Samstag, Oktober 19

Die Begrenzung der Renten für Verheiratete sei «überholt», findet Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider. Das ist ein Steilpass für die Mitte-Partei von Gerhard Pfister. Wird nun das Parlament einen Gegenvorschlag beschliessen?

Die 13. AHV-Rente ist noch nicht finanziert, da steht bereits der nächste grosse Ausbau des Sozialwerks zur Debatte: Die Mitte-Partei verlangt mit einer Volksinitiative höhere Renten für Ehepaare. Heute erhalten Verheiratete höchstens das 1,5-Fache einer maximalen Einzelrente, ledige Paare hingegen das Doppelte. Die Differenz beträgt bis zu 1225 Franken im Monat (3675 statt 4900 Franken). Neun von zehn Ehepaaren sind von dieser Plafonierung betroffen. Die Mitte sieht darin eine «Heiratsstrafe», sie fordert Gleichbehandlung – natürlich im Sinne einer Anpassung nach oben.

Der Bundesrat hat diese Woche eine aktualisierte Kostenschätzung publiziert, die zeigt, dass die Initiative noch etwas teurer wäre als angenommen: Die Mehrausgaben belaufen sich auf 3,8 Milliarden Franken im Jahr (Stand 2030). Damit kommt das Begehren der Mitte nahe an die 13. Rente heran, die 4,6 Milliarden kosten dürfte.

Noch eine weitere Parallele gibt es: Wie die Gewerkschaften bei der 13. Rente, so beschränkt sich auch die Mitte auf das Geldverteilen. Wer den Ausbau bezahlen soll, lässt der Initiativtext offen. Er sieht zwar vor, dass heutige Vorteile der Ehepaare bei der Berechnung der AHV-Lohnbeiträge wegfallen sollen. Mit 200 Millionen Franken an höheren Einnahmen ist das aber ein Tropfen auf den heissen Stein.

Der Fonds würde sich rasch leeren

Woher sollen die restlichen Mittel kommen? Für die 13. Rente will der Bundesrat die Mehrwertsteuer bereits von 8,1 auf 8,8 Prozent (Normalsatz) erhöhen, was die Konsumenten jährlich 2,6 Milliarden Franken kosten wird. Wenn nun auch noch die Ehepaarrenten erhöht werden, sind weitere Massnahmen nötig, neben den Steuern könnte man die Lohnabzüge oder das Rentenalter erhöhen.

Ohne solche Schritte würde die AHV rasch in arge Nöte geraten. Die Mitte-Initiative dürfte frühestens 2027 an die Urne kommen. Wird sie angenommen, könnte sie etwa ab dem Jahr 2030 umgesetzt werden. Laut den aktualisierten Schätzungen des Bundes würden die Fehlbeträge der AHV sofort sprunghaft zunehmen.

Zusammen mit der 13. Rente betragen die drohenden Defizite in der Umlagefinanzierung anfänglich gut 5 Milliarden Franken im Jahr. Danach steigen sie rasch an. Ebenso schnell würden die Reserven abnehmen. Um das Jahr 2037 herum wäre der AHV-Fonds leer, falls Politik und Volk keine Gegenmassnahmen beschliessen würden.

Und doch ist der erneute Ausbau der AHV mutmasslich ziemlich populär. Davon geht man auch im Departement der zuständigen Bundesrätin Elisabeth Baume-Schneider aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Initiative angenommen werde, sei gross: So hat es das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) in einem Aussprachepapier zuhanden des Bundesrats geschrieben, das aufgrund des Öffentlichkeitsgesetzes frei zugänglich ist.

Kehrtwende im Departement Baume-Schneider

Obwohl Baume-Schneider und ihre Fachleute die Rentenerhöhung ablehnen, kann sich der Mitte-Präsident Gerhard Pfister bei ihnen bedanken: Ihr Papier, das via «Blick» bereits ein breites Publikum gefunden hat, liefert perfekte Argumente für die Initiative. Unter anderem steht da, die heutige Regelung, «die zum Zeitpunkt ihrer Einführung sinnvoll gewesen sein mag, findet heute kaum noch eine Rechtfertigung». Die Plafonierung werde kaum verstanden oder gar als ungerecht empfunden. Die Ausführungen gipfeln in der Aussage, «dass die derzeitigen Regelungen überholt sind».

Das ist eine abrupte Kehrtwende. Bisher hat der Bund das heutige Regime mit der Obergrenze der Ehepaarrenten immer verteidigt. Dahinter steht die Idee, dass Paare von Synergien profitieren, dass ihre Lebenshaltungskosten nicht doppelt so hoch sind wie die von Alleinstehenden. Man darf auch nicht vergessen, dass Verheiratete bei der AHV mehrere milliardenschwere Vorteile geniessen. Relevant sind primär die Witwenrenten und die Rentenzuschläge für verwitwete Pensionierte. Diese Privilegien fallen gesamthaft stärker ins Gewicht als die Nachteile in Form der Plafonierung der Renten.

