Die Tessiner führen die Super League an und sind unter ausländischer Kontrolle zum Vorzeigemodell geworden. Doch da war plötzlich einer zu viel.
So etwas bietet der Schweizer Klubfussball sonst nie. Ein reicher ausländischer Geldgeber übernimmt – und fast alles wird gut. Jahr für Jahr, immer besser.
Der FC Lugano wird 2022 Vierter, im Jahr danach Dritter, alsbald Zweiter. Und jetzt führt der Klub die Super League an und kann Gedanken an den Meistertitel nicht verscheuchen. Er wurde 2022 Cup-Sieger und stand seither in jedem Cup-Final. Er kam im Europacup immer weiter und erreichte in dieser Saison die Achtelfinals der Conference League. Die Tessiner sind mit dem Amerikaner Joe Mansueto zu einer Nummer geworden, die nicht mehr zu übersehen ist.
Der Mäzen stellt viele Millionen zur Verfügung
Bald werden sie auch ein neues Stadion erhalten. Auch dafür hat Mansueto einen zweistelligen Millionenbetrag bereitgestellt. Im Jahr 2023 sind in der Buchhaltung «sonstige betriebliche Erträge» von nahezu 20 Millionen Schweizerfranken aufgeführt. Mansueto schiesst ein. Und der Laden läuft. Da fällt der negative Saldo aus Spielertransfers nicht ins Gewicht.
Der einzige Parameter, der bedenklich stimmt, ist der geringe Zuspruch des Publikums. Im landesweiten Liga-Vergleich geht der FC Lugano trotz Blüte schlichtweg vergessen.
Also fast alles gut ennet dem Gotthard? Denkste. Unlängst veröffentlichte der Klub ein knappes Communiqué, das die sofortige Trennung vom langjährigen Sportchef Carlos Da Silva zum Inhalt hatte. Er, der beständiger Teil des Mansueto-Projekts war, muss den Klub verlassen. Und dies, nachdem die Verantwortlichen in den vergangenen Wochen den Anschein erweckt hatten, dass alles gut sei, alle miteinander funktionierten und nichts den Luganersee trüben könne.
Der Hintergrund der sofortigen Trennung ist die Verpflichtung des 44-jährigen Deutschen Sebastian Pelzer. Dieser wurde aufs neue Jahr hin als Chief Sports Officer verpflichtet, gleichzeitig schuf man für Da Silva den Posten als «Head of First Team». Doch schon nach kurzer Zeit scheint sich herauskristallisiert zu haben, dass da einer zu viel ist. Bleiben darf der Chef, gehen muss der Untergebene, der den erfolgreichen Kurs des Klubs von der ersten Minute an begleitet hat.
Pelzer arbeitete in den vergangenen Jahren – wie der heutige Lugano-Verwaltungsrat Georg Heitz – für den Chicago Fire FC in der Major League Soccer. In dieser Zeit hat der Mansueto-Klub Chicago nie die Play-offs erreicht. Pelzer war schon immer der Chef Da Silvas, früher aus grosser Distanz in Chicago, seit Januar aus der Nähe im Tessin. Bis zum Bruch.
Da Silva soll eiskalt abserviert worden sein
Es menschelt im FC Lugano. Dabei hinterliessen die Beteiligten in den letzten Wochen bei jeder Gelegenheit den Eindruck der Harmonie. Pelzer und Da Silva traten zusammen an einer Medienkonferenz auf und waren in Lugano nicht selten gemeinsam an einem Tisch zu sehen. «Das passt», sagte Pelzer Mitte Februar dem Bezahlsender Blue, man müsse auf dem Weg in die Zukunft «die Menschen mitnehmen». Das klingt wie aus einem Wohlfühl-Seminar für Führungskräfte.
Doch kaum einen halben Monat später steht fest: Da Silva wird nicht mitgenommen. Aus Beraterkreisen verlautet, dass Da Silva «eiskalt» abserviert worden sei.
Der erst 41-jährige Da Silva, der stets von dem Rätselraten begleitet war, wie gross sein Einfluss tatsächlich ist. Der Sportchef, der einen guten Draht zu den Spielern hatte und Teamanlässe organisierte, was nicht unbedingt zu den Kernaufgaben eines Sportchefs zählt. Da Silva, der Teil der Transfer-Kommission war. Da Silva, der wie Pelzer dem Einzugsgebiet von Georg Heitz zuzuordnen ist, der Sportchef war, als der FC Basel in der Präsidentschaft Bernhard Heuslers bis 2017 während Jahren zuvor ungeahnte Höhe erklomm.
Pelzer sagt wiederholt, dass jeder Entscheid in Bezug auf den FC Lugano auch auf seinem Tisch gefällt worden sei. Heitz bestimmte mit. Zum Beispiel, als es galt, Renato Steffen von der Bundesliga ins Fussball-Niemandsland Lugano zu lotsen. Mit der dafür notwendigen Unterstützung Mansuetos, als Fürsprecher und Geldgeber.
Der Lugano-Coach Mattia Croci-Torti gab unlängst in einem Interview zu verstehen, dass Pelzer «immer» der Chef gewesen sei. Croci-Torti ging damals noch von einer «Kontinuität im Projekt des FC Lugano» aus. Mag sein, dass es diese immer noch gibt – aber nun ohne Carlos Da Silva.
Heitz und Pelzer wechseln von Chicago nach Lugano
Wie auch immer die Befugnisse im Klub verteilt sind: Pelzer und Heitz haben aus der Ferne im FC Lugano einen besseren Job gemacht als in den USA für Chicago Fire. Derweil sich in Chicago personelle Veränderungen aufdrängten, deutet die Leistungsbilanz des FC Lugano in keiner Weise darauf hin. Aber die eine Personalie steht mit der anderen in Verbindung.
Organisationen, die verschiedene Klubs im Portfolio führen, können nicht nur Spieler, sondern auch Funktionäre austauschen und weiterbeschäftigen. Pelzer nicht mehr in Chicago, dafür beim Ableger in der Schweiz. Frische Luft allenthalben. Als Mansueto letztes Jahr die Schweiz besuchte, sprach er von den Menschen, «die den Unterschied ausmachten».
Manifestiert sich Unverträglichkeit, so muss einer weg. Zuvor ist eine Weile Theater aufgeführt worden. Ein schönes Theater der Harmonie, das hinter dem Vorhang und in räumlicher Nähe disruptiven Charakter hatte. Bei den Summen, die Mansueto zur Verfügung stellt, kann es nicht sein, dass Da Silva weggespart wurde.
Ohne Da Silva kann der FC Lugano am Sonntag im Wankdorfstadion YB zusetzen. In der nächsten Woche folgt der Cup-Viertelfinal beim FC Biel, dem Leader der Promotion League. Das Ziel: der vierte Cup-Final in Serie. Danach steht schon bald der Achtelfinal der Conference League gegen den slowenischen Meister Celje an. Schliesslich soll der Tessiner Steigerungslauf nicht enden. Egal, mit welchem Personal.