Mittwoch, Oktober 2

Maggi begrünte die Stadt dort, wo sie ihm trist erschien. Ein Nachruf.

Der Hardplatz in der Stadt Zürich war für Maurice Maggi ein ökologischer Albtraum. Eine weitgehend versiegelte Fläche, das Regenwasser kann nicht versickern. Im Sommer, wenn die Sonne auf die Pflastersteine brennt, wird der Platz, auf dem das Tram Nummer acht hält, zur Hitze-Insel. Die wenigen Bäumchen in der Umgebung bringen kaum Linderung.

Also schritt Maggi zur Tat, wie immer, wenn ihn ein Ort in der Stadt besonders trist dünkte: Er streute Blumensamen, heimlich. Der Zufall wollte es, dass Maggi Jahre später in der Nähe des Hardplatzes, im Zürcher Lighthouse, seine letzten Tage verbrachte.

In ganz Zürich hat der gelernte Landschaftsgärtner seine Spuren hinterlassen. Oft sind es Malven, die unter Bäumen und an Strassenrändern wachsen, eine anspruchslose Wildpflanze. Sie gehörte zu Maggis liebsten Blumen. «Sie blüht auf Augenhöhe und wirkt beruhigend auf den Verkehr», sagte er einst zur NZZ. Auf einer Karte hatte er einen «Malvenplan» angelegt und notiert, wo er überall Samen gestreut hatte.

Maggi wurde zum Guerilla-Gärtner, bevor es diesen Ausdruck überhaupt gab. Vor rund vierzig Jahren zog er nachts zum ersten Mal los, um seine «Blumen-Graffiti», wie Maggi sie nannte, in Zürich auszubringen. Es war auch ein Protest gegen eine Stadt, in der Pflanzen ausschliesslich amtlich angeordnet wachsen sollten.

In der Verwaltung machte er sich mit seinen Aktionen keine Freunde. In den ersten Jahren habe Grün Stadt Zürich alle seine heimlich gepflanzten Blumen wieder ausgegraben, erzählte Maggi der NZZ. Das ist heute, wo die Stadt Millionen für die Hitzeminderung ausgibt, kaum mehr vorstellbar.

Mit dem Firmenwagen zu Demonstrationen

Maggi wird 1955 in Zürich-Enge geboren. Als Sohn einer katholischen Familie sei er im zwinglianischen Zürich «früh mit der Abnormität konfrontiert» worden, heisst es auf seiner Website. Einige Jahre lebt die Familie in Rom.

Als Maggi acht Jahre alt ist, kommt sein Vater bei einem Flugzeugabsturz ums Leben. Die Mutter zieht mit den Kindern zurück in die Schweiz, und Maurice wird ins Internat Walterswil geschickt. Danach beginnt er eine Lehre als Chemielaborant und notiert dazu: «Eine Lehre als Hippie gab es nicht, und im Labor hoffte ich, synthetische Drogen herstellen zu können.»

Maggi wünscht sich ein freies Leben, doch er muss sich schon als junger Mann disziplinieren. Mit 18 Jahren wird bei ihm Diabetes diagnostiziert, er muss Insulin spritzen. Rebellisch lebt er trotzdem, er bricht die Lehre ab und verlässt sein Zuhause, um in besetzten Häusern zu leben, und zieht vorübergehend nach Amsterdam.

1974 entdeckt Maggi seine Liebe zur Natur. Er bildet sich zum Landschaftsgärtner aus, gründet eine Gartenbaufirma. Die unangepasste Seite bleibt. Das Firmenfahrzeug wird in den achtziger Jahren als mobile Bühne für Demonstrationen genutzt. Wenige Jahre später beginnt er mit seinen Blumen-Graffiti.

Spuren in Zürich hinterlässt Maggi nicht nur mit den diskret verstreuten Blumensamen. 1993 wird er Koch und arbeitet unter anderem im Restaurant «Exer», am Theater Spektakel und im «Café Boy», das er später übernimmt, eröffnet das «Primitivo» am Oberen Letten und konzipiert das «Lily’s» an der Langstrasse mit.

Seine Liebe zum Essen und zur Natur hält er auch in Büchern fest. In seinem ersten, «Essbare Stadt», versammelt er im Jahr 2014 siebzig vegetarische Rezepte mit Pflanzen aus der Stadt.

Wie eine subversive Pflanze in der Stadt

Lange weiss kaum jemand, warum in der ganzen Stadt Wildblumen unter Bäumen wachsen. Im Jahr 2004 – rund zwanzig Jahre, nachdem er zum ersten Mal losgezogen war – gibt er sich zu erkennen mit einer Ausstellung und zeigt Notizen, Skizzen sowie Fotodokumentationen von seinen nächtlichen Streifzügen durch Zürich.

«Ich konnte mich nie in die Grundstrukturen dieser Gesellschaft einfügen», sagt er im Film «Floraler Anarchist», den der Filmemacher Roland Achini über Maggi dreht. «Das hat sich weitergezogen in meinen Aktionen. Die finden auch im subversiven, illegalen und brotlosen Bereich statt.»

Auch in der Pflanzenwelt gebe es Exemplare, die sich subversiv verhielten. Pflanzen, die sich an stark befahrenen Strassen durch den Beton zwängen und zu blühen begännen. Das habe ihn fasziniert. «Plötzlich stand ich mit meinem subversiven Kampf nicht mehr alleine da.»

Wegen seiner Diabetes-Erkrankung hat er sich schon früh mit dem Tod auseinandergesetzt. So erzählte es Maggi im Podcast «Achtung Ächtung», der Ende August ausgestrahlt wurde. Bei einem Untersuch im Spital wurde dann die unheilbare Autoimmunkrankheit Anca-Vaskulitis festgestellt.

Seit Weihnachten habe sich sein Gesundheitszustand verschlechtert, und er habe gewusst, dass ein selbständiges Leben nicht mehr möglich sei. Deshalb sei er ins Zürcher Lighthouse umgezogen, wo er palliativ betreut werde, sagte Maggi. Es liegt nur ein paar hundert Meter entfernt vom Hardplatz, wo die Blumen blühen, deren Samen er einst verstreute.

Er habe abgeschlossen und sei zufrieden mit seinem Leben, sagt Maggi im Podcast. Ein aufwendiges Begräbnis wolle er nicht. «Man kann ja durch die Stadt Zürich laufen, all die Blumen unter den Bäumen sehen und dann an mich denken.» Sie sind sein Vermächtnis. Maggi ist am 27. September gestorben.

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