Am Mittwoch hat der Konzern an der Börse Microsoft und Apple hinter sich gelassen. Hinter dem Aufstieg steht der Gründer und CEO Jensen Huang. Wer ist der Mann, der schon früh auf die KI-Revolution gesetzt hat?

Jensen Huang hätte nicht nur Unternehmer, sondern auch Entertainer werden können. So scheint es jedenfalls, als er Anfang März auf der Bühne eines Eventzentrums in San Jose über die neusten Erfindungen seiner Firma spricht. Denn Huang, wie immer in einer schwarzen Lederjacke, witzelt rum: Ein Spässchen hier, ein selbstironischer Kommentar da, die 10 000 Zuschauer – Reporter, Analytiker und Firmenvertreter – johlen und klatschen. Huang scheint mit Humor zu nehmen, welch gigantischen Erfolg seine Firma zurzeit verzeichnet.

Er sei «der Mann der Stunde, des Jahres, vielleicht auch des Jahrzehnts», schrieb das Tech-Magazin «Wired» jüngst. Und tatsächlich profitiert seine Firma vom KI-Boom, wie sonst kaum eine andere. Nach einem schnellen Wachstum in den vergangenen Monaten hat der Börsenwert von Nvidia Anfang Juni die Grenze von 3 Billionen Dollar durchbrochen. Nvidia ist erst die dritte Firma weltweit, der dies gelang.

Wenn künstliche Intelligenz die Dampflok des 21. Jahrhunderts ist, dann liefern Nvidias Computerchips den Brennstoff für diese Dampflok. Denn das Trainieren von KI-Modellen verlangt Zehntausende hochspezialisierte Chips – sogenannte Grafikprozessoren –, die es möglich machen, mehrere Berechnungen zur gleichen Zeit auszuführen.

Fast alle dieser Chips stammen aus dem Haus Nvidia. Sie sind auf Monate hinaus ausverkauft, trotz Stückpreisen von 25 000 Dollar und mehr. Meta prahlte jüngst damit, dass man bis Ende Jahr über 340 000 Stück verfügen werde. Wie viele Nvidia-Chips eine Firma besitzt, ist eine Messeinheit für ihr KI-Vermögen geworden. Ohne die Chips gäbe es kein Chat-GPT, keine Sprachmodelle, keine KI-Revolution.

Dass Nvidia derart gut für den KI-Boom positioniert ist, ist Huang zu verdanken. Lange bevor Begriffe wie «generative KI» in aller Munde waren, bewies er verblüffenden Weitblick und setzte sein Lebenswerk auf die KI-Karte. Die Wette ging auf, auch für ihn persönlich: Bloomberg schätzt sein Vermögen auf 110 Milliarden Dollar. Es war eine riskante Strategie – und keineswegs das erste Mal, dass Huang einen gewagten Weg einschlug.

Als Teenager gemobbt

1963 in Taiwan geboren, zog Jen-hsun «Jensen» Huang als Fünfjähriger mit seinen Eltern nach Thailand. Als er neun war, schickten ihn die Eltern gemeinsam mit seinem älteren Bruder in die USA – zunächst zu einem Onkel im Gliedstaat Washington, dann auf ein Internat in Kentucky, das sich als Disziplinareinrichtung für verhaltensauffällige Jugendliche entpuppte.

Huang war das perfekte Mobbingopfer: ein schmächtiger asiatischer Junge mit langem Haar und starkem Akzent. «Damals gab es keinen Schultherapeuten, mit dem man hätte reden können. Man musste sich abhärten und einfach weitermachen», erzählte Huang dem «New Yorker».

Huang passte sich an: Er brachte seinem Zimmernachbarn das Lesen bei und der ihm das Bankdrücken. Um Geld zu verdienen, reinigte Huang die Toiletten der Schule. In Kentucky habe er gelernt, was Resilienz bedeute, sagt er rückblickend.

Huangs Eltern konnten ihren Söhnen schliesslich in die USA folgen, die Familie liess sich in Oregon nieder. Huang war ein herausragender Schüler: Er übersprang zwei Klassen, gehörte den Mathe-, Computer- und Naturwissenschaftenklubs an und spielte Tischtennis auf Landesebene. Mit 16 Jahren begann er sein Studium in Elektroingenieurwissenschaften an der staatlichen Universität Oregons.

Dort lernte er auch seine spätere Frau kennen, mit der er zwei Kinder bekam. Die beiden zogen ins Herz des Silicon Valley nach San Jose und arbeiteten als Designer für Mikrochips. Huang setzte kurz darauf ein Masterstudium in Stanford obendrauf.

