Fabriken benötigen enorme Wärmemengen. Bis anhin werden sie vor allem mit Öl und Gas erzeugt. Künftig sollen das Wärmepumpen übernehmen. Doch lässt sich, was am Haus funktioniert, ohne weiteres auf grosse Industrieanlagen übertragen?

Papierfabriken, Firmen für die Lebensmittelproduktion und Chemieunternehmen – sie alle benötigen enorme Wärmemengen. Etwa ein Fünftel des gesamten Energieverbrauchs der Schweiz entfällt auf die Industrie, die Hälfte davon auf die Prozesswärme. Noch wird sie oft mit Öl- und Gasbrennern erzeugt, doch die sollen ersetzt werden. Denn man will die Industrie so betreiben, dass sie möglichst kein CO2 mehr emittiert. Dekarbonisierung heisst das Wort der Stunde.

Dazu sollen Wärmepumpen dienen. Wie bei Wohngebäuden könnten sie die Lücke füllen, meint Uwe Riedel. Vor fünf Jahren hat der Physiker das Institut für CO2-arme Industrieprozesse im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) mitgegründet. Inzwischen forscht er mit gut fünfzig Mitarbeitern an mehreren Standorten an diesem Thema.

In einer etwas maroden Industriehalle im ostdeutschen Cottbus soll die Zukunft der Wärmeversorgung schon heute zu besichtigen sein. Einst errichtet in der DDR-Zeit für ein Textilkombinat, sind dem Zweckbau von aussen die Jahrzehnte anzusehen. Das Innere jedoch ist hergerichtet: Der Blick fällt auf frische Farbe, einen blanken Boden und mittendrin auf ein busgrosses Ungetüm aus Stahlträgern, Rohrleitungen, Elektromotoren und zig Kabeln.

Hier werden die Wärmepumpen erforscht, die künftig in der Industrie eingesetzt werden sollen: sogenannte Hochtemperatur-Wärmepumpen. Riedels Mitarbeiter bereiten die Testanlage gerade für die nächsten Versuche vor.

Bei einer Unwucht würde das Gerät bersten

«Während des Betriebs dürften wir hier gar nicht stehen», sagt Riedel. Rotierende Teile, etwa in der Turbine, drehen dann mit bis zu 100 000 Umdrehungen in der Minute. Sollte es eine Unwucht geben, kann das Gerät schlimmstenfalls bersten. Dann würden Einzelteile wie Geschosse umherfliegen. Darum müssen alle Personen in eine gesicherte Steuerzentrale und können nur durch eine Panzerglasscheibe auf die riesige Wärmepumpe schauen, während zahlreiche Druck-, Temperatur- und Schwingungssensoren deren Arbeit genau überwachen.

«Mit einer Wärmepumpe, wie man sie von Gebäuden kennt, hat diese hier nur wenig gemeinsam», sagt Riedel. Es ist nicht zu übersehen, dass sie viel grösser ist. Und das hat gute Gründe.

Industrieprozesse benötigen höhere Temperaturen als eine Heizung. Darum liefere die Wärmepumpe bis zu 250 Grad Celsius statt rund 70 Grad, erklärt der Forscher. Zweitens liefere sie rund 25-mal so viel Wärme wie eine konventionelle Anlage. Und das sei nur ein Zwischenschritt. Nachfolgende Anlagen sollen noch deutlich mehr schaffen.

Die Wärme soll der Verarbeitung oder Trocknung dienen

Lediglich das Grundprinzip ist ähnlich wie das von Wärmepumpen für ein Wohnhaus. Auf der einen Seite ist eine Wärmequelle, hier gewöhnliche Aussenluft. Auf der anderen Seite ist der Abnehmer. Das ist im Haus die Heizung, im Industriebetrieb eine Trocknungsanlage oder ein Verarbeitungsprozess.

In Cottbus wird die Wärme noch nicht genutzt, denn die Forschungsanlage arbeitet viel zu unregelmässig, als dass man sie in eine Produktion einbinden könnte. Stattdessen entweicht die heisse Luft durch einen Kamin wieder nach draussen.

