Die jüdisch-kanadische Künstlerin verkleidet sich bei einem Auftritt in der Neuen Nationalgalerie in Berlin als orthodoxer Jude – dabei scheint sie selbst kaum zu verstehen, wogegen sie eigentlich demonstriert.

Politischer Aktivismus hat manchmal etwas lächerlich Kompliziertes. Was soll es bedeuten, wenn die jüdisch-kanadische Künstlerin Candice Breitz in der Berliner Neuen Nationalgalerie bei einem Podiumsgespräch als Christoph Schlingensief auftritt, der sich als orthodoxer Jude verkleidet hat? Mit Schläfenlocke und Hut, eine Deutschlandfahne um den Hals?

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Breitz will an diesem Julitag des Jahres 2025 protestieren. Gegen kulturelle Aneignung. Gegen «Jewfacing». Gegen Schlingensief. Der anarchische Aktionist ist seit fünfzehn Jahren tot. Die erwähnte Aufmachung als Jude entstammt dem Videoprojekt «Deutschland versenken» des Jahres 1999. Das Video ist gerade in einer Ausstellung der Neuen Nationalgalerie zu sehen.

Nähe zur antisemitischen Boykottbewegung BDS

Dass die Meinungen von Candice Breitz im öffentlichen Dialog nicht vorkommen, kann man nicht behaupten. Die Künstlerin, die in Berlin lebt, hat bis vor kurzem an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig unterrichtet. Sie ist nicht selten zu Gast auf Podien, wenn über den Konflikt im Gazastreifen diskutiert wird. Dort vertritt sie eine scharf israelkritische Meinung, und es gibt eine gewisse Nähe zur antisemitischen Boykottbewegung BDS.

In Deutschland fühlt sich Breitz trotz ihren weit gestreuten Aktivitäten nicht wohl. Sie sieht finstere Zionisten und Israel-Bejubler und Meinungsverbieter am Werk. Mit «McCarthyistischem Eifer» würde hier gegen Künstler wie sie vorgegangen, sagt sie.

Zur Erinnerung: Die McCarthy-Ära war in den fünfziger Jahren eine traumatische Epoche verschwörungstheoretischer Verfolgung in den USA. Auf Betreiben des republikanischen Senators Joseph McCarthy wurden Millionen von Amerikanern verfolgt, weil sie angeblich kommunistischen Ideen anhingen. Nicht wenige verloren ihre Lebensgrundlage und landeten im Gefängnis.

Breitz bezeichnet sich als «Dissidentin»

Seit längerem kultiviert Candice Breitz eine Opferrolle, deren Begründungen, gelinde gesagt, flexibel sind. Es stimmt, dass das Saarbrückener Saarlandmuseum 2023 eine mit ihr geplante Ausstellung abgesagt hat, weil man der Meinung war, die Künstlerin habe den Terror der Hamas nicht deutlich genug verurteilt.

Andererseits gab im gleichen Jahr die Berliner Akademie der Künste eine Erklärung heraus, in der man sich gegen «jegliche Gesinnungsprüfung» von Künstlern und Künstlerinnen aussprach. «Das Wesen und die Freiheit der Kunst sind bedroht, wenn man sie zu instrumentalisieren versucht. Die Kunstfreiheit muss jederzeit über einer ursächlich geführten Debatte stehen», hiess es damals.

Wieder fühlte sich Candice Breitz als Opfer, weil ihr die Formulierung zu «vage» erschien. Sie liess ihre Mitgliedschaft in der Akademie ruhen und bezeichnete sich selbst als «Dissidentin».

Mehr als ein alter jüdischer Hut

Eine weitere Form der Dissidenz gab es Ende letzten Jahres. Damals war Breitz eingeladen, bei einer Berliner Podiumsdiskussion dabei zu sein, in der es um Künstlerschaft und Nahostkonflikt ging. Sie sagte ab, weil ihr das Meinungsspektrum der anderen Diskutanten nicht passte – zur Freude von «Strike Germany», einer Organisation, die Künstler auffordert, sich dem meinungsfeindlichen Deutschland gänzlich zu verweigern.

Mehr oder weniger direkter Anlass für die damalige Podiumsdiskussion waren die Debatten um die Fotografin Nan Goldin und ihre Ausstellung in der Neuen Nationalgalerie. Auch Goldin glaubt, dass es in Deutschland eine Art zionistischer Meinungsdiktatur gibt, und ist den BDS-Aktivitäten ähnlich zugetan wie ihre Kollegin. Propalästinensische Aktivisten waren bei Goldins Ausstellungseröffnung lautstark anwesend.

Christoph Schlingensiefs «Deutschland versenken» ist natürlich komplexer, als Candice Breitz denkt. Da setzt sich nicht einfach nur einer einen alten jüdischen Hut auf. Sich wie Breitz den Hut linker Dissidenz immer wieder neu aufzusetzen, ist allerdings auch nicht einfach.

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