Freitag, Oktober 25

SpaceX hat bei einem erfolgreichen Testflug zum ersten Mal die untere Raketenstufe des Starship wieder aufgefangen. Der ETH-Professor Thomas Zurbuchen erklärt, was das grösste Raumschiff aller Zeiten für die Zukunft der Raumfahrt bedeutet.

Herr Zurbuchen, was haben Sie gedacht, als Sie gesehen haben, wie der Startturm die Starship-Rakete erfolgreich wieder aufgefangen hat?

Ich dachte, dass gerade Raumfahrtgeschichte geschrieben wird. Ich habe mir alle Starts des Starship angesehen, und das Wiederauffangen dieses Boosters war wirklich unglaublich. Das war ein riesiges Ziel, von dem ich nicht dachte, dass es jetzt schon erreicht werden würde.

Man hört oft, das Starship werde die Raumfahrt revolutionieren. Was macht es so bedeutsam?

In den neunziger Jahren kostete es noch 55 000 Dollar, ein Kilogramm Material in den Weltraum zu bringen. Man flog also nur in den Weltraum, wenn man musste. Das Starship soll komplett wiederverwendbar sein und in Serie produziert werden. Dadurch soll es enorm günstig werden. Die Kosten pro Kilogramm Material, das man in den Weltraum befördert, könnten auf 100 bis 200 Dollar sinken. Das verändert alles. Dann fliegt man in den Weltraum, wenn man will.

Wiederverwendbare Raketen gibt es auch jetzt schon. Was ist beim Starship anders?

Schon mit den Falcon-Raketen von SpaceX sind die Kosten für den Materialtransport ins All auf etwa 1500 Dollar pro Kilogramm gesunken. Bei den Falcon-Raketen wird aber die obere Raketenstufe jedes Mal weggeworfen, die soll beim Starship auch wiederverwendet werden. Ausserdem ist das Starship fast zehnmal so gross, man kann also mit einem Flug viel mehr Material transportieren. Aber vor allem wurde das Starship erfunden, um an Orte zu gelangen, die weiter weg sind. Wenn Musk über das Starship redet, spricht er im nächsten Satz über den Mars.

Zur Person

Thomas Zurbuchen, Leiter von ETH Zürich Space

Thomas Zurbuchen ist Professor für Weltraumwissenschaft und -technologie an der ETH Zürich und leitet die Initiative ETH Zürich Space. Der Schweizer Astrophysiker war von 2016 bis 2022 Wissenschaftsdirektor bei der Nasa. Zuvor war er als Professor für Weltraumforschung an der Universität von Michigan tätig.

Die Vision von Musk ist, mindestens tausend Starships zu bauen und genug Menschen und Material zum Mars zu schicken, um diesen zu besiedeln. Ist das realistisch?

Bisher hat jeder verloren, der in Weltraum-Dingen gegen Musk gewettet hat. Damit will ich nicht anfangen. Aber natürlich, realistisch ist anders. Musk hat ein wirklich ambitioniertes Ziel.

Aber Sie scheinen zu glauben, dass er es erreichen kann.

Als ich noch bei der Nasa war, habe ich oft mit Musk geredet. Es gibt eine Mission namens «Mars Sample Return». Da geht es darum, die Proben zurückzubringen, die der Perseverance-Rover auf dem Mars eingesammelt hat. Ich habe Musk gefragt: «Kann ich dir einfach die Koordinaten geben, und du holst die Proben ab?» Das wäre viel günstiger, als eine eigene Mission dafür zu starten.

Die Nasa will in den nächsten Jahren mit den Artemis-Missionen wieder Menschen auf den Mond bringen. Welchen Unterschied macht das Starship da?

Die Nasa hat vor zwei Jahren entschieden, bei den Artemis-Missionen auf das Starship zu setzen. Denn damit kann man erstmals grosse Massen auf den Mond bringen. Bei den Apollo-Missionen hat man gesehen, was man mit einem direkten Flug auf den Mond bringen kann: von der Grösse her ungefähr ein Auto oder einen kleinen Bus. Mit dem Starship kann man gleich ein kleines Parkhaus landen. Dann kann man zum Beispiel ein ganzes Forschungslabor hochbringen und auch deutlich mehr Astronautinnen und Astronauten.

Hilft das Starship auch, eine dauerhaft bewohnte Mondstation aufzubauen?

Genau. Die Mondbasis wird sicher nicht so gut angebunden sein wie ein abgelegenes Bergdorf, in das jeden Tag ein Bus fährt. Aber sie könnte so ähnlich aussehen wie heute Forschungsstationen in der Antarktis. Und die aufzubauen, ist natürlich viel leichter, wenn man ein grosses Transportflugzeug zur Verfügung hat, als mit einer kleinen Propellermaschine.

Gibt es überhaupt einen Markt für das Starship?

Im Moment ist der Markt nicht gross genug. Selbst wenn man alles, was ins All geschickt wird, mit dem Starship schicken würde, könnte man nicht jede Woche eine Rakete füllen. Aber wenn es günstig ist, kann sich ein neuer Markt bilden.

Wird sich mit dem Starship eine ganze Industrie im Weltraum entwickeln?

