlich zu einer Umstrukturierung von staatlichen Schulden. Die Schweiz wird dann noch mehr als Ort der Stabilität gelten als heute.

Von der CS-Krise konnten jedoch Finanzplätze wie Dubai oder Singapur stark profitieren. Was hat denn die Schweiz noch, was Singapur nicht bieten könnte?

Man kann die drei Finanzplätze nicht in denselben Topf werfen. Singapur ist stark und kurzfristig stärker geworden, relativ zur Schweiz, im Wesentlichen wegen eines Zuzugs von Kunden aus Hongkong. Das hat weniger mit der CS zu tun. Darum sind auch wir in Singapur sehr präsent, mit 300 unserer knapp 600 Mitarbeiter in Ostasien. Aber es können mehrere Finanzplätze parallel bestehen. Für Asiaten ist es einfach, Banking in Singapur zu betreiben, für Europäer weniger. Und dennoch haben wir heute mehr Interessenten denn je aus Ostasien für ein Konto in der Schweiz.

Sie waren im Nachgang zur CS-Krise Mitglied in der Expertengruppe Bankenstabilität. Wo sehen Sie den grössten Handlungsbedarf für Reformen?

In unserem Bericht brachten wir vier Themen auf: Die Finma und die Krisenkoordination auf Bundesebene stärken, die Eigenkapitalqualität verbessern und Notfall-Liquidität. Bei der Notfall-Liquidität ist noch nicht so viel passiert; die SNB hat ein Projekt. Bei der Eigenkapitalqualität ist jetzt die Debatte im Gang.

Pictet zeigt, dass man auch mit einer hohen Eigenkapitalquote profitabel arbeiten kann. Der UBS-Chef Sergio Ermotti warnt dagegen vor zu hohen Kapitalanforderungen.

Wir haben eine der höchsten Kapitalquoten in der Branche und nutzen dieses Argument auch gegenüber der Kundschaft. Auch darum kommen die Kunden zu uns. Doch eine grosse Universalbank mit kapitalintensivem Geschäft kann in ihren verschiedenen Sparten grundsätzlich nicht gleich profitabel arbeiten wie wir mit unserem Fokus auf Investment-Management. Für sie wäre es schwierig, eine zweistellige Rendite mit einer Kapitaldecke von 29 Prozent zu erwirtschaften.

UBS und Pictet lassen sich in Bezug auf die Kapitalunterlegung also nicht vergleichen?

Ja und nein. UBS ist eine Universalbank, wir sind eine spezialisierte Investmentgruppe. Vielleicht sehen wir es philosophisch auch etwas anders als die UBS. Kapital und Sicherheit sind für uns – auch wegen unserer Struktur als Partnerschaft – einfach zentrale Themen.

Sie haben gesagt, Schweizer Banken könnten sich mit ihrer Dienstleistungsqualität immer noch abheben. Wirklich? Viele Dienstleistungen sind austauschbar, die Margen sinken, gerade im Asset Management.

Das war schon vor 26 Jahren ein Thema. Die Margen wurden immer enger, und die guten Player haben sich angepasst. Auch wir haben unser Angebot angepasst, zum Beispiel mit aktiven ETF oder im Bereich der privaten Märkte, wo wir mittlerweile über 30 Milliarden Franken verwalten.

Banken wollen mehr Gewinn machen, gleichzeitig sicher sein. Das ist schwer auf einen Nenner zu bringen. Es kommt zu Unfällen wie bei Julius Bär mit der Vergabe von Krediten an das Benko-Konglomerat, bei dem die Bank Hunderte Millionen verlor.

Dieser Zwischenfall hat mit dem Ausbau eines Private-Market-Angebots nichts zu tun. Bei Pictet investieren wir für Kunden und tun dies mit Tiefe und breit diversifiziert. Wir machen keine konzentrierten Wetten auf eigene Rechnung.

Doch strukturierte Kredite können ein Kundenbedürfnis sein. Schicken Sie solche Kunden weg?

Ja, aber es gibt auch eine Selbstselektion. Kunden mit solchen Bedürfnissen kommen erst gar nicht zu uns, weil sie wissen, dass wir solche Dinge nicht machen. Sie können als Kunde nicht gleichzeitig sicher schlafen und erwarten, dass wir solche Kredite vergeben.

Der Schweizer Finanzplatz steht an einer Wegscheide. Die Neutralität wird infrage gestellt, jüngst mit den Russland-Sanktionen, die unter internationalem Druck übernommen wurden. Wie muss sich die Schweiz positionieren?

Die Welt braucht neutrale Länder. Die Schweiz kann zu Lösungen beitragen, das haben wir in der Geschichte immer wieder gezeigt. Sie muss neutral bleiben, aber auch die Realpolitik berücksichtigen. Es wäre zu wünschen, dass die Schweiz eine eigene Sanktionsexpertise aufbaut, damit man nicht alles buchstabengetreu aus dem Ausland übernimmt. Wir haben viel Know-how in der Schweiz, gerade im Wealth Management. Wir wären in der Lage, zweckmässige Sanktionen zu entwickeln und diese auch international vorzuschlagen.

Sie sagen: Wir hätten das Wissen, zweckmässige Sanktionen zu definieren, aber tun es nicht?

Ja. Das zuständige Team beim Staatssekretariat für Wirtschaft verdient eine gewisse Ausstattung in Sachen Quantität und Qualität ihrer Ressourcen. Mit einem starken Sanktionsteam hätte man auf Augenhöhe mit den ausländischen Sanktionsbehörden sprechen und unseren Standpunkt besser vertreten können. Dann hätte man nicht nur entgegengenommen und reagiert. Es ist nicht akzeptabel, dass man wie 2022 wochenlang unklare Regeln hat. Das ist ein nicht zu unterschätzendes Rechtsrisiko für die Banken.

Internationale Kunden haben die Schlingerpolitik der Schweiz betreffend Sanktionen registriert. Ist das jetzt überwunden?

Es gab die Sanktionen, dann kam die CS. Das sind Schocks. Es braucht Zeit, diese im Ausland zu verarbeiten. Die Schweiz muss bei jeder Gelegenheit zeigen, dass sie neutral und ein Rechtsstaat ist. Es spricht viel für die Schweiz. Wir dürfen selbstbewusst sein. Aber es gibt nichts Schlimmeres für Anleger als das Gefühl, der Ort ihrer Depotbank sei unsicher. Wahrnehmung und Tatsachen müssen übereinstimmen, und je weiter weg die Kunden vom Finanzplatz sind, desto grösser ist die Gefahr, dass sie überreagieren. Daher ist das Image so wichtig.

Exit mobile version