Montag, Dezember 23

Sunglider und Ottobahn – zwei Hängebahn-Konzepte könnten die Mobilität im urbanen und suburbanen Raum auf das nächste Level heben. Doch es klemmt.

Liegt die Zukunft der urbanen und suburbanen öffentlichen Mobilität in der dritten Dimension? Es könnte sein, sogar ohne Flugtaxis. Das Prinzip ist seit 1929 in Wuppertal zu sehen: die Hängebahn, die seit 1930 Schwebebahn genannt wird. Zwei neue Projekte greifen diese Idee auf. Geht es nach den Machern der Ottobahn oder des Sungliders, dann bewegen wir uns dereinst in mehreren Metern Höhe von A nach B, sozusagen über die Mühen der Ebene null hinweg.

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Aber es wäre falsch, die Projekte als nostalgisch unterlegte Neubelebung der legendären, über dem Fluss Wupper verkehrenden Schwebebahn zu sehen. Sie versprechen schnelleres Vorankommen über kurze oder weitere Strecken, indem das lästige Warten auf eine Bahn durch KI-Optimierung (Sunglider) oder individuelle Anforderung (Ottobahn) ziemlich kurz ausfallen soll.

Tatsächlich verstehen sich beide Projekte als Option, die Mobilität effizienter, nutzungsfreundlicher und ökologischer zu machen – genauso könnten durch Freiwerden bisheriger Verkehrsflächen neue urbane Räume entstehen. Obwohl die Intentionen gleich sind, unterscheiden sich Sunglider und Ottobahn voneinander – nicht nur im Detail. Gemein haben sie eines: Sie kommen nicht wirklich vom Fleck, es harzt mit der Realisierung.

Der Sunglider soll mit Solarstrom fahren

Mit seinen Wagen für bis zu 32 Passagiere ähnelt das Konzept Sunglider zunächst bekannten Hängebahnen. Dabei ist die Kabinengrösse genauso variabel wie das ganze System, das sich parametrisch an Topografien, an Strassenführungen oder an vorhandene schattenwerfende Bebauungen anpassen lässt. Denn der Sunglider braucht, wie es der Name schon sagt, die Sonne: Er soll ausschliesslich mit Solarstrom unterwegs sein. Dafür wird das filigrane Holztragwerk – auch das eine Innovation – komplett mit Photovoltaikmodulen belegt.

«Wir haben ein Kraftwerk auf dem Dach», sagt Ulrich Hartwig, im Vorstand der Sunglider AG in Osnabrück. Und das liefert nach den Berechnungen mehr Strom als notwendig, bis zu 25 Prozent Überschuss könnten es werden, der sich lokal verkaufen liesse, etwa via Ladestationen, Einspeisung oder Direktlieferung an andere Verbraucher. Der Betrieb des Sungliders wäre kostenneutral möglich, sagt Hartwig.

Die Infrastruktur, also das Tragwerk samt Stationen, sei vergleichsweise günstig zu haben: «Ein Kilometer Strassenbahn kostet 22 bis 24 Millionen Euro, ein Kilometer Sunglider unter 18 Millionen Euro.» Die Holzkonstruktion, entworfen vom Architekten Peter Kuczia und vom Holzleimbau-Spezialisten Derix, ist preiswerter und klimaschonender als Stahl, trotzdem langlebig und nicht weniger brandsicher. Da verschraubt und modular, lassen sich bei Bedarf selbst grosse Elemente schnell austauschen – auch die vierteiligen, bionisch inspirierten, bumerangförmigen Stützen.

Weil filigran, kann sich das Trassee in vorhandene Stadtstrukturen einfügen – natürlich nicht in enge Altstädte, aber beispielsweise entlang von Mittelstreifen mehrspuriger Strassen in oder um mittelgrosse Stadtregionen – 400 solcher Orte mit rund 600 000 Einwohnern hat Sunglider in Europa identifiziert, ein ordentliches Potenzial also. Osnabrück entspricht zwar nicht ganz diesen Grössenordnungen, dennoch sieht die Stadt in Niedersachsen die Chance, Randgemeinden mittels sternförmiger Linien sowie einer verbindenden Ringstrecke anzudocken.

