Der scheidende US-Präsident hat elf Gefangene aus dem Gefangenenlager auf Kuba nach Oman überstellen lassen. Ein weiterer Insasse könnte nach Afghanistan ausgeliefert werden – im Austausch gegen amerikanische Geiseln.
Wie schon sein Vorgänger Barack Obama wollte auch Joe Biden das umstrittene Gefangenenlager Guantánamo schliessen, scheiterte jedoch am politischen Widerstand der Befürworter. Nun liess er kurz vor dem Ende seiner Amtszeit 11 Insassen nach Oman ausfliegen. Damit befinden sich von den einst 700 Insassen noch 15 in Guantánamo.
Bei den Entlassenen handelt es sich um Männer aus Jemen, wie das amerikanische Verteidigungsministerium am Montag mitteilte. Sie waren mehr als 20 Jahre ohne Anklage inhaftiert. Laut dem Pentagon hatte Verteidigungsminister Lloyd Austin den Kongress schon im September 2023 über seine Einwilligung informiert, die Gefangenen nach einer strengen Überprüfung nach Oman zu überstellen.
Überstellung kurz vor Geständnis des 9/11-Drahtziehers
Bereits am 31. Dezember hatte das Pentagon mitgeteilt, dass ein anderer Gefangener, Ridah bin Salih al-Jasidi, in sein Heimatland Tunesien zurückgekehrt sei. Er war seit der Inbetriebnahme von Guantánamo im Jahr 2002 dort inhaftiert, ohne dass Anklage gegen ihn erhoben worden wäre.
Der Zeitpunkt der Oman-Aktion ist bemerkenswert. In wenigen Tagen soll sich nämlich der bekannteste Gefangene von Guantánamo, Khalid Sheikh Mohammed, schuldig bekennen, die Anschläge vom 11. September 2001 mit den fast 3000 Todesopfern geplant zu haben. Im Gegenzug wird – nach langem juristischem und politischem Hin und Her – sein drohendes Todesurteil in lebenslange Haft umgewandelt. Der Hintergrund dieser aussergerichtlichen Einigung ist, dass seine früheren Geständnisse vermutlich unter Folter erfolgt sind und vor Gericht nicht gültig wären.
Trump möchte die Zahl der Gefangenen wieder erhöhen
Das Gefangenenlager im amerikanischen Marinestützpunkt Guantánamo Bay auf der Insel Kuba war nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 unter Präsident George W. Bush errichtet worden, um mutmassliche islamistische Terroristen ohne Prozess festzuhalten. Menschenrechtsgruppen fordern seit langem die Schliessung. Die ist jedoch schwierig, weil der Kongress entschieden hat, dass die Häftlinge nicht auf das Festland der USA verlegt werden dürfen. Auch die Rückführung in bestimmte Länder wie Jemen, die als instabil gelten, ist nicht möglich. Das stabile Sultanat Oman, ein Nachbarland Jemens, hat schon Dutzende von Guantánamo-Insassen aufgenommen.
Donald Trump, der sein Amt am 20. Januar antreten wird, möchte das Lager nicht nur beibehalten, sondern wieder mehr Personen dort inhaftieren.
Verhandlungen über Gefangenenaustausch
Noch brisanter ist ein Plan, von dem das «Wall Street Journal» am Montag berichtete. Laut diesem verhandelt die Biden-Regierung seit Juli mit den Taliban über einen Gefangenenaustausch.
Offenbar schlug Washington vor, dass Afghanistan die drei amerikanischen Bürger George Glezmann, Ryan Corbett und Mahmoud Habibi im Austausch gegen Muhammad Rahim al-Afghani freilässt. Dieser galt laut Aussagen des Pentagons, die es zur Zeit von seiner Verhaftung machte, als ehemals hochrangiger Kaida-Mitarbeiter und Vertrauter von Usama bin Ladin; er befindet sich seit 2008 in Guantánamo. Er selbst bestritt die Vorwürfe stets und bezeichnete sich als Linguisten, der in Afghanistan als Dolmetscher gearbeitet habe.