Der erste Firmensitz war in einer Burgerbude

1993 gründete er mit zwei älteren Kollegen ein Startup für Mikrochips. Als inoffiziellen Firmensitz wählten sie eine lokale Filiale der Burgerbude Denny’s. Der Kaffee sei billig gewesen und es sei ruhiger gewesen als zu Hause, so erklärte Huang die Wahl. Ausserdem fühlte er sich der Fast-Food-Kette verbunden, weil er als Teenager in einer Filiale in Oregon gearbeitet hatte.

Eigentlich wollten die drei ihre Firma NVision nennen, doch einen ähnlichen Namen hatte sich ein Toilettenpapierhersteller bereits gesichert. Huang schlug Nvidia vor, in Anlehnung an das lateinische Wort für Neid – schliesslich wollte man die Konkurrenz vor Neid erblassen lassen. Der 30-jährige Huang sollte in die Rolle des CEO schlüpfen. «Er lernte schon immer sehr schnell», sagte sein Mitgründer Chris Malachowsky über ihn.

Huang mochte Videospiele und sah eine Marktnische für Nvidia, indem sie Chips für bessere Grafikdarstellungen für Gamer entwickeln würden. Die Firma schuf dafür eine neue Kategorie von Halbleitern, sogenannte Grafikprozessoren oder GPU.

Inoffizielles Firmenmotto: «30 Tage vom Konkurs entfernt»

Dabei fällten die Gründer allerdings gleich einen Fehlentscheid, der sie fast in den Konkurs getrieben hätte: Nvidia legte seine Grafikkarten darauf aus, dass Objekte in Computerspielen aus vielen kleinen Quadraten zusammengesetzt würden. Die meisten anderen Firmen verwendeten für die Darstellung aber schon damals das Dreieckformat. Das ist bis heute effizienter für die Berechnung der Farbe der einzelnen Pixel.

Huang und seine Kollegen waren überzeugt, dass es einfacher wäre, mit Quadraten zu arbeiten. Das erwies sich als strategischer Fehler, unter anderem, weil Microsoft kurz danach ankündigte, dass seine Grafiksoftware nur noch Dreiecke unterstützen werde.

Nvidia ruderte zurück, entliess die Hälfte seiner Belegschaft und brachte ein Produkt auf den Markt, von dem Huang nicht sicher war, ob es überhaupt funktionieren würde. Doch seine Wette ging auf. Seit jenen Jahren lautet das inoffizielle Firmenmotto: «Unsere Firma ist 30 Tage vom Bankrott entfernt.»

Auch für Deep Learning nützen GPU

Nvidias Grafikkarten wurden in den folgenden Jahren nicht nur bei Gamern immer beliebter, sondern auch bei Wissenschaftern eines neuen Forschungsbereichs: des Deep Learning, einer Unterform der künstlichen Intelligenz. Die Tatsache, dass Nvidias Grafikkarten Aufgaben parallel statt nacheinander ausführen, erwies sich als ideal für die Bedürfnisse der Deep-Learning-Spezialisten. Im Jahr 2012 trainierten Forscher ein Bilderkennungssystem namens Alexnet erstmals mit Nvidias GPUs. Die Ergebnisse waren verblüffend gut.

Auch Huang war begeistert. Er entschied, dass Nvidia sich den Bedürfnissen des Deep Learning anpassen müsse. «Am Freitagabend schickte er eine E-Mail raus und sagte: ‹Ab sofort verfolgen wir nur noch Deep Learning›, und dass wir nun keine Grafikfirma mehr seien», erzählte der langjährige Topmanager Greg Estes dem «New Yorker». «Am Montag waren wir eine KI-Firma.»

Im Jahr 2016 fuhr Huang persönlich nach San Francisco, im Gepäck einen 30 Kilogramm schweren Supercomputer. Fünf Jahre lang hatte Nvidia am sogenannten DGX-1 gebaut, der speziell auf die Bedürfnisse von Deep Learning zugeschnitten war. Huang fuhr zu einem damals unbekannten KI-Startup namens Open AI, dem er den ersten Prototyp schenken wollte. Bevor der damalige Chef von Open AI, Elon Musk, das Gerät entgegennahm, schrieb Huang auf den Deckel: «Auf die Zukunft des Computing und auf die Menschheit!»

Dies erwies sich als weiterer kluger Schachzug Huangs: Open AI blieb Nvidia in den nächsten Jahren treu. Als Ende Mai 2023 bekanntwurde, dass Chat-GPT auf Nvidia-Chips trainiert worden war, stieg Nvidias Börsenwert auf einen Schlag um 200 Milliarden Dollar.

