Vor zehn Jahren empfahl sich Salah im FC Basel für höhere Aufgaben. Seit seinem Wechsel in die Premier League spielt er konstant auf Weltklasse-Niveau. Wie macht der ägyptische Nationalheld das?
Vor drei Jahren erhielt Mohamed Salah eine besondere Auszeichnung: Seine Laufbahn als Fussballer, die er in Europa einst im FC Basel zwischen Winter 2012 und Winter 2014 begann, wurde in die englischen Lehrbücher seines Heimatlandes Ägypten integriert. Diese Ehre ist bisher nur ganz wenigen Ägyptern zuteilgeworden, etwa den zwei Nobelpreisträgern Naguib Mahfouz (Literatur) und Ahmed Zewail (Chemie). In der Grundschule drehen sich die Inhalte um Salahs Verdienste beim FC Liverpool, in der Sekundärstufe handeln die Texte dann von seinem sozialen Engagement und dem Status als Nationalheld in der Heimat.
«Salahs Wunsch, anderen zu helfen, rührt daher, dass er jungen Menschen eine Chance auf Erfolg geben will», heisst es in den Schulschriften. Er sei ein «Vorbild für Millionen von Ägyptern», die ihm deswegen den Spitznamen «happiness maker» verpasst haben, Glücklichmacher. Und wie er die 95 Millionen Landsleute bisher glücklich gemacht hat: Salah, 32, ist der berühmteste Fussballer Ägyptens, so bekannt wie die Pyramiden von Gizeh. Mit seinen Leistungen hat er das ramponierte Image des Landes aufgebessert. Zudem führte der Offensivspieler das Nationalteam zur Weltmeisterschaft 2018, der ersten Teilnahme seit 1990.
Mit Liverpool gewann er alle wichtigen Titel
Und auch die Schweizer sind stolz auf Salah: Sie betrachten ihn als grössten Export, der je in der Super League gespielt hat. Denn die Deutschen Günter Netzer und Karl-Heinz Rummenigge kamen erst zum Karriereende hin in die Schweiz. Von Basel ging Salah für die damalige Schweizer Rekordablösesumme von 16,5 Millionen Euro zum Chelsea FC. Dort konnte er sich zunächst nicht durchsetzen und wurde verliehen – auch zur AS Roma, die ihn 2016 schliesslich verpflichtete. Doch bereits ein Jahr später holte der Liverpool FC Salah für 42 Millionen Euro wieder in die Premier League zurück.
Seitdem hat Salah den Merseyside-Klub mit 311 Torbeteiligungen in 359 Pflichtspielen zu allen relevanten Titeln im Klubfussball geschossen. Mit dem Klub gewann er die Champions League, die Klub-WM (beides 2019) sowie im Jahr 2020 den Meistertitel in der Premier League. Mit 161 Treffern gehört er zu den Top-Ten-Torjägern in der höchsten englischen Liga; 2019 wurde er auch Torschützenkönig. Und seit er vor drei Jahren den Ivoirer Didier Drogba abgelöst hat, ist Salah auch der beste afrikanische Torschütze. In jedem Jahr sind ihm stets mindestens 23 Goals gelungen – eine Konstanz, die in England gleichzeitig nur Harry Kane bei Tottenham Hotspur gelang.
Auch in dieser Saison bestätigt Salah bereits wieder sein Ausnahme-Niveau. Der Linksfuss ist das Totem des Klubs, seine elf Assists in zehn Pflichtspielen haben einen reibungslosen Trainerwechsel von Jürgen Klopp zu Arne Slot gewährleistet. Liverpool ist derzeit Tabellenführer in der Liga und startete mit zwei Siegen in die Champions League.
Salahs Trefferquote wurde immer besser
Salah ist eine Mischung aus Torjäger und Flügelspieler, seine Stammposition ist Rechtsaussen. Seine Verpflichtung basierte auf einer Analyse-Software des FC Liverpool, die bei Angreifern die Torwahrscheinlichkeit misst, die sich aus deren Laufwegen, Pässen und Schüssen ergibt. Ian Graham, der frühere Datenanalyst des Klubs, berichtete der «New York Times», dass Salah damals sozusagen «alle Kriterien» erfüllt habe. Für den Klub war er in gewisser Weise die letzte fehlende Spitze im Angriffs-Dreizack mit dem Mittelstürmer Roberto Firmino und dem Linksaussen Sadio Mané.
Auf das genannte Trio richtete Klopp daraufhin seinen Hochgeschwindigkeitsfussball aus. Die Strategie passte perfekt zu einem Zitat der Trainerlegende Bill Shankly, der einmal sagte, Fussball sei wie ein Klavier: Es benötige acht Leute, um es reinzutragen und drei, die es spielen könnten. In Liverpool spielt keiner so gut wie Salah, er vereint die Fähigkeiten seiner früheren Mitspieler – Manés Antritt und Zielstrebigkeit sowie Firminos Spielwitz und Eleganz. Die Fans verehren ihn dafür mit einem Sprechgesang, in dem sie ihn als «ägyptischen König» würdigen. Darin heisst es über den an der Seitenlinie hoch- und runtersausenden sowie kaum vom Ball zu trennenden Irrwisch: «Mo Salah / Running down the wing / Mo Salah la-la-la la-ahh, The Egyptian King».
