Montag, September 30

Über den unrühmlichen Beitrag von ARD und ZDF zur demokratischen Debattenkultur.

Wann es genau anfing, weiss ich nicht mehr. Als politisch interessierter Mensch und Journalist war für mich, neben Zeitungen und Zeitschriften aller Art, immer auch das öffentlichrechtliche Fernsehen eine Informationsquelle erster Güte. Der legendäre, 1991 verstorbene «Tagesschau»-Sprecher Karl-Heinz Köpcke wirkte zwar immer ein bisschen überkorrekt, halbamtlich und stocknüchtern im Vortrag, so dass ihn einige Zuschauer für den wahren Regierungssprecher hielten. Aber es hatte den Vorteil, dass die sachliche Information zwischen 20 Uhr und 20 Uhr 15 den absoluten Vorrang hatte. Man nahm die Nachrichten erst einmal zur Kenntnis und machte sich dann seine eigenen Gedanken. Manchmal waren es auch bloss Gefühle.

Seit einigen Jahren verstärkt sich bei mir der Eindruck, dass Auswahl und Präsentation der Nachrichten nicht mehr nach möglichst objektiven und nachvollziehbaren, freilich immer diskussionswürdigen Kriterien erfolgen, sondern im Zuge einer politisch-ideologischen Agenda: angesiedelt irgendwo zwischen Lisa Paus, Luisa Neubauer und Katrin Göring-Eckardt. Sie gibt sich nicht ehrlich zu erkennen, und die Redaktionen von «Tagesschau» und «Heute» weisen jede Kritik an politischer Einseitigkeit zurück, auch wenn jüngst eine Studie der Universität Mainz dem deutschen «Mediensystem» insgesamt eine «leichte Linksschiefe» attestiert hat.

Nach Solingen darf plötzlich debattiert werden

Das unangenehme Gefühl, das nicht nur mich immer häufiger befällt, wird aber gerade dadurch ausgelöst, dass nicht offen argumentiert wird, also gerade nicht «transparent», wie eine Lieblingsvokabel der Medienwelt lautet. Nur wenige, etwa die ehemalige Leiterin des ARD-Hauptstadtstudios Tina Hassel, stehen öffentlich zu ihren grünen Sympathien. Wie rot-grün oder linksliberal viele ARD- und ZDF-Mitarbeiter*innen (sic!) denken, lässt sich jedoch anhand ihrer Wortwahl, ihren Priorisierungen und ihren Auslassungen von Fakten erkennen.

Ein Extremfall war die Corona-Berichterstattung, bei der jeder Kritiker regierungsamtlicher Massnahmen als «Verschwörungstheoretiker» galt, während Karl Lauterbach als König der Erleuchteten durch die Talkshows pilgerte.

Vor allem bei den grossen Themen Klima, Asyl und Energiewende scheint es einen diffusen Medienkonsens zu geben, der sogar die RTL-Nachrichten umfasst. Bis gerade eben noch galt jede Skepsis gegenüber der «Willkommenskultur», jede Warnung vor einer Überforderung der Integrationsfähigkeit und jeder Hinweis auf den Zusammenhang von illegaler Migration und Kriminalität als Sakrileg, als vermeintlich «rechte», gar rassistische Verirrung.

Dass die schrecklichen Messermorde von Solingen nun eine Art «Zeitenwende» eingeleitet haben und plötzlich systematische Zurückweisungen von Asylbewerbern an den deutschen Grenzen diskutiert werden, wirft nur ein umso grelleres Licht auf die bisherigen Tabuzonen der Berichterstattung. Plötzlich darf auch von «Pull-Faktoren» der illegalen Einwanderung nach Deutschland gesprochen werden. Bis vor kurzem hätte das im «Heute-Journal» und in den «Tagesthemen» die immergleichen «Migrationsexperten» auf den Plan gerufen, die rhetorisch geübt jeden Zusammenhang bestreiten, so offenkundig er auch ist.

Georg Restle bleibt sich treu

Indes: Die linke Speerspitze der ARD, Georg Restle, seit zwölf Jahren Chef des Politmagazins «Monitor», bleibt gesinnungstreu bis zur Schmerzgrenze und zeigt auch jetzt die klassischen Abwehrreflexe: «Glaubt irgendjemand da draussen wirklich, dass wir Grenzen nur hochziehen müssen, und dann wird das schon: mit bezahlbarem Wohnraum, guten Löhnen und besserer Gesundheitsversorgung für alle? Oder werden dann neue Schuldige gesucht? Bürgergeldempfänger? Queere Menschen? Kinderlose?»