Um die Temperatur auf das benötigte Niveau anzuheben, gibt es mehrere Möglichkeiten. Bei Wohnhäusern wird ein sogenanntes Kältemittel verdichtet und somit erwärmt. Meist handelt es sich um eine organische Verbindung. In der Heizung wird das Kältemittel wieder entspannt, es gibt Wärme ab und kommt erkaltet zurück zur Quelle, wo der Kreislauf erneut beginnt. «Diese Kältemittel sind aber nicht für so hohe Temperaturen geeignet, sie zersetzen sich», sagt Riedel. Zudem sind viele davon, sollten sie an Lecks austreten, schädlich für die Ozonschicht.

Die DLR-Forscher verwenden statt eines Kältemittels Luft, das ist billig und umweltfreundlich. Es ist trockene Luft, damit sie beim Abkühlen kein Eis bildet. Sie wird in einem geschlossenen Kreislauf geführt, bei dem der Wissenschafter Johannes Oehler jeden Rohrbogen und jeden Sensor kennt. «Die Verdichter kommen aus dem Motorsport», sagt er und zeigt auf zwei unscheinbare Gehäuse, die mit mächtigen Rohren verbunden sind.

Ziel ist eine Temperatur von 250 Grad Celsius

Die sogenannte Primärluft wird bis auf den fünffachen Atmosphärendruck zusammengedrückt und soll bis auf 250 Grad Celsius kommen. In den bisherigen Tests wurden immerhin 220 Grad geschafft. Die Hitze wird dann über einen Wärmetauscher – dick eingepackt in Isoliermaterial – auf die angesaugte Aussenluft übertragen. Dies ist der entscheidende Schritt, an dem die Industrie interessiert ist.

In der Industrie würde man die Wärme allerdings nicht auf kalte Aussenluft übertragen, sondern zum Beispiel auf einen Luftstrom aus einer Anlage zum Backen, der bereits 100 Grad heiss ist. «Je geringer der Temperaturunterschied ist, den die Anlage bewältigen muss, umso höher ist der Wirkungsgrad», sagt Oehler.

Die Primärluft strömt derweil ans andere Ende der Cottbuser Anlage. Dort steht eine Turbine, gekoppelt mit einem Generator. «Indem die Luft hindurchströmt, erzeugt sie auch etwas Strom», sagt Oehler. Etwa ein Drittel von dem, was die Verdichter am Anfang benötigen. Während der Turbinenpassage sinkt der Druck. Die Luft kühlt ab, weit unter null, und es geht zurück zum Startpunkt des Kreislaufs.

Normalerweise brauchte diese Anlage viel weniger Platz. «Wir haben sie extra gestreckt, damit wir besser an die Komponenten herankommen, bei Bedarf auch rasch etwas austauschen können», erklärt Oehler.

Ein Nachteil: Die grosszügige Bauweise erfordert viel Material. Die Anlage ist daher «thermisch träge»: Bis sich sämtliche Teile so weit erwärmt haben, dass alles im Gleichgewicht ist, braucht es etwa eine Stunde. Entsprechend lange dauern die Testzyklen der Forscher, in denen sie verschiedene Temperaturniveaus ansteuern, die Luftmengen variieren, abrupte Wechsel simulieren. Denn das wird in der Praxis auf sie zukommen.

«Zuverlässigkeit ist massgeblich, damit sich eine Technologie durchsetzt», sagt der Institutsleiter Riedel. Die Zuverlässigkeit sollen Industrieprojekte unter Beweis stellen – unter anderem in einer Papierfabrik, bei einem Hersteller für Bodenbeläge und einer Rösterei für Knabbernüsse. Dort sollen in zwei, drei Jahren Demonstrationsanlagen in Betrieb gehen.

Die EU gibt Fördergeld dazu. Ohne dieses hätten die neuartigen Hochtemperatur-Wärmepumpen noch keine Chance. «Die Anfangsinvestitionen sind deutlich höher, als wenn ich einen neuen Gasbrenner kaufe», sagt Riedel. Ob sich diese am Ende rechnen, hängt entscheidend von den Gas- beziehungsweise Strompreisen ab. Über Jahre hat billiges Erdgas den Umstieg vereitelt.

