Freitag, Oktober 11

Im Mailverkehr vieler Unternehmen hat sich ein fatales Grusswort etabliert: herzlich. Es stimmt fast nie – und passt doch in die heutige Zeit, wo alles empathisch und wertschätzend sein soll.

Die meisten Journalisten können bestens austeilen, sind aber hochempfindsame Seelen. Dies zeigt sich im schriftlichen Verkehr. Mag einer in den Sitzungen noch so ein Brüllaffe sein, schon Minuten später kann man von ihm eine Mail erhalten, die so endet: «Herzlich, Bernhard».

Dieses «Herzlich» ist eine Abschiedsfloskel, die die reale Beziehung zwischen dem Absender und dem Adressaten meistens in keiner Weise reflektiert. Selbst Kollegen, die sich hassen und den Tag mit Gedanken verbringen, wie sie dem anderen schaden können, schreiben sich «Herzliche Grüsse».

Das ist der branchenübliche Standard, und nur selten wird man sich dessen bewusst. Meistens erst dann, wenn die Lücke zwischen der Gefühlssprache und der erlebten Arbeitsbeziehung zu gross geworden ist – und der herzliche Gruss nur noch als Ausdruck von Zynismus gelesen werden kann.

Das Problem allerdings ist, dass man hinter diese Sprache fast nicht zurückkann. Wenn der Chef «Beste Grüsse» schreibt, muss der Angestellte annehmen, dass etwas nicht stimmt. Die Mail muss sorgfältig untersucht werden: Was hat die Unzufriedenheit des Vorgesetzten ausgelöst? Ebenso ein schlechtes Gefühl muss den Arbeitnehmer beschleichen, wenn die Mail mit den unverbindlichen «vielen Grüssen» endet. Vollends in Alarmstimmung muss er sein, wenn es nur «Gruss» heisst.

«Gruss» bedeutet in vielen Metiers schon fast «Arschloch» oder «Kündigung», auf alle Fälle nichts Gutes.

Gefangen im System

«Herzliche Grüsse» heisst zwar auch nicht, dass alles gut ist, aber es zeugt von normalen Beziehungen. Normal guten, normal schlechten. Obschon alle wissen, dass die herzlichen Grüsse nicht so gemeint sind, können sie doch in besonders unangenehmen Nachrichten beruhigend wirken. Über zwei Seiten wird man entlang von Bulletpoints mit Vorwürfen eingedeckt. Aber am Schluss heisst es: Herzlich. Es klingt versöhnlich, fast wie eine Umarmung. Obschon du alles falsch gemacht hast, bin ich dir doch (herzlich) zugetan.

Weil das so ist, schreiben alle weiter «herzlich». Man ist gemeinsam gefangen in diesem Herzlichkeitssystem. Sofern man nicht gerade seine Unzufriedenheit besonders zum Ausdruck bringen will, schreibt man «Herzlich». Alles andere löst emotionale Irritationen aus.

Empathisch kommunizieren

Über die Ursachen kann man nur spekulieren. Vielleicht soll das Wort kaschieren, dass viele Unternehmen atmosphärisch eigentlich gar nicht so kuschelig sind. «Herzlich» wäre dann der Puderzucker auf einem verbrannten Gugelhupf. Oder vielleicht ein guter Vorsatz. Sicher ist, dass das Wort in eine Unternehmenskommunikation passt, die besonders empathisch, inklusiv und konstruktiv sein will.

In E-Mails gilt das auch für die wiederkehrende Frage: «Wie geht es dir?» Oder noch besser: «Ich hoffe, es geht dir gut.» Letzteres ist noch rücksichtsvoller, denn der Adressat ist nicht genötigt, darauf zu antworten. Kann man sich eine Kritik nicht verkneifen, sollte man diese mindestens mit den Worten einführen: «Dies ist nicht als Kritik gemeint, aber . . .» Und immer sollte man sich wenigstens für eine Sache bedanken: einen Input, ein Feedback – damit zeigt man Wertschätzung. Und sich für eine andere Sache entschuldigen, damit lebt man Fehlerkultur. Wer sich damit schwertut, studiere die Mails aus der Human-Resources-Abteilung.

Manche Kollegen, man liest das hin und wieder, versuchen richtig und von Herzen herzlich zu sein. Sie schreiben: «Sehr herzlich» oder «Herzlichst». Aber eigentlich schaffen sie damit nur neue Probleme. Denn wenn man dasselbe zurückschreibt, fühlt es sich zu überschwänglich an. Antwortet man hingegen mit «Herzlich», klingt das höchstens wie «viele Grüsse». Und das ist wieder eine Beleidigung.

Wie wird man sich wohl in fünfzig Jahren im Job und per Mail verabschieden? «In Liebe»? Es ist zu befürchten, dass auch dies nicht mehr reicht.

Exit mobile version