Samstag, Oktober 5

Kamala Harris und Donald Trump versprechen viele staatliche Eingriffe und Wahlgeschenke. Die Wirtschaft wird darunter leiden.

Bill Clintons Wahlstrategie ist berühmt geworden: «It’s the economy, stupid.» Und er hatte Erfolg damit. Dank einem wachstumsorientierten Wirtschaftskurs und der Fokussierung auf gesündere Staatsfinanzen gewann der Demokrat in den neunziger Jahren zwei Präsidentschaftswahlen. Aber gilt die Maxime auch heute noch? Der laufende Wahlkampf weckt Zweifel.

Die Wirtschaftspolitik fristet im Wahlkampf von Donald Trump und Kamala Harris nur eine Schattenexistenz – und liberal sind deren Ideen schon gar nicht. Stattdessen überbieten sich die Kandidaten mit populistischen Versprechungen, die der Staat einlösen soll.

Trumps Irrweg der hohen Zölle

Das Kernelement von Trumps Wirtschaftsprogramm für die nächsten vier Jahre ist seine Handelspolitik. Sobald er wieder ins Weisse Haus eingezogen ist, will er auf die Güterimporte aus allen Ländern ausser China einen Zoll von 10 Prozent einführen, in seinen letzten Reden sprach er von 10 bis 20 Prozent. Für chinesische Produkte soll ein genereller Schutzzoll von 60 Prozent gelten.

Zudem verspricht Trump, er werde «vom ersten Tag an» die Konsumentenpreise «rasch nach unten treiben». Dabei hat es Trump besonders auf die Energiekosten abgesehen. Diese würden innert 12 bis 18 Monaten mindestens halbiert werden.

Die Mieten will Trump durch die Ausschaffung von Millionen illegal Eingewanderter senken: «Ich werde sie in ihre Länder zurückschicken, wohin sie gehören. Und dann werden die Preise dramatisch und rasch sinken.»

Die Einkommen einzelner Wählergruppen sollen geschützt werden. So verspricht Trump, die staatlichen Altersrenten (social security) von der Einkommenssteuer auszunehmen. Dasselbe soll für Trinkgelder in der Gastronomie gelten; dieses Versprechen hat Trump bei einem Wahlkampfauftritt im Swing State Nevada gemacht, der eine besonders grosse Wählerschaft aus dieser Branche hat. Beides wird das Staatsdefizit erhöhen.

Zudem hat Trumps Kandidat für die Vizepräsidentschaft, J. D. Vance, sich für die Einführung eines hohen Kindergelds von bis zu 5000 Dollar pro Kind starkgemacht.

Die von Trump 2017 zu Beginn seiner ersten Präsidentschaft erlassenen Steuersenkungen sollen erneuert werden; andernfalls würden sie 2025 auslaufen. Darüber hinaus will Trump den Unternehmenssteuersatz weiter von 21 auf 15 Prozent senken, und er verspricht ohne Angabe von Details Steuersenkungen «für alle Personen».

Trump fasst sein Wirtschaftsprogramm folgendermassen zusammen: «Wir werden gemeinsam tiefe Steuern, geringe Regulierung, tiefe Energiekosten, tiefe Zinsen, tiefe Inflation liefern, damit jeder sich Einkäufe, ein Auto und eine Wohnung leisten kann.»

Harris setzt auf sozialistische Symbolpolitik

Die Demokratin Kamala Harris hat sich Mitte August in einer Rede in North Carolina erstmals ausführlich zur Wirtschaftspolitik geäussert. In der Steuerpolitik verspricht sie wie Präsident Joe Biden, auf Steuererhöhungen für Privathaushalte bis zu einem Einkommen von 400 000 Dollar zu verzichten. Die Unternehmenssteuern sollen von 21 Prozent wieder auf 28 Prozent steigen.

Ein besonderes Anliegen von Harris ist die Familien- und Sozialpolitik. Hier soll ein von Biden während der Pandemie 2021 eingeführtes Kindergeld von bis zu 3600 Dollar pro Jahr, das bald auslaufen würde, permanent gemacht werden. Zudem ist vorgesehen, für Neugeborene im ersten Jahr ein Kindergeld von bis zu 6000 Dollar einzuführen. Trumps Idee von steuerfreien Trinkgeldern im Gastgewerbe hat Harris kurzerhand übernommen.

Verbreiteten Sorgen wegen hoher Immobilien- und Mietpreise will Harris durch staatliche Hilfe für Erstkäufer von Eigenheimen, Steueranreize zum Wohnungsbau sowie Eingriffe in die Mietpreisbildung entgegentreten.

Die Massnahme, welche die grössten Schlagzeilen erzeugte, dürfte die geringsten Auswirkungen haben: Harris will staatliche Kontrollen einführen, die angebliche Wucherpreise auf den Nahrungsmittelmärkten verhindern sollen. Ökonomen bezweifeln, dass der Wettbewerb im Detailhandel Wucherpreise überhaupt zulässt.

Untaugliche Rezepte zur Inflationsbekämpfung

Meinungsumfragen zeigen, dass die Wähler unzufrieden mit der Wirtschaftslage sind, obschon die Daten eigentlich eine starke Wirtschaftsverfassung anzeigen. Der Grund ist die jüngste Inflationserfahrung. Während der ersten drei Jahre der Präsidentschaft Biden sind die Konsumentenpreise um fast 20 Prozent gestiegen. Nahrungsmittel wurden rund 21 Prozent teurer, Strom 30 Prozent, Benzin gar 43 Prozent. Das drückt auf die Kaufkraft der Löhne, die erst in diesem Jahr wieder langsam zu steigen begannen, weil es der Zentralbank mit ihren Zinserhöhungen gelang, die Inflationsrate von einem Höchstwert von 7 Prozent 2021 auf 2,9 Prozent im Juli 2024 zu drücken.