Das bestätigt Cordin Arpagaus von der Ostschweizer Fachhochschule in Buchs, der ebenfalls an Wärmepumpen für Industrieanwendungen forscht. Mehrere Hersteller könnten mittlerweile Anlagen liefern, die bis 150 Grad kämen, sagt er.

Die Effizienz hängt vom Temperaturhub ab

Allein auf das obere Temperaturlimit einer Technologie zu schauen, genüge aber nicht, um die Erfolgschance zu beurteilen. «Massgeblich ist die Effizienz, sprich: wie viel Strom ich aufwenden muss, um eine bestimmte Wärmemenge zu erzeugen», sagt Arpagaus. «Und die hängt eng mit dem Temperaturhub zusammen.» Also der Differenz zwischen dem Ein- und dem Ausgangswert der Temperatur. Je grösser die Differenz ist, umso mehr Strom braucht die Anlage. Bei einem Hub von 60 oder 70 Grad sei das mit Schweizer Strompreisen noch zu machen, sagt er.

In Deutschland, wo Strom teurer ist, lohne sich das nur für einen geringeren Hub. «In Schweden hingegen ist der Strom so billig, dass auch ein Hub von 100 Grad noch wirtschaftlich ist.» Je nach Anwendung könnte es daher günstiger sein, die Wärme unmittelbar mit einem Elektroheizstab zu erzeugen, so Arpagaus. Bei sehr hohen Temperaturen wiederum wäre wohl die Verbrennung von Wasserstoff besser geeignet.

Jedenfalls müssten die Anwender genau analysieren, welche Art Wärmepumpe sie benötigten, erläutert der Experte. «Je nachdem, ob die Wärmequelle aus Abluft, Rauchgas oder Wasser besteht und ob man heisse Luft, heisses Wasser oder Dampf erzeugen will, kommen unterschiedliche Technologien infrage.» Auch der Temperaturbereich, in dem gearbeitet werden solle, spiele eine Rolle. Eine Anlage ohne Verdampfer und Kondensator, wie sie im Cottbuser Institut betrieben wird, ist aus seiner Sicht variabler.

«Jedes einzelne Projekt ist beratungsintensiv und individuell», betont Arpagaus. Die reinen Hardwarekosten stiegen rasch auf das Doppelte, wenn man Planung und Montage zu einem vorhandenen Industrieprozess addiere. Unterm Strich stünden im Schnitt rund eine Million Franken pro Megawatt Leistung.

Die Anforderungen in der Industrie sind vielfältig

Diese Hürde sieht auch Riedel. Wärmepumpen für Gebäude sind inzwischen Massenartikel, nicht zuletzt deshalb, weil die Anforderungen der Häuser sehr ähnlich sind. «In der Industrie sind die Voraussetzungen sehr verschieden», sagt er. Man finde weltweit nicht einmal zwei Papierfabriken, die gleich seien. Platzangebot, Wärmebedarf und viele weitere Faktoren variieren deutlich. Vor allem bei älteren Anlagen, die nachgerüstet werden, haben die Ingenieure buchstäblich weniger Spielraum.

«Wir denken daher auch über die Modularisierung der Wärmepumpentechnik nach», sagt Riedel. Das bedeutet: Es gibt eine Auswahl geeigneter Verdichter, Turbinen und Wärmetauscher, die dann je nach Platz und Leistungsanforderung kombiniert werden. Die Herausforderung bestehe darin, die jeweils etwas verschiedenartigen Komponenten zu einer guten gemeinsamen Leistung zu bringen, erläutert der Forscher.

Zudem testen er und seine Mitarbeiter neben Luft weitere Kältemittel wie Wasser beziehungsweise Dampf sowie Kohlendioxid. Letztgenanntes verspricht beispielsweise eine höhere Energiedichte. Entscheidend bleibt am Ende jedoch, ob sich die Anlagen in der Praxis bewähren.

Bei den nächsten Industrieprojekten werden die Hochtemperatur-Wärmepumpen zunächst parallel zu vorhandenen Wärmequellen eingesetzt. Auf diese Weise gibt es bei technischen Problemen eine Reserve. Bis Wärmepumpen helfen, Industriebetriebe mit einem Temperaturbedarf von mehr als 150 Grad zu dekarbonisieren, wird also noch einige Zeit vergehen.

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