Nun könnte man meinen, das werde sich mit der 13. Rente völlig ändern, weil mit ihr die Plafonierung viel stärker ins Gewicht fällt. Aber so ist es nicht. Auch dies geht es aus dem Aussprachepapier des BSV hervor: Die Differenz nimmt zwar ab, aber auch mit der 13. Rente sind die Verheirateten gegenüber den Ledigen gesamthaft bessergestellt. Der Ehe-Bonus beträgt voraussichtlich noch 200 Millionen Franken im Jahr.

Baume-Schneider im Bundesrat gescheitert

Wie kommt man dann aber im Departement Baume-Schneider zum Schluss, die heutige Regelung sei «überholt»? Das Papier nennt zwei Argumente: Die zunehmende Erwerbsarbeit der Frauen führe dazu, dass die Vorteile der Ehe zahlreichen Paaren nicht mehr so viel nützten. Vor allem aber argumentiert das BSV mit der geplanten Reform der Witwenrenten, die auf eine Gleichstellung zwischen Mann und Frau abzielt und deshalb die Witwenrenten einschränken soll.

Mittelfristig würde diese Reform bewirken, dass sich der Ehe-Bonus ins Gegenteil verkehrt. Aber ob es so weit kommt, steht in den Sternen. Noch hat der Bundesrat die Vorlage nicht einmal verabschiedet. Falls das Parlament das heisse Eisen wirklich anfasst, ist mit einem Referendum und einem harten Abstimmungskampf zu rechnen.

Dennoch ist die Sache für Baume-Schneider und ihre Fachleute jetzt schon klar: Die bisherigen Argumente des Bundesrats seien «nicht mehr zutreffend». Es sei riskant, die Initiative einfach so abzulehnen, zumal der Handlungsbedarf kaum bestritten werden könne. Folgerichtig plädierte Baume-Schneider im Bundesrat für einen Gegenvorschlag, der zwar ebenfalls teuer wäre, aber weniger teuer als die Mitte-Initiative.

Zwei Varianten für einen Gegenvorschlag

Fürs Erste ist die SP-Bundesrätin am Widerstand der bürgerlich geführten Departemente gescheitert. Doch es ist absehbar, dass nach den Erfahrungen mit der 13. Rente die Idee eines Gegenvorschlags im Parlament aufs Tapet kommen wird. Zwei konkrete Ansätze hat Baume-Schneider in ihrem Papier bereits skizziert:

  • Basar-Variante: Im Sinne eines Kompromisses könnte man die Obergrenze für Ehepaare nicht gleich aufheben, wie es die Initiative verlangt, dafür aber von 1,5 auf 1,7 Einzelrenten erhöhen. Die Maximalrente für Verheiratete würde damit von 3675 auf 4165 Franken steigen; der Nachteil gegenüber ledigen Paaren betrüge noch bis zu 700 Franken im Monat. Die Zahl der Paare, deren Renten wegen der Plafonierung gekürzt werden, würde mit einem solchen Deal stark abnehmen. Betroffen wären nur noch Paare mit Haushaltseinkommen von über 10 000 Franken im Monat. Heute liegt diese Schwelle bei 7400 Franken, weshalb fast alle Ehepaare betroffen sind. Dem Feilschen wären keine Grenzen gesetzt, auch andere Obergrenzen wie 1,75 oder 1,9 wären denkbar.
  • Echte Reform: Denkbar wäre auch ein Gegenvorschlag mit höheren Ambitionen – für eine Reform, die diesen Namen verdient. Für die heutigen Pensionierten würde sich damit nichts ändern, für alle künftigen Rentner aber würde das Parlament ein gänzlich neues und vor allem zivilstandsunabhängiges System einführen, in dem sämtliche Paare zwei vollwertige Renten erhielten. Die Plafonierung würde ebenso abgeschafft wie die mit der Ehe verbundenen Vorteile (abgesehen von den Witwenrenten). Eine solche Variante könnte die AHV vereinfachen und modernisieren, wäre aber wohl komplexer und stärker umstritten. Laut BSV bestünde das Risiko, dass gerade Personen mit tiefen Renten benachteiligt würden.

Das Parlament wird im kommenden Jahr entscheiden, ob es einen Gegenvorschlag aushandeln will. Weil ein Rückzug der Initiative aber auch in diesem Fall unrealistisch ist, wird das Volk das letzte Wort haben. Die Mehrheit der Stimmberechtigten würde persönlich von der Initiative profitieren. Zum einen müssten, wie bei der AHV üblich, vor allem die jüngeren Generationen die Rechnung bezahlen. Zum anderen ist laut neuen Daten von 2023 eine satte Mehrheit von 83 Prozent der pensionierten Paare verheiratet. Das relativiert zwar die lauthals beklagte Diskriminierung, dürfte aber die Chancen der Initiative erhöhen.

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