Donnerstag, April 24

Jorge Bergoglio war leidenschaftlicher Fan und Mitglied des argentinischen Fussballklubs Atlético San Lorenzo. Nun wird der verstorbene Papst in seiner Heimat zum Mythos – wie Diego Maradona und Evita Perón vor ihm.

Den ersten Doppelpass mit Diego Maradona im Himmel hat Papst Franziskus bereits gespielt, zumindest in den sozialen Netzwerken. Kein Kirchenoberhaupt hatte zu Lebzeiten eine grössere Nähe zum Fussball gepflegt als der Argentinier Jorge Bergoglio, dessen Liebe dem Klub Atlético San Lorenzo de Almagro aus dem Arbeiterviertel Boedo in Buenos Aires galt. Hier ist Franziskus allgegenwärtig, sein Bild schmückt Häuserwände und Schaufenster. Ein Foto zeigt ihn als Erzbischof der argentinischen Hauptstadt mit einem Trikot von San Lorenzo in der Hand.

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Zwei Meistertitel ohne eine einzige Niederlage

Dass Bergoglio nicht Fan von den Boca Juniors oder River Plate wurde wie der grösste Teil der argentinischen Fussballanhänger, ist der Geschichte des Klubs und der Heimatverbundenheit des Papstes geschuldet: San Lorenzo galt in den 1960er und 1970er Jahren als die beste Mannschaft Argentiniens, vielleicht sogar Südamerikas. Die damalige Mannschaft wurde «Los Matadores» genannt, weil sie die Meisterschaft 1968 ohne eine einzige Niederlage gewann und das Kunststück 1972 wiederholte. Als Schulkind erlebte Bergoglio, wie Atlético San Lorenzo mit einem anderen legendären Team die Meisterschaft 1946 dominierte – die Aufstellung des Teams lernte er auswendig.

Seit dem 12. März 2008 war Bergoglio das Vereinsmitglied mit der Nummer 88 235. Einige Fans leiteten daraus eine Verbindung zum Todestag ab, denn der Papst starb am Ostermontag im Alter von 88 Jahren um 2 Uhr 35 argentinischer Zeit. Der Hang zum Mystischen ist eine der unverwechselbaren Eigenschaften des argentinischen Fussballs. Weil Atlético San Lorenzo nach der Wahl von Franziskus eine der erfolgreichsten Epochen der Vereinsgeschichte erlebte, vermuten nicht wenige Anhänger des Klubs gar himmlische Einflussnahme: Neben der Meisterschaft ein Jahr zuvor sorgte 2014 insbesondere der erste Gewinn der Copa Libertadores, des südamerikanischen Pendants zur Champions League, für Euphorie in Boedo.

Genau dort, wo einst das alte Stadion «Viejo Gasometro» stand, soll nun eine neue, hochmoderne Arena mit 55 000 Plätzen entstehen. In das alte Stadion, dessen Grundstück dem Klub während der Militärdiktatur (1976–1983) entzogen wurde, war der junge Bergoglio als Zuschauer jeweils selbst hingegangen. Danach spielte der Klub im «Papstviertel» Flores, in dem Bergoglio aufwuchs. Das neue Stadion soll den Namen «Papa Francisco» tragen. Dem habe der verstorbene Heilige Vater noch zugestimmt, liess der Klubpräsident Marcelo Moretti in dieser Woche verkünden.

Dessen Glaubwürdigkeit ist allerdings ramponiert, weil in dieser Woche ein Video auftauchte. Es zeigt, wie Moretti mehrere tausend Dollar Schmiergeld angenommen haben soll, um einem Juniorenspieler einen Platz in der Nachwuchsmannschaft zu verschaffen. Nun harren die Menschen aus zweierlei Gründen auf dem Klubgelände aus: um ihre Trauer um das berühmteste Vereinsmitglied zu bekunden. Und um den Rücktritt des Präsidenten zu fordern. Der hat das Pech, dass sich ausgerechnet nun, als der Skandal publik wurde, die ganze Fussballwelt für San Lorenzo interessiert.

Wer ist der Grösste, Maradona oder Messi? Der Papst sagt: «Pelé»

Auch der argentinische Fussballverband (AFA) verabschiedete den Papst emotional. Mit einem Videoclip, der Ausschnitte aus Franziskus’ Leben und von dessen Verbindung zum Fussball zeigt. «Der letzte Captain der Kirche war Argentinier», heisst es in dem Video.

Die wohl kniffligste Glaubensfrage für jeden argentinischen Fussballfan hatte Franziskus einst salomonisch beantwortet. Auf die Frage, ob er Messi oder Maradona für den besten Fussballer der Geschichte halte, sagte der Papst: Pelé. Im brasilianischen Fernsehen ist die Szene seither Kult. Franziskus’ Aussage im gleichen Interview, dass der gottgleich verehrte Maradona ein grossartiger Fussballer gewesen sei, als Mensch indes Fehler gemacht habe, konnte sich wohl nur ein argentinischer Papst leisten.

Atlético San Lorenzo errang während des Pontifikats von Franziskus den grössten internationalen Erfolg. Und in dessen Amtszeit endete auch die jahrzehntelange Erfolglosigkeit des argentinischen Nationalteams. Zwischen 2021 und 2024 gelang der «Albiceleste» der historisch einzigartige Gewinn von gleich zwei Südamerika-Meisterschaften in Folge sowie des Weltmeistertitels. Den dramatischen Sieg im WM-Final 2022 nach dem Elfmeterschiessen gegen Frankreich sah Franziskus allerdings nicht im Fernsehen; bereits vor Jahren hatte er sich entschieden, keinen Blick mehr auf einen Bildschirm zu werfen. Um das Wesentliche nicht aus den Augen zu verlieren.

Das dürfte den Fans am Samstag allerdings kaum passieren: Dann spielt San Lorenzo im eigenen Stadion gegen Rosario Central in eigens für diese Partie angefertigten Sondertrikots zu Ehren ihres himmlischen Fans.

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