Der Bund rät zum Verzehr von Gemüse und Früchten aus regionaler Produktion. Gleichzeitig jedoch entzieht die gleiche Behörde den Bauern die Mittel, um ihre Kulturpflanzen zu schützen.
Linsen, Kichererbsen und Bohnen statt Fleisch und Fisch und im Idealfall täglich fünf Portionen verschiedener Früchte und Gemüsesorten. So sollten wir uns laut der Lebensmittelpyramide ernähren, die das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) kürzlich nach elf Jahren überarbeitet hat. Je abwechslungsreicher und farbenfroher die Auswahl, desto besser sei das für die Gesundheit. Und: «Tun Sie der Umwelt etwas Gutes, indem Sie regional und saisonal einkaufen.»
Diese Empfehlungen tönen gut – und sind aus ökologischer und medizinischer Sicht sinnvoll. Allerdings würde man erwarten, dass der Bund dann auch dazu beiträgt, den Anbau von Gemüse, Getreide und Obst zu stärken.
Die Realität sieht anders aus: In den vergangenen Jahren ist die Inlandproduktion pflanzlicher Nahrungsmittel kontinuierlich gesunken, beim Gemüse ebenso wie bei den Früchten, den Ölsaaten und dem Brotgetreide. Der Bund unternimmt wenig, um diesen negativen Trend zu stoppen, im Gegenteil: Dasselbe Amt, das mit so viel Nachdruck die Ernährung mit pflanzlichen Lebensmitteln propagiert, verschleppt die Zulassung neuer, moderner Pflanzenschutzmittel. Das hat zur Folge, dass die Landwirte ihre Kulturen gegen Krankheiten und Schädlinge nicht mehr ausreichend schützen können.
Ende September 2024 stapelten sich beim BLV nicht weniger als 660 Gesuche, für neue Wirkstoffe, aber auch für bereits bewilligte Pflanzenschutzmittel, deren Anwendung ausgedehnt werden soll. In den letzten vier Jahren wurden wegen verschärfter Umweltanforderungen 71 Wirkstoffe zurückgezogen, was mehr als 270 Pflanzenschutzmitteln entspricht. Die Einführung von neuen, innovativen Alternativen jedoch blockieren die Behörden: Im gleichen Zeitraum wurde bloss eine Handvoll neuer Wirkstoffe zugelassen, darunter eher wenig wirksame Naturstoffe wie Magermilch.
Mehr Anbauflächen, weniger Zwiebeln
Die Folgen des Zulassungsstaus bekommen die Bauern schmerzhaft zu spüren: Ihre Erträge im Pflanzenbau sinken, die Qualität der Lebensmittel leidet, im Gegenzug nimmt der Import von pflanzlichen Lebensmitteln stetig zu. Eindrücklich illustrieren lässt sich dieser Negativtrend am Beispiel der Zwiebeln. Seit 2015 nehmen die Anbauflächen stetig zu, trotzdem stagniert die Menge an marktfähiger Ware. Besonders schlecht fiel die Ernte im letzten Jahr aus: Aufgrund der häufig nasskalten Witterung befielen Pilzkrankheiten die Zwiebeln, entsprechende Schutzmittel fehlten jedoch. Viele Bauern erwägen nun, den Anbau ganz aufzugeben.
Bei anderen Kulturen ist die Situation nicht besser. Auf ein schwarzes Jahr blicken die Kartoffelbauern zurück. Zwar konnten konventionell produzierende Landwirte den Schaden durch den intensiven Einsatz der wenigen noch zur Verfügung stehenden Pflanzenschutzmittel in Grenzen halten. An vielen Orten jedoch konnte die grassierende Krautfäule nicht unter Kontrolle gebracht werden. Bei den Bio-Kartoffeln betrugen die Ernteausfälle gar 50 Prozent und mehr.
«Weil wir auf immer weniger Pflanzenschutzmittel zurückgreifen können, sind wir häufig nicht mehr in der Lage, unsere Kulturen ausreichend zu schützen», sagt Matija Nuic, Direktor des Verbands der Schweizer Gemüseproduzenten. Es drohten bei den Schädlingen zudem Resistenzen, wenn die Bauern nicht mehr auf eine genügend breite Palette von Mitteln zugreifen könnten. Unter diesen Bedingungen werde es immer schwieriger, den Qualitätsanforderungen der Detailhändler gerecht zu werden.
Immer mehr Notfallzulassungen
Ein weiteres Indiz für die Krise im Pflanzenschutz: Da nicht mehr genug wirksame Mittel verfügbar sind, beantragen die Landwirte immer häufiger via Notfallzulassung, dass der Bund ihnen aus der Patsche hilft. 2016 gab es noch fünf solcher Anträge, im laufenden Jahr bereits 35. Kein zugelassenes Mittel gibt es etwa gegen Drahtwürmer in Kartoffeln, Blattläuse in Zuckerrüben, Stängelrüssler in Raps, weisse Fliegen in Rosenkohl oder die Kirschessigfliege bei Obst, Beeren und Reben.
Der Bund wertet den restriktiven Umgang mit Pestiziden trotzdem als Erfolg: «Dank den ergriffenen Massnahmen konnten die Risiken für die Umwelt reduziert werden», heisst es im Agrarbericht 2024. Bundesrat und Parlament hatten im Vorfeld der Abstimmung über die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative im Jahr 2021 beschlossen, dass die mit Pflanzenschutzmitteln verbundenen Risiken für Mensch und Umwelt bis 2027 halbiert werden müssen.