Salah erteilte sofort seine Zustimmung zu dem Liedchen, er liebe es genauso wie die Atmosphäre an der Anfield Road, sagte er. Als er einmal mit dem Chelsea FC in Liverpool gastierte, habe er sich vorgenommen, eines Tages auch für diesen Klub zu spielen, gab Salah kurz nach dem Transfer nach Liverpool zu. Zum Publikumsliebling in Anfield stieg er im April 2018 auf: Im Champions-League-Halbfinal verzauberte er – Simsalahbim! – seinen früheren Klub Roma fast allein – mit zwei Toren und zwei Assists bei Liverpools berauschendem 5:2.
«Ich hätte ihm die Weltkarriere nie zugetraut, und auch nicht, dass er einmal Torschützenkönig wird», gibt Alexander Frei im Gespräch mit der NZZ zu. Der Rekordtorschütze der Schweiz spielte mit Salah einst im FC Basel zusammen. Damals habe dieser zwar bereits über ein «famoses Potenzial verfügt und intuitiv vieles richtig gemacht», sagt Frei. Aber er habe «keinerlei Anzeichen eines Torjägers» aufgewiesen; sein Spiel sei wild und ohne Struktur gewesen. So sieht es auch Markus Steinhöfer, der der «Süddeutschen Zeitung» erzählte, ein Haken sei bei Salah seinerzeit dem nächsten gefolgt – bis der Ball weg gewesen sei. Er könne sich nicht daran erinnern, dass Salah «anfangs überhaupt mal aufs Tor geschossen» habe, nicht einmal im Training, sagt Steinhöfer.
Doch Salah verfügt über einen eisernen Willen und unbändige Disziplin. Beides bewies er bereits mit 14 Jahren, als er fünf Mal pro Woche eine zweieinhalbstündige Busfahrt über Schotterstrassen von seinem Heimatdorf Basyoun in die Hauptstadt Kairo auf sich nahm, um beim Klub Arab Contractors SC zu trainieren. Der Durchbruch gelang ihm dann mit dem ägyptischen U-23-Team in einem Testmatch gegen den FC Basel in der Vorbereitung auf die Olympischen Spiele 2012. In der zweiten Halbzeit schoss er nach seiner Einwechslung zwei Tore – woraufhin ihn der FCB umgehend verpflichtete.
Trotz Sprachbarriere und Kulturwechsel habe sich Salah im Team «sofort integriert», sagt Frei. Er habe Salah von Beginn an gemocht. Denn dieser sei offen, respektvoll, demütig, zugänglich, lernfähig und für jeden Spass zu haben gewesen, sagt der frühere Schweizer Nationalspieler. Diese Eigenschaften hat sich Salah bis heute bewahrt. Er arbeitete wie ein Besessener an seinem Talent und verbesserte seine Torbilanzen: In Basel traf er in 25 Prozent der Spiele, für die AS Roma in 40 Prozent – bei Liverpool liegt seine Quote derzeit bei 60 Prozent.
In Ägypten sind Strassen und Institutionen nach ihm benannt
Die Basis für seine beachtliche Verweildauer an der Weltspitze ist seine beeindruckende Fitness. Obwohl er von seinen Gegenspielern bisweilen hart angegangen wird, ist Salah bisher nie lange verletzt ausgefallen. Die gravierendste Verletzung erlitt er im verlorenen Champions-League-Final 2018, als er sich die Schulter auskugelte und dann nur eingeschränkt an der folgenden WM für Ägypten mitwirken konnte.
Damals riss ihn der Real-Verteidiger Sergio Ramos im Kampfsport-Stil zu Boden. Dem Männermagazin «GQ», für das Salah vor Jahren einige aus Internetforen zusammengestellte Fragen beantwortete, sagte er, er lege hohen Wert auf Work-out, Stabilisation und Ernährung. Dabei übe er vor allem mit Fitnessbändern, weil diese tief in die Muskeln hineinwirkten. Gewichte hingegen würden nur seine Bewegungen verlangsamen.
Seine Akribie, Bescheidenheit und Erfolge machen Salah zu einem Vorbild für seine Landsleute. Auf ihn scheint sich das gespaltene und leicht entflammbare Ägypten stets als gemeinsamen Nenner verständigen zu können. Salah sei ein cleverer Junge und sei sich immer bewusst gewesen, dass er wegen seines Stellenwerts eine Schuldigkeit gegenüber der Nation habe, glaubt Frei. Sich öffentlich wie ein Idiot zu benehmen, würde sich nicht mit diesem Anspruch vertragen. Und tatsächlich sind von Salah, der ein gläubiger Muslim ist und nach jedem Goal Gott dankt, keine Skandale bekannt. Er gibt nur selten Interviews und äussert sich fast nie zu einer Sache kontrovers.
In Salahs Geburtsort sind mittlerweile Institutionen und Strassen nach ihm benannt. Bei den Präsidentschaftswahlen in Ägypten 2018 sollen laut dem Politmagazin «The Economist» sogar mehr als eine Million Menschen für Mohamed Salah votiert haben. Sie kreuzten auf den Stimmzetteln die aufgeführten Kandidaten durch – und schrieben stattdessen ihren Lieblingsfussballer drüber.