Dienstag, Oktober 22

Nach einem umstrittenen Gerichtsentscheid geht die italienische Regierungschefin in der Migrationspolitik in die Offensive.

Nur gerade vier Tage nachdem ein Gericht in Rom die Festsetzung von zwölf Bootsmigranten in einem italienischen Aufnahmezentrum in Albanien für illegal erklärt hatte, hat die Regierung am Montag ein neues Gesetzesdekret erlassen. Damit soll sichergestellt werden, dass der Testlauf mit extraterritorialen Aufnahmezentren weitergeführt werden kann.

Das Römer Gericht hatte zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Festsetzung der Migranten – sie stammen aus Bangladesh und Ägypten – in Albanien gegeben sind oder nicht. Nach dem Willen der italienischen Regierung sollen in den soeben eröffneten Einrichtungen in dem balkanischen Land erwachsene männliche Bootsmigranten aus sicheren Herkunftsländern erfasst und im Falle der Ablehnung ihres Asylantrags rasch wieder von dort abgeschoben werden, und zwar bevor sie EU-Boden betreten haben. Das sogenannte Albanien-Modell ist neben den Abkommen mit nordafrikanischen Mittelmeeranrainerstaaten eines der Hauptelemente der Migrationspolitik von Giorgia Meloni.

Laut dem Gericht können aber weder Bangladesh noch Ägypten derzeit als sichere Herkunftsländer bezeichnet werden, weshalb die Migranten ein ordentliches Asylverfahren in Italien zu durchlaufen haben. Die Richter berufen sich auf einen kürzlichen Entscheid des Europäischen Gerichtshofes. Bereits am Samstag wurden die zwölf Migranten von der Küstenwache von Albanien in ein Aufnahmezentrum nach Bari in Apulien übergeführt.

Meloni will Migrationspolitik verteidigen

Die Regierung in Rom hat nun im Eilzugstempo die juristische Grundlage angepasst, um das Albanien-Modell zu retten. Das am Montagabend beschlossene Dekret legt neu auf Gesetzesstufe die Liste der sicheren Länder fest. Bisher war diese Liste Teil eines einfachen Erlasses der involvierten Ministerien – weshalb sie vom Gericht leicht angefochten werden konnte. Im gleichen Atemzug hat die Regierung am Montag die neue Liste von bisher 22 auf 19 Länder reduziert. Sie wird periodisch aktualisiert. Nicht mehr auf der Liste fungieren Nigeria, Kamerun und Kolumbien. Ob das Albanien-Modell mit diesen Entscheiden nun vor weiteren juristischen Anfechtungen sicher ist, bleibt aber vorerst ungewiss.

Giorgia Meloni ist offensichtlich gewillt, ihre Migrationspolitik durch alle Böden zu verteidigen. «Solange wir die Unterstützung der Bürgerinnen und Bürger haben, werden wir entschlossen und mit erhobenem Haupt weiterarbeiten, um unser Programm zu verwirklichen», schrieb sie am Montag auf X. Die Idee, Asylverfahren in Drittländer auszulagern, findet mittlerweile breite Unterstützung auf europäischer Ebene, wie das kürzliche Gipfeltreffen der EU-Staats- und -Regierungschefs gezeigt hat.

Gleichzeitig hat sich Meloni damit selbst unter Erfolgszwang gesetzt. Das Albanien-Modell ist aufwendig und teuer. Die Kosten für Bau und Betrieb werden auf 670 Millionen Euro für die kommenden fünf Jahre veranschlagt – in Zeiten klammer Staatsfinanzen ein erheblicher Betrag. In den ersten fünf Betriebstagen sind in Italien gesamthaft über 2200 Migranten angelandet, gerade einmal 16 davon sind nach Albanien gebracht worden, wie Matteo Villa, Leiter des Data-Lab des Mailänder Think-Tanks Ispi, ausgerechnet hat.

Das ist jetzt, zum Start des Experiments, natürlich eine etwas maliziöse Feststellung. Sollten sich die Gewichte jedoch nicht rasch verändern, droht der Regierung Ungemach. Bereits jetzt stellen Kritiker die Frage, warum Meloni die Effizienz des Asylsystems nicht zuerst in Italien verbessere, statt teure Einrichtungen im Ausland zu eröffnen.

Das Hin und Her um das Albanien-Modell hat in Italien die alte Kontroverse um das Verhältnis zwischen Politik und Justiz angeheizt. Beobachter fühlen sich an die früheren Schaukämpfe erinnert, als Silvio Berlusconi im Dauerclinch mit der Justiz lag.

Mattarella spricht ein Machtwort

Giorgia Meloni und einige ihrer Minister haben am Wochenende den Entscheid der Römer Richter unzimperlich kommentiert und als ungebührlichen Eingriff in die Politik zurückgewiesen. Während die Regierungschefin den Richtern parteipolitische Absichten unterstellte, bezeichnete Justizminister Carlo Nordio, ein früherer Staatsanwalt, den Richterspruch aus Rom als «abnormal», ein Begriff, der im italienischen Justizjargon dann verwendet wird, wenn Disziplinarmassnahmen im Raum stehen. Entsprechend empört äusserte sich der Präsident der nationalen Vereinigung der Richter und Staatsanwälte über Nordios Wortwahl. Sie wirke wie eine Drohung an die Adresse der Richter.

Am Sonntag hat Staatspräsident Sergio Mattarella ein Machtwort gesprochen. «Sprecht endlich miteinander», fasste der «Corriere della Sera» Mattarellas Intervention zusammen. Es gebe «Zeiten im Leben jeder Institution, in denen man sich nicht darauf beschränken kann, seine eigene Sicht der Dinge durchzusetzen». In solchen Momenten seien «Vermittlungs- und Synthesefähigkeiten» gefragt. Das sei ein wesentlicher Bestandteil des demokratischen Lebens. «Die Institutionen gehören allen, und jeder muss sich in ihnen wiedererkennen können.» Gemessen an den sonstigen Äusserungen des Staatspräsidenten war das ein geradezu leidenschaftlicher Appell.

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