Die Technik ist nicht das Problem

Als Erfinder des Sungliders gilt Dr. Dieter Otten, inzwischen emeritierter Soziologieprofessor an der Universität Osnabrück und heute Aufsichtsratsvorsitzender der Sunglider AG. «Technisch sind alle Elemente vorhanden, wir kombinieren sie nur neu», sagt Ulrich Hartwig.

«Dadurch ist das System auf jeden Fall umsetzbar», ergänzt Oliver Kubut, CTO bei Sunglider, und verweist auf das Entwicklungskonsortium hinter dem Projekt, zu dem das Deutsche Zentrum für Raum- und Luftfahrt (DLR), Fraunhofer-Institute und die TU Warschau gehören – alles Institutionen, die innovativ denken und wissen, was sie tun. Die autonomen Kabinen bewegt ein mit aktiver Geräuschabsorption ausgestattetes Fahrwerk, die elektrischen Motoren sind lärmdämmend verschalt, ihre Energie beziehen sie aus Batterien, die von Halt zu Halt induktiv und damit verschleissfrei geladen werden.

Insgesamt feinste Ingenieurkunst also, für die Peter Kuczia das passende Design liefert. Seine Visualisierungen zeigen eine Hängebahn, die in der Nacht sogar Güter transportieren könnte. Immerhin hat der Sunglider bereits zehn internationale Design-Awards bekommen und den Deutschen Mobilitätspreis. Das ist erstaunlich, denn ausser den Renderings gibt es noch nichts zu sehen. 2025 könnte sich das ändern.

Schritt eins: der statische Demonstrator, bestehend aus einer Kabine und einem kurzen Trasseeabschnitt. Aufgebaut in Osnabrück, soll er erstens die Öffentlichkeit mit dem System vertraut machen und zweitens zur Optimierung von Technik und Design beitragen. Sunglider setzt auf das Prinzip Zero Waste, will heissen, die Bauteile werden so produziert, dass keine zu entsorgenden Reste anfallen. Sowohl Treppenaufgang, Aufzugsturm wie Veloständer sollen verschnittfrei aus Carbonbeton-Platten entstehen, 3-D-Druckverfahren werden mit der TU München erprobt, und die Verwendung von Hanf-Kompositen soll den ökologischen Fussabdruck erheblich reduzieren.

Dafür braucht es eine Summe von rund 5 Millionen Euro – Geld, das (noch) nicht da ist. «Sobald wir eine Anschubfinanzierung in Form einer Förderung erhalten, kann das Projekt Fahrt aufnehmen», so Oliver Kubut. Dann, so die Erfahrung, steigen weitere Investoren ein, wächst das Budget der eigens dafür gegründeten AG. Noch aber ist die Förderung der Flaschenhals. 2025 soll es klappen, Anträge für das Programm «Neue Fahrzeug- und Systemtechnologien» des Bundeswirtschaftsministeriums laufen. Alles, was bisher auf den Weg gebracht wurde, entstand quasi ehrenamtlich.

Der weitere Plan: Auf den Demonstrator folgt die dynamische Teststrecke, 1,8 Kilometer lang, mit Haltestellen, Fahrzeugen, Photovoltaik. 2026 könnte man mit dem Bau beginnen, der Ort steht schon fest: Lathen. Also dort im Emsland, wo einst der Transrapid seine schnellen Runden zog. Auch das polnische Nevomo-Magnetbahnkonzept und ein Hyperloop-Projekt wollen in Lathen Teststrecken montieren – so könnte im strukturschwachen Gebiet ein synergiereicher Innovationscluster entstehen.