Für beide Kandidaten ist deshalb der Kampf gegen die hohen Preise das Hauptthema der Wirtschaftspolitik. Ökonomen sind sich jedoch weitgehend einig, dass weder Trump noch Harris geeignete Rezepte für Preisstabilität vorgelegt haben. Im Gegenteil, die Befürchtung ist gross, dass ihre Ideen die Inflation weiter anheizen könnten.

Bei Trumps Wirtschaftsprogramm ist die Zollpolitik das Hauptproblem. Die Zölle werden über höhere Importpreise auf die Konsumenten überwälzt und werden Haushalte mit geringerem Einkommen am stärksten treffen. Problematisch ist weiter, dass Trump Steuersenkungen verspricht, die durch zusätzliche Staatsschulden finanziert werden sollen. Das wirkt wie ein permanentes Konjunkturstimulierungsprogramm, das bei Vollbeschäftigung, wie sie die USA derzeit haben, preistreibend wirkt. Dieser Effekt wird noch durch Trumps Plan verstärkt, Millionen illegal anwesender Aufenthalter aus dem Land zu weisen. Diese Arbeitnehmer würden zahllosen Unternehmen fehlen, was wiederum preistreibend wirken kann.

Rätselhaft ist auch, wie Trump sein Versprechen umsetzen will, die Energiepreise innert kurzer Zeit zu halbieren. Dafür müsste das Angebot von Erdöl, Erdgas und Strom massiv ausgeweitet werden, was kurzfristig kaum möglich ist. Auf den regionalen Elektrizitätsmärkten fehlen dafür Produktions- und Übertragungskapazitäten, und die amerikanische Erdölförderung befindet sich bereits auf einem Höchststand.

Ähnlich unglaubwürdig sind Harris’ Pläne. Höhere Sozialgelder stärken die Nachfrage und wirken tendenziell preistreibend. Die kaum umsetzbaren Preiskontrollen für Nahrungsmittel sind primär ein politisches Ablenkungsmanöver.

Was noch mehr Anlass zu Besorgnis gibt, sind die Leerstellen in den Wirtschaftsprogrammen. Die während der Amtszeiten von Trump und Biden explodierten Staatsschulden, die heute bei knapp 100 Prozent des Bruttoinlandprodukts stehen und neben der Niedrigzinspolitik des Fed der Hauptgrund für die Inflation der letzten drei Jahre waren, sind für beide Kandidaten kein Thema. Die Programme von Harris und Trump lassen vielmehr weitere hohe Staatsdefizite und wachsende Schulden erwarten.

In ihrem ersten Live-Interview bei CNN Ende August hat sich Harris weitgehend hinter die unbeliebten «Bidenomics» des Präsidenten gestellt, ohne in die Details zu gehen. Das könnte bedeuten, dass sie Bidens Fokus auf hohe Staatsausgaben für Investitionen und Klimaschutzmassnahmen ebenso fortführen könnte wie seine Förderung der Gewerkschaften und das Festhalten an Trumps Zöllen.

Wer ist das kleinere Übel?

Politisch verhalten sich beide Kandidaten allerdings taktisch geschickt. Trump erinnert mit vagen, überzogenen Versprechungen an seine erste Amtszeit. Diese war von der Fortsetzung des robusten Wirtschaftswachstums unter seinem Vorgänger Obama, von steigenden Reallöhnen und tieferen Steuern geprägt, die durch ein hohes Haushaltdefizit finanziert wurden. Detaillierte Pläne für die Zukunft würden bloss von Trumps Erfolgen in der Vergangenheit ablenken.

Harris wiederum ist bemüht, einen Neuanfang zu suggerieren, ohne sich zu stark von Bidens Amtszeit zu distanzieren. Damit ist sie bisher erstaunlich gut durchgekommen. Will man dennoch Erwartungen für die nächste Präsidentschaft bilden, muss man eher auf die wirtschaftspolitischen Instinkte der Kandidaten setzen.

Harris’ frühere Positionen und ihre spärlichen aktuellen Aussagen lassen wenig Erbauliches erwarten. Sie scheint sich ähnlich wie Biden von dem Instinkt leiten zu lassen, die ordnende und verteilende Rolle des Staates auszubauen. Regulierung, Staatsausgaben und Umverteilung nähmen unter Harris zu. Das würde die Innovationskraft und Produktivität der amerikanischen Wirtschaft schwächen.

Für Trump sprechen seine während der ersten Präsidentschaft bewiesenen Instinkte für tiefere Unternehmenssteuern und weniger staatliche Regulierung. Wäre eine zweite Präsidentschaft Trump also das kleinere Übel für die amerikanische Wirtschaft?

Das ist leider nicht so sicher. Auch Trump möchte mit grosser Selbstverständlichkeit die Staatsausgaben und Schulden aufblähen und Steuergeschenke an wichtige Wählergruppen verteilen. Er verspricht tiefere Preise, als wäre für die Preisbildung der Staat und nicht der Markt verantwortlich.

Bedenklich ist, wie während Trumps Präsidentschaft Druck auf die Notenbank Fed ausgeübt wurde, die Zinsen tief zu halten. Das unterminiert die Unabhängigkeit der Geldpolitik und könnte die Stabilität der gesamten Volkswirtschaft gefährden. Trumps Faszination für hohe Zölle mindert den Wettbewerbsdruck im Inland und damit die Leistungsfähigkeit der Unternehmen.

Beiden Kandidaten sind die Grundlagen einer liberalen Wirtschaftsordnung offenkundig ziemlich egal. Das sind trostlose Aussichten für die amerikanische Wirtschaft.

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