Samstag, November 23

Wie der Fleece den Weg aus den Bergen in die Modeboutiquen fand – und dabei seinen Preis vervielfachte.

Das einstige Outdoor-Material für kernige Bergsteiger und liebenswerte Grosseltern ist schon vor einiger Zeit in die Welt der Mode aufgenommen worden. Doch ursprünglich besass Fleece wenig modischen Glanz, dafür verband man es mit Zweckmässigkeit. Ende der 1970er Jahre entwickelten Malden Mills und die noch heute bekannte Outdoor-Marke Patagonia das Material Synchilla, kurz für synthetisches Chinchilla-Fell.

Es war ein leichter, isolierender Stoff. Ideal für Kletterer und Abenteurer, die wetterresistente Ausrüstung wollten, ohne sich mit schwerem Wollstoff beladen zu müssen. Mit Marken wie Patagonia und The North Face begann Fleece seine Laufbahn als Outdoor-Essential – damals noch weit entfernt von Laufstegen und Catwalks.

Doch währenddessen schlummerte in diesem Stoff eine kleine Revolution: Als Zeichen des entspannten Pragmatismus fand Fleece seinen Weg in die Strassenmode. Was in den 1990er Jahren zum treuen Begleiter für Wanderungen wurde, wärmte bald auch Schultern in U-Bahnen und frierende Naturwissenschaftsstudenten in Uni-Hörsälen – unaufgeregt und allgegenwärtig. Die Modewelt hat in der Regel anderes im Sinn.

Sprung in die Luxuswelt

Es kam die Trendwende. Gen Z und Millennials, ständig auf der Suche nach dem «casual cool», entdeckten die Fleece-Jacke neu und verwandelten dieses Kleidungsstück von der Wanderbekleidung zum Streetwear-Must-have. Luxusmarken wie Miu Miu, Gucci und Balenciaga nahmen sich des Materials an und kreierten Modelle, die den traditionsreichen Fleece-Look mit modernen Silhouetten und kräftigen Farben veredelten.

Die nächste Stufe ist nun die Verteuerung und Veredelung: Heute kann man sich in einem Fleece-Windbreaker oder einer Jacke aus rezykliertem Polyester in der Tat sehen lassen – vorausgesetzt, man scheut nicht den Preis, denn viele Stücke schlagen inzwischen mit mehreren hundert Franken zu Buche.

Modische Kulturverschiebung

Hierin liegt eine spannende Kulturverschiebung: Ein Material, das ursprünglich dazu diente, sich vor den Launen der Natur zu schützen, ist heute nicht mehr ausschliesslich für den Waldspaziergang gedacht. Stattdessen schmücken sich Menschen in Modemetropolen wie New York und London mit Fleece-Mode.

Der Hype darum mag auf dem Konzept der Modewelt basieren, Dinge aus ihrer ursprünglichen Funktion herauszulösen und zu einem Statement-Piece zu stilisieren. Eine ähnliche Entwicklung durchlief der Trenchcoat. Ursprünglich wurde er im Ersten Weltkrieg als militärischer Regenmantel für Soldaten entwickelt. Oder die Jeans, die aufgrund ihrer Strapazierfähigkeit anfangs nur von Minenarbeitern und Cowboys getragen wurden. Heute sind beide Kleidungsstücke in so manchem Kleiderschrank zu finden.

Fleece steht für modernen Luxus, bei dem sich Schlichtheit und Funktionalität vereinen. Käuferinnen und Käufer bekommen das Gefühl vermittelt, dass sie mit einem einzigen Teil, das modisch aufgeladen wird, ihre gesamte Garderobe funktionaler machen können. Und das, ganz nebenbei, für Preise, die den einen oder anderen Wochenendausflug finanzieren könnten.

Wie ein Kronleuchter in der Gartenlaube

Der Unterschied zwischen diesen neuen «Fleece»-Jacken und dem klassischen Outdoor-Piece könnte kaum grösser sein: Während die ursprüngliche Variante aus einem Stoff war, der eine robuste, wärmende und weniger kostspielige Alternative zu Wolle sein sollte, bestehen die teuren Fleeces grosser Designer aus hochwertiger Schafwolle. So bleibt vom ursprünglichen Fleece meist nur die Optik – das Material selbst ist längst kein synthetisches Produkt mehr, sondern eine luxuriöse Interpretation dessen, was einst als Outdoor-Textil begann. Als fertigte man Gummistiefel aus feinstem italienischem Kalbsleder.

Wer bereit ist, 3500 Franken für Diors Interpretation eines Fleece zu zahlen, interessiert sich wohl eher nicht für die nächste Wanderung, sondern sieht ihn als subtil anmutendes Prestigeobjekt. Der Preis markiert weniger die Funktion, sondern vielmehr die modische Aura dieses «neuen Kaschmirs».

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