Spielt alles ideal zusammen, also Teststrecke, Förderung und Investoren, wäre 2030 die Systemzulassung in Sicht – die Voraussetzung für den öffentlichen Betrieb und die Vermarktung. Neben Osnabrück, Nordhorn und Sindelfingen haben – laut Ulrich Hartwig – auch arabische und fernöstliche Metropolen Interesse bekundet, die deutsche Zulassung wäre hier ein Türöffner.

Kleine Kabinen auf Abruf

Eine ähnliche Hängepartie macht die Ottobahn durch. Das Startup aus München arbeitet an einem System, das Kabinen in fünf bis zehn Metern Höhe auf den Weg schickt. Und das in Städten genauso wie auf langen Strecken – dafür könnte man die Kabinen energetisch sinnvoll koppeln, vor dem individuellen Ziel trennen und einzeln auf die letzte Meile schicken.

Anders als der Sunglider sieht die Ottobahn kleinere Kabinen für vier Passagiere vor, Beleuchtung, Temperatur und Entertainment-Angebot sollen maximal personalisierbar sein, das Interior hohen Komfort und ausreichend Platz für Velos oder Rollkoffer bieten. Schliesslich will die Ottobahn als Alternative zum eigenen Pkw wahrgenommen werden – die Renderings der Münchner Designagentur NVGTR orientieren sich aber etwas zu sehr am aseptisch-hippen Smartphone-Style.

Dereinst sollen die Kabinen per App angefordert werden, on demand also, sich vor Ort aus der Hauptstrecke in Haltebuchten ausschleifen und dann auf Bodenniveau herablassen. Inzwischen denkt aber der CEO Marc Schindler auch darüber nach, fixe Stationen, etwa an Mini-Kreisverkehren, aufzubauen. 2019 gegründet, ist das bislang komplett privat finanzierte Startup zumindest einen kleinen Schritt weiter als Sunglider: Auf einer kleinen Indoor-Strecke fahren Testkabinen, die zwar mit dem NVGTR-Entwurf wenig zu tun haben, aber für Simulationen gut taugen.

Für mehr fehlt auch hier das Geld. Eigentlich hätte schon Ende 2021 der Bau einer 900 Meter langen Teststrecke in Taufkirchen beginnen sollen. Doch die dafür nötigen 5 Millionen Euro sind nicht parat, ein Investor sei abgesprungen, derzeit liefen neue Gespräche, so Schindler. Jedenfalls stehe die Strecke auf «hold». Was aber keinesfalls Stillstand bedeute, denn der Indoor-Loop werde eifrig genutzt – für die technische Integration aller Subsysteme, für Hardware-Realtests und ausgiebige Simulationen. Und seien die Gelder dann da, gehe es schneller weiter, sowohl in Sachen Teststrecke wie auch Zulassung.

Zwei Konzepte für eine neue Form der Mobilität, beide ausgebremst. Zu ehrgeizig, zu spekulativ oder zu komplex? Saskia Meynhardt, Head of Public Transport beim Beratungsunternehmen Drees & Sommer, sieht den Hemmschuh nicht im Übermass an Regularien, sondern im Gegenteil: «Es fehlt der regulatorische Rahmen, und damit ist die Frage der Zuständigkeit offen, was letztlich dazu führt, dass jeder auf den anderen wartet.» Im Prinzip brauchte es «dringend eine Instanz, die die einzelnen Silos zusammenführt». Gerade bei Mobilitätskonzepten, die verschiedenste bislang separierte Bereiche tangierten, werde das schnell zum Problem.

Fast im Nebensatz erwähnt Sunglider-Vorstand Hartwig einen besonderen Aspekt: Das Unternehmen will kein Hersteller sein, sondern schlanker Entwickler bleiben. Die Kunden erwerben Lizenzen, erhalten sämtliche technischen Daten für Bau und Betrieb, die Umsetzung erfolgt aber mit eigenen Mitteln oder lokalen Unternehmen in dezentraler Manier. Dieser Ansatz könnte durchaus für viele Städte interessant sein – ausser für Wuppertal.

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