In der Allianz-Arena duellieren sich am Sonntagnachmittag mit den Carolina Panthers und den New York Giants zwei miserable American-Football-Mannschaften. Bei der Liga klingelt die Kasse trotzdem: Das Ziel ist ein Umsatz von 25 Milliarden Dollar pro Saison.
Die überzeugendste Darbietung des Tages lieferte noch vor dem Anpfiff die RTL-Moderatorin. Es war eine eindrückliche schauspielerische Leistung, dass es ihr gelang, vom «wichtigsten NFL-Spiel» der Saison zu fabulieren, ohne losprusten zu müssen. Die Carolina Panthers duellierten sich am Sonntagnachmittag in München mit den New York Giants, es war ein sportlich irrelevantes Duell zweier Teams, die mit den Play-offs nichts zu tun haben werden. Als ob die Bundesliga Bochum und Augsburg in die USA schicken würde, um den deutschen Fussball zu bewerben. Ein bisschen grotesk, gewiss, aber auch konsequent.
München 2024 war das 55. Pflichtspiel der National Football League ausserhalb der USA und die vierte Partie in Deutschland in den vergangenen zwei Jahren. Mit den Spielmachern Patrick Mahomes und Tom Brady hatte die Liga zunächst zwei ihrer Superstars in den Wachstumsmarkt Deutschland entsandt. Sich nun aber gesagt: Die Deutschen können sich jetzt auch einmal an den Alltag gewöhnen, der selbst in der Glitzerwelt der NFL öde sein kann.
Die grösste Attraktion am Sonntag war der Giants-Quarterback Daniel Jones. Und das auch nur, weil er wieder einmal unter Beweis stellte, dass es im Weltsport wahrscheinlich keinen Spielervertrag mit einem schlechteren Preis-Leistungs-Verhältnis gibt als seinen. 40 Millionen Dollar pro Jahr verdient der 27-Jährige, der in seiner Karriere ein einziges Play-off-Spiel gewonnen hat. Und seit Jahren zu den schlechtesten Quarterbacks der Liga gehört. Jones war auch einer der Hauptgründe dafür, dass die Giants am Sonntag im zehnten Spiel die achte Niederlage kassierten.
Gemäss der NFL bemühten sich mehr als drei Millionen Menschen um Tickets für die Partie vom Sonntag
Aber die Zahlen geben den NFL-Strategen recht. Alexander Steinforth, der bei der Liga für Deutschland zuständig ist, sagte: «Beim ersten Mal hätten wir drei Millionen Tickets verkaufen können. Und dieses Jahr waren noch mehr Leute in der Warteschlange.» Spekulanten, die ihre Eintritte auf dem Graumarkt für ein paar Euro Profit verhökern wollten, fielen allerdings auf die Nase – es waren viele Tickets deutlich unter dem Einkaufspreis zu haben. Was fraglos der überschaubaren Attraktivität dieser Partie geschuldet war.
Punkto Aufmerksamkeit aber ist der Plan aufgegangen. In die amerikanischen Stuben wurden wohlige Bilder aus dem Hofbräuhaus transportiert, Deutschland-Klischees, die vielleicht dabei helfen, die politisch inzwischen etwas poröse deutsch-amerikanische Freundschaft (nein, es ist nicht die sehr gute Band gemeint) zu erhalten.
Der ehemalige Nationalmannschaftsmanager Oliver Bierhoff irrlichtert jetzt im Dunstkreis der NFL
Auch medial wurde der Partie reichlich Beachtung geschenkt, wenn auch teilweise mit dem Tiefgang der eingangs erwähnten «wichtigstes NFL-Spiel des Jahres»-Einschätzung. Der ehemalige Fussballprofi Oliver Bierhoff etwa gab der «TZ» ein Interview, weil er die New England Patriots beim Markenaufbau im deutschsprachigen Raum unterstützt. Bierhoff sagte: «Die NFL versteht es hervorragend, eine emotionale Bindung zu schaffen und neue Zielgruppen anzusprechen. Die kontinuierliche mediale Begleitung der Teams, die Nähe zu den Spielern und die vielfältigen Inhalte – das sind Erfolgsfaktoren, die sich auch auf andere Sportarten übertragen lassen.»
Es waren fesselnde Einlassungen jenes Mannes, der bis 2022 Manager der deutschen Fussballnationalmannschaft war. Und unter dem sich diese mit jedem Jahr mehr von ihrem Publikum entfremdete, weil dem chronisch unterkühlten Manager das Gespür für die Basis gänzlich fehlte. Dass er die NFL, die ihre Profis in überdimensionierten Trainingszentren abschirmt wie in einem Hochsicherheitstrakt, als Musterbeispiel für «Nähe» sieht, erstaunt da wenig.
Dass Figuren wie Bierhoff im Dunstkreis der Liga herumschwirren, zeigt, wie gross American Football in Deutschland bereits geworden ist. Auch nächstes Jahr wird die NFL hier eine Partie austragen, daneben ist das Debüt in Spanien geplant, im Estadio Santiago Bernabeu von Real Madrid. Zum Saisonauftakt war die Liga erstmals nach Brasilien gereist; die Anstrengungen, die NFL über den Super Bowl hinaus zu einem globalen Ereignis zu machen, sind massiv. Irgendwie muss der Liga-Kommissionär Roger Goodell seinem Ziel von 25 Milliarden Dollar Umsatz pro Saison bis zum Jahr 2027 ja näher kommen, was mehr ist als das Bruttoinlandprodukt von Armenien.
Noch fehlen knapp 5 Milliarden, aber das Wachstum ist beständig. Und dürfte auch in Europa unvermindert anhalten. Solange sich Millionen Menschen darum bemühen, eines von 70 000 Tickets für ein Kehraus-Spiel in München zu ergattern, muss sich Goodell um die Sicherheit seines Jobs keine Sorgen machen. Unter dem 2006 eingesetzten Liga-Chef hat die NFL kommerziell alle Rekorde gebrochen, wofür er sich vergolden lässt: Er verdient pro Saison mehr als 60 Millionen Dollar.