Die Schweiz befinde sich bei diesem Vorhaben – von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen – auf Kurs. Auch die Behörden räumen allerdings ein, dass der Schutz von Kulturen vor Schadorganismen nur noch teilweise gewährleistet ist. Es brauche dringend Alternativen zum Schutz der Kulturpflanze, heisst es im Bericht. Wie diese aussehen sollen, bleibt jedoch unerwähnt. Solange die Umweltbelastung auf dem Papier sinkt, wird offenbar in Kauf genommen, dass die Produktion leidet.
100 Lücken beim Schutz der Kulturen
Der Bauernverband befürchtet, dass die Landwirte den fehlenden Pflanzenschutz künftig noch stärker zu spüren bekommen. «Wir stehen erst am Anfang dieser Entwicklung», sagt David Brugger, Leiter Pflanzenbau beim Verband, «gemäss unseren Prognosen ist in den nächsten Jahren mit deutlich grösseren Ernteverlusten zu rechnen.» Er schätzt, dass die Bauern in den vergangenen fünf Jahren etwa ein Drittel der Pflanzenschutzmittel eingebüsst haben. Mittlerweile listet er gegen hundert Lücken beim Schutz von Kulturen auf – was auch der Bundesrat bestätigt hat. Bei vielen Kulturen gebe es zudem nur noch einen Wirkstoff. Setze man den immer wieder ein, verliere er seine Wirkung.
Darunter leidet nicht zuletzt auch die Vielfalt der angebauten Kulturen. «Da mangels Schutzmöglichkeiten Aufwand und Risiken stark zunehmen, geben die Landwirte anspruchsvolle Kulturen auf», sagt Brugger. Die Konsequenz davon sei, dass immer mehr Lebensmittel importiert werden müssten, die so produziert würden, wie man es hier eigentlich nicht wolle. «Der ökologische Fussabdruck wird damit einfach ins Ausland verlagert.»
Der Klimawandel verschärft das Problem: Aufgrund der veränderten Witterungsbedingungen breiten sich neue Schadorganismen wie der Japankäfer oder der Rübenrüsselkäfer aus, gegen die die wenigen noch bewilligten Mittel nicht mehr wirken.
Bundesrat will Zulassungen beschleunigen
Mittlerweile hat auch der Bundesrat das Problem erkannt. Bereits 2022 kritisierte der Mitte-Nationalrat Philipp Matthias Bregy in zwei Vorstössen , dass die Situation für die Landwirte und Produzenten «nicht länger haltbar sei». Letztes Jahr nun hat der Bundesrat einen Verordnungsentwurf präsentiert, der die Zulassungsverfahren für Pflanzenschutzmittel an jene der EU angleichen soll. Sind Wirkstoffe in der EU zugelassen, sollen sie hierzulande ebenfalls als genehmigt gelten. Zugleich soll die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln unter gewissen Voraussetzungen erleichtert werden: Hat ein EU-Mitgliedsland, das vergleichbar mit der Schweiz ist, ein Produkt für die Anwendung zugelassen, soll dieses auch in der Schweiz zugelassen werden. Die entsprechende Verordnung soll gemäss BLV demnächst in die zweite Ämterkonsultation geschickt werden.
Auch mit der Harmonisierung der Zulassungen mit der EU werden sich indes nicht alle Probleme beim Pflanzenschutz in Luft auflösen. Während die Branche darauf wartet, dass neue Mittel vom BLV bewilligt werden, folgt im kommenden Jahr bereits die nächste Streichungswelle. Nicht immer sind dafür erhöhte Risiken für Mensch und Umwelt der Grund. Häufig sind es auch die Herstellerfirmen, die aufgrund von mangelndem Interesse kein Erneuerungsgesuch mehr einreichen. Ohne Erneuerungsgesuch jedoch entfällt die Zulassung in der EU. Die Streichung von Wirkstoffen in der EU wird in der Schweiz dabei automatisch nachvollzogen.
«Wir befinden uns in einer Sackgasse», sagt der Bauernvertreter Brugger. Die Behörden hätten viel zu viel Energie ins Monitoring der Belastung der Böden und Gewässer gesteckt, es jedoch versäumt, gleichzeitig auch nach Alternativen beim Pflanzenschutz zu suchen. Besonders gut illustrieren lasse sich dies beim Bio-Landbau, wo es nach fast dreissig Jahren nicht gelungen sei, kupferbasierte Pflanzenschutzmittel zu ersetzen, die gegen Pilzkrankheiten eingesetzt würden. Mittlerweile würden diese Mittel mangels Alternativen auch von der konventionellen Landwirtschaft breit angewendet. Die Folge davon sei, dass sich die Böden mit Schwermetallen anreicherten.
Immerhin gibt es laut Brugger bei der Züchtung erste Erfolge. Neue, resistentere Gemüsesorten überleben auf den Äckern und Feldern auch ohne Pestizide. Allerdings sind auch diese nicht vor dem Befall durch Schadinsekten geschützt. Hinzu kommt, dass sie häufig auch den ästhetischen und geschmacklichen Anforderungen der Konsumenten nicht genügen. Viele von ihnen werden dann wohl erst recht dem Gemüse aus dem Ausland den Vorzug geben.