Rahim habe nie als persönlicher Vermittler für bin Ladin gewirkt, die Vorwürfe seien völlig übertrieben, sagt James Connell, der ihn als Anwalt vertritt. Während der 17-jährigen Haft habe man keinen einzigen Beweis für die Vorwürfe erbringen können. Ein Untersuchungsbericht des amerikanischen Senats zu Foltervorwürfen hielt im Jahr 2014 fest, Rahim sei das Objekt von «erweiterten Verhörmethoden» durch die CIA gewesen. Dazu gehörte Schlafentzug, zum Beispiel im November 2007 während 139 Stunden.
Die Taliban baten die amerikanische Regierung schon während der ersten Amtszeit von Trump, Rahim freizulassen, und dann erneut im Jahr 2022 anlässlich der Freilassung eines Amerikaners, der sich in der Gewalt der Taliban befunden hatte. Die amerikanische Regierung betrachtete Rahim jedoch als Risiko für die nationale Sicherheit und verweigerte eine Freilassung. Im November 2023 erwähnte die Aufsichtsbehörde von Guantánamo erneut seine Arbeit für bin Ladin und andere hochrangige Kaida-Mitglieder sowie seine Mitwirkung bei Angriffen gegen die USA und ihre Verbündeten in Afghanistan als Begründung, um ihn in Gewahrsam zu behalten.
Biden im Dilemma
Die drei Amerikaner wurden laut Washington 2022 in Afghanistan festgenommen. Glezmann und Corbett werden vom amerikanischen Aussenministerium als «unrechtmässig inhaftiert» eingestuft, im Gegensatz zu Habibi. Glezmann, ein Techniker der Delta Air Lines, war in Afghanistan unterwegs, als ihn die Taliban im Dezember 2022 festnahmen. Corbett, ein Berater, hielt sich mit einem deutschen Kollegen rund 500 Kilometer nordwestlich von Kabul auf, als ihn die Taliban im Sommer zuvor gefangen nahmen. Beide sind laut ihren Familien gesundheitlich angeschlagen.
Habibi verschwand, nachdem die USA am 1. August 2022 den Kaida-Führer Aiman al-Zawahri in Kabul getötet hatten. Die Bundespolizei FBI sagt, man gehe davon aus, dass er von afghanischen Soldaten oder Sicherheitskräften festgenommen worden sei. Seine Familie ist jedoch überzeugt, dass ihn die Taliban gefangen halten.
Diese bestreiten jedoch, Habibi inhaftiert zu haben. Am 14. November machten sie einen Gegenvorschlag und forderten die Freilassung nicht nur von Rahim, sondern auch noch von zwei weiteren Gefangenen, im Austausch für Glezmann und Corbett.
Roger Carstens, der amerikanische Sonderbeauftragte für Geisel-Angelegenheiten, ist kürzlich offenbar nach Katar gereist, um mit Taliban-Vertretern über den Austausch zu verhandeln.
Laut dem «Wall Street Journal» hat Biden in dieser Angelegenheit noch keine Entscheidung getroffen. Dies habe Bidens Sicherheitsberater Jake Sullivan während einer geschlossenen Sitzung des Ausschusses für Aussenpolitik am 17. Dezember mitgeteilt. Der Vorsitzende des Ausschusses, der texanische Republikaner Michael McCaul, steht der Vereinbarung offenbar skeptisch gegenüber.
Die Möglichkeit des Austausches stellt für Biden ein Dilemma dar. Wiederholt hatte er erklärt, die Rückkehr gefangener Amerikaner stelle für ihn eine Priorität dar. Tatsächlich ermöglichte seine Regierung die Rückkehr von mehr als 70 im Ausland inhaftierten Bürgern in den letzten vier Jahren. Aber die Freilassung von Rahim und anderen afghanischen Gefangenen, die als Bedrohung für die nationale Sicherheit gelten, riefe zweifellos heftige Kritik hervor, insbesondere vor dem Hintergrund des chaotischen Abzugs der amerikanischen Truppen aus Afghanistan im Jahr 2021 und der anschliessenden Machtübernahme der Taliban.