Nvidias Firmenlogo ist auf seinen linken Oberarm tätowiert

Das macht Huang zu einem der erfolgreichsten Firmenchefs seiner Generation. Er ist auch einer der wenigen verbleibenden Gründer einer Big-Tech-Firma, die diese nach wie vor leiten. Doch Nvidias Aufstieg und sein persönlicher Wohlstand sind für den 61-Jährigen kein Grund, sich allmählich aus dem Geschäftsalltag herauszuziehen – im Gegenteil.

Bis heute berichten 50 Topmanager direkt an ihn. Er war und ist das Gesicht der Firma. Als der Aktienkurs vor einigen Jahren erstmals 100 Dollar erreichte, tätowierte er sich das Firmenlogo auf den linken Oberarm. Seine beiden Kinder arbeiten für den Konzern. Es scheint: Nvidia ist Jensen Huang, und Jensen Huang ist Nvidia.

Privat lebe Huang nach wie vor primär in San Jose, schreibt das «Wall Street Journal», eine Viertelstunde vom Firmensitz entfernt. Das Hauptquartier liegt an der Kreuzung mehrerer Hauptverkehrsadern und besteht aus zwei riesigen, hochmodernen Gebäuden. Die Aussenflächen bestehen aus verspiegelten Glasplatten in Dreiecksform, eine Anspielung an die Grafikprozessoren. Auch im Inneren entdeckt der Besucher schnell Dreiecksmuster im Boden und an den Decken, die Wände sind mit Holz vertäfelt und mit Sukkulenten bepflanzt.

Huang streift regelmässig durch die Gänge und überrascht Mitarbeiter an ihren Schreibtischen mit Fragen zu ihrer Arbeit. Was er nicht ausstehen könne, so hört man immer wieder, sei Gelaber. «Fake it till you make it» mag ein Leitspruch im Silicon Valley sein – Huang jedoch hasse Substanzlosigkeit. Er selbst könne sich jedes Thema übers Wochenende beibringen, sagte Nvidias Softwarechef Dwight Diercks einmal.

Doch Huang sei auch für seinen Humor bekannt, erzählt der Mitarbeiter Jack Dahlgren bei einer Führung durch das Gebäude. «Er testet seine Witze zunächst an uns, bevor er sie auf der grossen Bühne bringt.» Dahlgren arbeitet seit fast 13 Jahren für Nvidia. Auch Gespräche mit anderen Mitarbeitern zeigen verblüffend lange Zugehörigkeiten zum Konzern. Schon lange vor dem jetzigen KI-Boom belegte Nvidia Spitzenplätze in Umfragen zu den beliebtesten Arbeitgebern des Landes.

Ein Grund könnte sein, dass Huang eine positive Fehlerkultur aufgebaut hat: «Intellektuelle Ehrlichkeit» nannte er die Idee 2011 bei einem Vortrag vor Studenten seiner Alma Mater Stanford. Auch Versagen müsse geteilt werden.

Wie dies aussieht, zeigte sich Anfang der 2000er Jahre: Nvidia brachte eine fehlerhafte Grafikkarte auf den Markt – die Lüftung war viel zu laut, viele Kunden verärgert. Andere CEO hätten die verantwortlichen Manager dafür vermutlich entlassen, nicht so Huang: Er bat sie, die Entscheidungsprozesse, die zu dem Debakel geführt hatten, vor anderen Führungskräften zu erklären. Nach aussen bewies Nvidia eine Portion Selbstironie und produzierte ein Video, in dem es die Grafikkarte mit einem Haarföhn und einem Zahnbohrer verglich.

In seinem Geburtsland Taiwan wird Huang inzwischen wie ein Pop-Star gefeiert. Bei einem Besuch in Taipeh warteten jüngst Tausende Fans im strömenden Regen, um einen Blick auf ihn zu erhaschen. Eine Frau liess sich von ihm das Décolleté signieren, andere hielten Poster in die Höhe mit Huangs Konterfei und dem Aufdruck «Taiwan love you».

Doch auch wenn Nvidias Höhenflug an den Börsen kein Ende zu kennen scheint, muss es keineswegs so weitergehen. Der Konzern hat ein enormes Klumpenrisiko: Google, Amazon, Meta und Microsoft machen fast 40 Prozent von Nvidias Umsatz aus. Gleichzeitig investieren alle vier eifrig darin, selbst Computerchips herstellen zu können und unabhängig von Nvidia zu werden.

Auf der Bühne in San Jose spricht Huang lieber nicht über diese Risiken, sondern über die goldene Zukunft der KI: über KI-Fabriken, über humanoide Roboter, überhaupt: «Der Chat-GPT-Moment für Roboter ist um die Ecke», glaubt er. Es wirkt, als wolle Huang allen Zweiflern sagen: Auch nach 30 Jahren steht Nvidia erst am Anfang.

Exit mobile version