Zunächst wird es sicher einen Schub geben für die Industrien, die es jetzt schon im Weltraum gibt, zum Beispiel für die Kommunikation. Dafür sind ja schon jetzt sehr viele Satelliten, vor allem von Starlink, in der Erdumlaufbahn. Die ermöglichen es, Daten zu übertragen, ohne dass man auf Antennen am Boden angewiesen ist. Letzte Woche habe ich das selbst erlebt. Ich war in Florida, und es gab einen Sturm. Da wurde zum ersten mal Cell-to-Space-Telefonie freigeschaltet, mein Handy hat sich also direkt mit einem Satelliten verbunden. Mit dem Starship wird es ökonomisch machbar, noch viel mehr Satelliten hochzuschiessen. Damit steigt die Datenmenge, die man verschicken kann.

Wird man beginnen, Produkte im Weltall herzustellen?

Damit rechnen viele. Denn es gibt bei der Herstellung verschiedenster Produkte Probleme, bei denen es hilft, wenn man die Gravitation abstellen kann. Man könnte zum Beispiel Linsen als Ersatzteile fürs Auge herstellen, dafür gibt es schon Prototypen. Ausserdem kann man mit dem Starship nicht nur Material ins Weltall bringen, sondern auch zurück. Deswegen gibt es Firmen, die Rohstoffe auf dem Mond abbauen wollen. Zum Beispiel Helium-3, einen Stoff, der für den Bau von Quantencomputern wichtig ist.

Bisher musste man alles, was man ins All schickte, extrem auf eine geringe Grösse und Masse optimieren. Wird sich jetzt komplett verändern, wie man Raumfahrtmissionen plant?

Ja, man muss wirklich anders denken als zuvor, oder man darf anders denken. Ein gutes Beispiel ist das James-Webb-Teleskop. Das wurde unglaublich viel komplizierter dadurch, dass man es mit einer kleinen Rakete hochschicken musste. Das grosse Teleskop musste sich im Weltraum erst einmal entfalten. Hätte man eine grosse Rakete wie das Starship gehabt, um es ins All zu bringen, hätte man es viel einfacher bauen können.

Dann bringt das Starship also auch der Forschung etwas?

Ja, es gibt ganz andere Möglichkeiten für Teleskope im All, zum Beispiel, um nach Leben auf anderen Planeten zu suchen. Allerdings gibt es auch Probleme. Denn mit dem Starship werden wahrscheinlich immer mehr Satelliten in die Erdumlaufbahn gebracht. Und die können astronomische Beobachtungen von der Erde aus stören.

Wenn es so günstig wird, Material ins All zu schiessen, haben wir dann bald ein grosses Problem mit Schrott?

Schrott ist eine grosse Sorge. Mir machen vor allem solche Events Angst wie letzte Woche, als ein Satellit von Boeing explodiert ist. Die Trümmerteile fliegen dann herum, und wenn sie mit anderen Satelliten kollidieren, entstehen aus einem Schrottstück schnell zwanzig weitere. Aber es ist ein Problem, das man mit Technologie lösen kann. Starlink schickt seine Satelliten zum Beispiel in sehr niedrige Orbits. Wenn einer kaputtgeht, fällt er schnell herunter und verglüht in der Atmosphäre, statt lange als Schrott in der Umlaufbahn zu bleiben.

Werden unsere Enkelkinder vor lauter Satelliten überhaupt noch Sterne am Himmel sehen?

Schon heute ist es so, dass man am Nachthimmel viel Menschengemachtes sieht, das wird in der Zukunft auch so bleiben. Aber man versucht heute, Satelliten so zu bauen, dass sie weniger hell sind. Dann kann man sie mit dem blossen Auge und sogar mit einfachen Teleskopen gar nicht mehr sehen.

Welche Folgen hat es für die Umwelt, wenn jedes Jahr Hunderte Starship-Raketen starten?

Auf der einen Seite gibt es natürlich den CO2-Ausstoss der Raketen selbst. Allerdings macht der Raketenverkehr nur ein bis zwei Prozent der Emissionen des gesamten Flugverkehrs aus. Das zweite Problem entsteht, wenn Material aus dem Weltraum wieder in die Atmosphäre eindringt. Es ist zwar normal, dass Material aus dem All in der Atmosphäre verglüht, das passiert jeden Tag mit hundert Tonnen Staub und Meteoriten. Doch durch die Raumfahrt kommen jetzt erstmals auch viele seltene Metalle in die obere Atmosphäre, wie Aluminium. Welchen Einfluss die haben, ist eine wichtige Frage, die noch erforscht werden muss.

In welcher Rolle sehen Sie Europa und die Schweiz in dieser Zukunft der Raumfahrt?

Ich hoffe sehr, dass Europa es schafft, mit dieser Entwicklung mitzuhalten und nicht zurückzufallen. Ich glaube auch, dass die Schweiz bewiesen hat, dass sie schwierige Gespräche organisieren kann. Die brauchen wir auch jetzt, wenn es darum geht, über Ressourcen, Weltraumschrott und Nachhaltigkeit der Raumfahrt zu sprechen. Da könnte die Schweiz eine Vermittlerrolle spielen.

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