Wider die Prognosen fast aller US-Medien war die Präsidentschaftswahl schnell entschieden. War das «Schwarm-Ignoranz» oder Ausdruck eines Wunschdenkens?
Die eigentliche Überraschung der US-Präsidentschaftswahl von vergangener Woche war nicht ihr Ausgang. Trumps Wahlsieg war aufgrund der Umfragewerte wahrscheinlicher als 2016 und 2020. Wirklich schockierend war, wie schnell er feststand. Schon bei den ersten Polls aus Virginia und Florida am frühen Abend zeichnete sich der Trend ab; lange vor Mitternacht wurde deutlich, dass Harris nur noch ein blaues Wunder retten könnte. Es traf nie ein.
Der kurze Verlauf der Wahlnacht stand im Widerspruch zu den Erwartungen. Kaum ein Medium war aus der Orthodoxie ausgeschert: Die Wahl, so lautete der Tenor der führenden Medien, würde extrem knapp. Bis zu ersten aussagekräftigen Ergebnissen würden Tage, wenn nicht Wochen vergehen. Im Vakuum der Ungewissheit drohe Gezeter um Wahlbetrug, politische Instabilität und Gewalt.
Wirklichkeit im schummrigen Licht
Pollster-Guru Nate Silver etwa analysierte 80 000 Modellsimulationen – und prophezeite Harris am Tag vor der Wahl eine um 0,0015 Prozent höhere Siegchance. Von Umfragen verleitet, unterlagen Medienschaffende einer kollektiven Wahrnehmungs- und Realitätsverzerrung. Man könnte von einem Geist der Schwarm-Ignoranz sprechen. Millionen von Fliegen, so der Irrglaube, können nicht irren. Oder steckte hinter den Prognosen das Kalkül von Aktivisten in den Medien?
Diese könnten das Szenario eines unsicheren Ausgangs geschürt haben, in dem jede Stimme zählt. Die Aussicht auf ein knappes Ergebnis, so das mögliche Kalkül dahinter, könnte die Wahlbeteiligung zugunsten eines der Kandidaten nach oben treiben. So etwas fällt in die Kategorie «Gaslighting» (nach dem Theaterstück «Gas Light» (1938) des englischen Autors Patrick Hamilton): Im schummrigen Schein der Gaslaterne kann man die Wirklichkeit verzerren und manipulieren.
Rückblickend war wohl tatsächlich «Gaslighting» im Spiel, das zeigen die Medienaktivitäten zugunsten der Harris/Walz-Kampagne. Während Monaten wurde der Öffentlichkeit eingetrichtert, Joe Biden sei so «scharf wie eine Reisszwecke», im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte – bis zur ersten TV-Debatte. Nach Bidens Rückzug hofften Journalisten auf Effekte und Wählergruppen, die Kamala Harris zum Sieg verhelfen sollten. Etwa auf junge Fans von Taylor Swift oder generell auf Frauen, die durch die Abtreibungsfrage mobilisiert würden. Zuletzt auf Latinos, die wegen der republikanischen Verunglimpfung Puerto Ricos als «schwimmende Müllinsel» für die Demokraten stimmen sollten.
Nichts davon trat ein. Der Ausgang der Wahl kam wider Erwarten schnell, das Verdikt war klar: Trumps Themen wie Wirtschaft, Inflation und Einwanderung waren Wählern wichtiger als das von Medien mit linker Schlagseite orchestrierte «Gaslighting». Damit versuchten sie das Manko der demokratischen Kandidatin an inhaltlicher Substanz zu kaschieren und ein spannendes Rennen mit knappem Ausgang zu suggerieren. Genutzt hat es nichts.
Sexismus und Misogynie
Auf Selbstkritik oder gar Fehlerkorrektur wartet man bei Pro-Harris-Medien bislang vergeblich. Im Gegenteil, das «Gaslighting» ging unmittelbar nach besiegelter Wahlniederlage weiter: Schuld daran seien Sexismus und Misogynie, erklärte etwa Dana Bash auf CNN. Andere wie Joe Scarborough und Joy Ann Reid von MSNBC gaben schwarzen Männern, Latinos und weissen Frauen die Schuld. Stephen Colbert verwies in seiner Late Show auf CBS auf eine amerikanische Mehrheit, der «die Demokratie egal» sei. Ähnliche Kommentare und Erklärungen waren auch in deutschsprachigen Medien zu lesen.
Ob es eine intelligente Medienstrategie ist, sich weiter wie demokratische Aktivisten zu gebärden, denen die Mehrheit der US-Bevölkerung gerade eine Abfuhr erteilt hat? Wie eine Gallup-Umfrage unlängst festgehalten hat, haben nur noch 31 Prozent der US-Amerikaner starkes Vertrauen in die Massenmedien.