Soll es also bei der notorischen Mischung aus Realitätsverzerrung, Problembeschönigung und Debattenverweigerung bleiben, von der vor allem die AfD profitiert? Als Anfang des Jahres durch die «Enthüllung» eines obskuren «Geheimtreffens» in Potsdam der Eindruck entstand, alsbald sollten Millionen Migranten «deportiert» werden, waren ARD und ZDF sofort zur Stelle und trommelten für die Massendemonstrationen gegen «rechts».

Wer Zweifel äusserte, geriet ins Abseits. Das in Deutschland traditionell populäre Mitmachen, Unterhaken und Sich-Einreihen war die Parole der Stunde. Wer aber nicht mitmachen wollte oder unentschuldigt fehlte, machte sich verdächtig.

Ähnliches gilt für Windrad-Euphorie, E-Auto-Liebe und die wundersame Begeisterung für Wärmepumpen auch noch im ältesten Fachwerkhaus: Die «Klima-Minute» in der Berliner RBB-«Abendschau», präsentiert von einer hektisch heran- und weggezoomten, wild gestikulierenden jungen Frau vorm Teleprompter, soll jeden Skeptiker verstummen lassen. Allenfalls ältere Zeitgenossen fühlten sich an die «Aktuelle Kamera» der DDR und die Aufrufe zur Planerfüllung erinnert.

Heute wird die propagandistische Absicht hinter einer vermeintlichen Übereinkunft versteckt, die freilich in den Redaktionen am Hamburger Rothenbaum und auf dem Mainzer Lerchenberg hergestellt wird. Während auch von alleroberster Stelle stets die «demokratische Streitkultur» beschworen wird, mag man es in den Fernsehstudios lieber einvernehmlich. Man will keinen Ärger und nicht negativ auffallen. Lieber gendert man mit und lächelt in die Kamera, wenn von «Anwohnenden» die Rede ist, auch wenn diese gar nicht mehr anwohnen, weil sie wegen einer alten Weltkriegsbombe ihre Wohnungen verlassen haben und in einer Turnhalle übernachten müssen.

Nicht viel gelernt seit der Kölner Silvesternacht

Doch wehe, wenn der CDU-Chef Friedrich Merz von «kleinen Paschas» arabischer Herkunft spricht, was in vielen Fällen eine glatte Untertreibung ist, wie wir gerade sehen. Dann ist der Skandal gross, und das böse Wort wird medial in Endlosschleife rezykliert. Ähnliches gilt für den Begriff «Asyltourismus». So hässlich das Wort klingt, so sehr beschreibt es eine Wirklichkeit, die jüngst erst an die grosse Öffentlichkeit kam: Tausende afghanische Asylbewerber, im politisch korrekten Medienslang «Schutzsuchende» genannt, fliegen in die Ferien oder zu Verwandten nach Kabul und wieder zurück – genau dorthin also, wo das brutale Taliban-Regime herrscht, vor dem sie angeblich geflohen sind.

Die Beschreibung der Realität steht eben schon lange nicht mehr im Zentrum des öffentlichrechtlichen Journalismus. Unvergessen, wie viele Tage es nach der berüchtigten Silvesternacht 2015 in Köln dauerte, bis im ZDF das ganze Ausmass der massenhaften sexuellen Belästigungen und Vergewaltigungen von Frauen durch nordafrikanische Migranten einigermassen klar benannt wurde.

Vielleicht liegt hier der Kern der Sache: Die Angst, «falsche» Reaktionen hervorzurufen, darunter den «Beifall von der falschen Seite». Offenbar hält man die Zuschauer für nicht reif genug, um zwischen einer kriminellen, gewalttätigen Minderheit und all den anderen zu unterscheiden. Daher wohl auch der subkutane Erziehungsgestus, der viele Nachrichtensendungen durchzieht. Der ehemalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière sagte dem ZDF angesichts eines vereitelten Terroranschlags einmal, «Teile» seiner Antwort könnten «die Bevölkerung verunsichern», weshalb er sie unterliess. Damit scheint er auch das Motto im öffentlichrechtlichen Fernsehen formuliert zu haben.

Dass es dieses Verschweigen von Teilen der Wirklichkeit ist, das die Bevölkerung verunsichert und wütend macht, kommt den Fernsehmachern offenbar nicht in den Sinn. Im Augenblick jedoch scheint es so, dass sich die Wirklichkeit – ob als akute Migrations-, Bahn-, Brückensanierungs-, Wirtschafts- oder Vertrauenskrise der unberechenbaren Wählerschaft – selbst mit Macht zu Wort meldet und sich ihre eigenen Wege sucht, wahrgenommen zu werden.

Mag sein, dass nun das eine oder andere Mainzelmännchen aufwacht und sich die Augen reibt, um besser zu sehen – sogar mit dem Zweiten.

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