Sonntag, November 24

Der Republikaner will ein rasches Ende des Krieges und Konzessionen der Ukraine. Dennoch erhoffen sich Optimisten im Land von Donald Trump einen überraschenden Befreiungsschlag.

Der ukrainische Präsident hat am Mittwoch keine Zeit verloren und Donald Trump als einer der Ersten zu seinem «beeindruckenden Wahlsieg» gratuliert. Er erinnere sich an ein grossartiges Treffen im September und teile Trumps Überzeugung, dass Frieden nur durch Stärke möglich sei, schrieb Wolodimir Selenski auf X. «Die Ukraine, eine der wichtigsten Militärmächte in Europa, kann langfristig Frieden und Sicherheit in der transatlantischen Gemeinschaft sichern – mit Unterstützung unserer Alliierten.»

Der Nachsatz des Präsidenten ist allerdings bezeichnender, als er scheint: Er deutet an, dass gegenwärtig in der Ukraine niemand weiss, ob das Land weiterhin auf diese Hilfe aus Washington zählen kann, wenn dort Trump regiert. Die Wahl habe für Kiew schicksalhafte Bedeutung, sagte vor einigen Tagen ein Beobachter. Nun müssen die Ukrainer fürchten, in ihrem Verteidigungskrieg gegen Russland im Stich gelassen zu werden.

Der «Friedensplan» der Republikaner

Offizielle Stellen halten sich zwar seit Wochen zurück und liessen keine Präferenz für Trump oder Kamala Harris erkennen, nicht einmal in Hintergrundgesprächen. Selbst der jüngst entlassene Aussenminister Dmitro Kuleba drückt sich im Gespräch vorsichtig aus: «Jede Dämonisierung oder Idealisierung wäre ein gravierender Fehler.» Die Ukraine müsse mit jedem neuen Präsidenten arbeiten.

Was Trump und sein designierter Vizepräsident J. D. Vance im Wahlkampf gesagt haben, lässt Kiew aber wenig Raum für Optimismus. «Es interessiert mich nicht wirklich, was mit der Ukraine passiert», sagte Vance nach Russlands Invasion 2022. Trump schimpfte an einer Wahlveranstaltung, die Ukrainer hätten nur «ein bisschen etwas aufgeben» müssen, um Russlands Invasion abzuwenden. Er stellte stets klar, dass ihm ein rasches Ende des Krieges zu jedem Preis wichtiger ist als ein Sieg der Ukrainer. Er weiss, wie unbeliebt die 64 Milliarden Dollar an Militärhilfe für Kiew seit 2022 bei seinen Wählern sind.

Trumps Versprechen, den blutigen Konflikt innert 24 Stunden zu beenden, blieb immer vage, obschon er stets andeutete, dass vor allem die Ukrainer Konzessionen machen müssten. Ende Oktober sickerten Details zu den Plänen durch: Die neue republikanische Regierung würde zwar die Militärhilfe nicht sofort beenden, diese aber mit der Verpflichtung verbinden, dass Kiew in Friedensgespräche mit Moskau eintritt.

Vance schwebt ein schnelles Einfrieren des Krieges entlang der heutigen Front vor und die Schaffung von demilitarisierten Zonen auf beiden Seiten. Einen Nato-Beitritt der Ukraine lehnt er ab, Sicherheitsgarantien müssten durch die Europäer gestellt und durchgesetzt werden. Wie unrealistisch dies ohne amerikanische Hilfe ist, weiss wohl auch Vance. Für die Ukrainer käme dieses Szenario fast einer Kapitulation gleich.

Dabei bleibt völlig offen, wie Trump die Russen überhaupt an den Verhandlungstisch bringen will, zumal nach einem weitgehenden amerikanischen Rückzug aus der Verantwortung. Putin befindet sich im Donbass auf dem Vormarsch und weiss, dass ihm der Ausgang der amerikanischen Wahl in die Hände spielt. Er kann darauf hoffen, dass sich Kriegsmüdigkeit und Spaltungstendenzen im Westen weiter vergrössern. Verpflichten muss er sich zu nichts: Am Mittwoch erklärte der Kreml bereits, ein rasches Kriegsende sei unmöglich.

Trumps Unberechenbarkeit als zweifelhafter Vorteil

Für die Ukrainer wäre eine Präsidentin Harris das kleinere Übel gewesen, weil sie Bidens Kurs weitgehend fortgesetzt hätte. Begeistert hat sie in Kiew aber niemanden. Eine Minderheit vertritt sogar die Meinung, dass Trumps Unberechenbarkeit den Ukrainern helfen könnte. Die Beziehungen zu Washington sind wegen Bidens Zurückhaltung bei der Lieferung von Langstreckenwaffen und beim Nato-Beitritt angespannt. Manche hoffen, dass Trump weniger vorsichtig als Biden agieren könnte.

Demnach könnte der zukünftige amerikanische Präsident Russland ökonomisch stärker unter Druck setzen und der Ukraine mehr Waffen liefern, falls Putin sich Gesprächen verweigern würde. Sein Stolz und die Realpolitiker seiner Partei würden es nicht zulassen, dass Trump die Ukraine verliere, argumentieren Optimisten. Unter Armeeangehörigen in Kiew ist auch zu hören, Trump sei immerhin der Erste gewesen, der 2017 tödliche Waffen an die Ukrainer bewilligt habe.

Allerdings nutzte der damalige Präsident später just dieses Hilfspaket, um Druck auf Selenski zu machen, juristisch gegen Bidens Sohn vorzugehen. Unter dem Druck der erstarkten prorussischen Kräfte innerhalb der Republikanischen Partei hat sich Trumps Abneigung gegen die Ukraine seither vertieft. So war es seine Blockadehaltung, die Waffenlieferungen Anfang 2024 monatelang verzögerte. Die dadurch entstandenen Probleme an der Front nutzt Russland bis heute aus.

Auch wegen dieser Vorgeschichte hat Kiew erst in den vergangenen Wochen begonnen, sich entschiedener für einen allfälligen Wahlsieg Trumps zu positionieren. Auch der ehemalige Aussenminister Kuleba räumt ein, dass die Ukrainer ihre Beziehungen zur Republikanischen Partei stärken müssten – ohne die bestehenden guten Verbindungen zu den Demokraten aufzugeben.

Selenski suchte im September offensiv ein Treffen mit Trump während seines Besuchs in den USA. Der Ukrainer betont nun stets die wirtschaftlichen Vorteile eines amerikanischen Engagements, etwa mit dem Angebot, ins Geschäft mit seltenen Metallen einzusteigen. Auch die Möglichkeit, dass Militärhilfe zukünftig gegen Kredit gewährt werde, müsse Kiew berücksichtigen, schreibt der Politologe Wolodimir Fesenko.

Die Abhängigkeit der Ukrainer

Am ukrainischen Grundproblem, der riesigen Abhängigkeit von amerikanischer Unterstützung, ändert dies nichts. Zwar entscheidet Trump nicht allein über deren Zukunft, schliesslich sind an den Sanktionen und der Finanzierung auch andere westliche Länder beteiligt. Doch falls die Republikaner nun auch die Mehrheit in Senat und Repräsentantenhaus holen, hat er zumindest innenpolitisch weitgehend freie Bahn. Militärisch kann der Grossmacht USA kein europäisches oder asiatisches Partnerland das Wasser reichen.

«Das Beste, was die Ukraine tun kann, um die Risiken zu vermindern, ist, die eigenen Kräfte zu stärken», glaubt deshalb Kuleba. Die von Selenski befeuerte Diskussion über eigene Atomwaffen wirkt zwar realitätsfremd. Naheliegender ist die Stärkung der Rüstungsindustrie, auch durch Kooperationen mit ausländischen Firmen. Dies findet bereits statt, doch reicht es nicht, um den riesigen Bedarf des Abnützungskriegs zu decken.

Trotz dem vorherrschenden Zweckoptimismus sind sich die Ukrainer wohl darüber im Klaren, dass ihre Perspektiven mit Trumps Wahl noch einmal deutlich ungewisser werden. So vergrössert sich ein schleichender Pessimismus, der bereits seit Monaten immer tiefer in die Gesellschaft eindringt. «Ich sehe schlicht keine Faktoren am Horizont, die für uns positiv sind», sagt eine Regierungsberaterin in einem Kiewer Innenstadt-Café. Dass draussen der erste Schnee fällt, tut wenig, um die eher trübe Stimmung zu heben.

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