Montag, Oktober 7

Fredy Bayard sanierte den «Walliser Boten» und das «Bieler Tagblatt». Aus den verstaubten Lokalzeitungen machte er moderne Medienunternehmen. Was ist sein Erfolgsgeheimnis?

Das Zürcher Verlagshaus Tamedia gab unlängst bekannt, in den Redaktionen 90 Stellen abzubauen, viele davon im Lokalen. Was ging Ihnen da durch den Kopf?

Ich kenne die entscheidenden Kennzahlen von Tamedia nicht. Aber es gäbe sicher einen Weg zwischen der von der Unternehmensleitung angepeilten Rendite und einem Verlustgeschäft. Mein Ziel beim «Walliser Boten» und beim «Bieler Tagblatt» ist, dem Lokaljournalismus möglichst viel Platz einzuräumen. Ich investiere auch. Und wenn wir sparen müssen, versuchen wir, die Redaktionen zu verschonen.

Als Sie den «Walliser Boten» 2018 von der Besitzerfamilie Mengis übernahmen, war das Unternehmen in einer wirtschaftlich schwierigen Situation. Heute sind die Zahlen viel besser. Warum?

Zuerst habe ich die drei Druckereien im Oberwallis fusioniert. Wir konnten eine Digitalmaschine nach Deutschland verkaufen und haben wieder auf das klassische Druckgeschäft gesetzt. Die Zeitung lassen wir bei der TX Group drucken, dem Mutterhaus von Tamedia. Der Druck des «Walliser Boten» war früher dreimal teurer.

Was haben Sie noch verändert?

Wichtig war, die Kosten zu senken. Die Journalisten arbeiten heute in der ehemaligen Druckerei, das Gebäude stand lange leer, dafür mussten wir woanders Miete bezahlen. Ausserdem hatten wir im Wallis eine absurde Situation: Das Lokalradio Rottu, das mit über 2 Millionen Franken staatlichen Gebührengeldern unterstützt wird, gestaltete neben seinem herkömmlichen Programm eine attraktive Website. Mit dieser konkurrenzierte es die Lokalzeitung, die keine Subventionen erhält.

Man kannibalisierte sich.

Leider! Das passiert im ganzen Land. Das Schweizer Radio und Fernsehen (SRF) hat einen hochkompetenten Online-Auftritt, der allen gratis zur Verfügung steht. Damit tritt es in Konkurrenz mit privaten Medienunternehmen.

Im Wallis passiert das nicht mehr.

In so einer kleinen Region müssen wir uns konzentrieren und die Kräfte bündeln. Ich habe damals die Aktienmehrheit des Radios übernommen und es mit der Zeitung zu einem Medienunternehmen mit einem Newsportal fusioniert. Danach mussten alle Nutzer für alle Artikel bezahlen.

Haben die sich nicht beschwert?

Sicher, massiv. Ich sagte ihnen: «Gute Informationen sind doch 70 Rappen am Tag wert.» Für jeden Kaffee bezahlt man 4 Franken 50.

Warum braucht es überhaupt Lokaljournalismus in einer globalisierten Welt?

Damit die Leute wissen, was um sie herum läuft, wann das Schultheater stattfindet, was der Gesangsverein macht oder wie sich der lokale Fussballverein in der 3. Liga schlägt. Und was politisch passiert. Ohne Lokalzeitung berichtet darüber niemand, stellt niemand den lokalen Behörden Fragen oder hält der Kantonsregierung den Spiegel hin. Es schwindet das Zusammengehörigkeitsgefühl. Wer keinen Bezug hat zur Region, dem fehlt die Heimat. Darum greifen jeden Tag 50’000 Leute auf unser Newsportal zu. Das ist enorm!

Gehören zu denen auch die zugezogenen Mitarbeiter von Lonza?

Leider nein. Ich denke, je länger Zuzüger hier wohnen, desto mehr interessieren sie sich auch für das Wallis. In unserer App kann man die Sprache ändern und alle Artikel auch auf Französisch und Englisch lesen. In einer Zeit, in der alle anderen Zeitungen Abos verloren, haben wir gewonnen.

Wie viele?

2000 netto, mit den gestrichenen Gratisabos sind es fast 3000. Heute verkaufen wir über 18’000 Abos. Und das, obwohl wir die Preise für 2024 erhöhten. Das Digitalabo kostet im Jahr 280 statt 240 Franken, das Printabo 449 statt 398 Franken Franken.

Warum sind die Abozahlen gestiegen?

Weil die Redaktion hier einen guten Job macht und die Bezahlschranke hart ist. Die Zeitung wurde relevanter.

Wie haben Sie das gemerkt?

Mich haben öfter Freunde oder Bekannte angerufen wegen eines Artikels in der Zeitung. Manche haben sich auch beschwert. Aber ich mische mich nicht ein. Ich bin froh, wohne ich seit über 30 Jahren nicht mehr im Wallis, sondern in Bern. So fühle ich mich unabhängiger.

Sind die Journalisten auch unabhängig?

Sie wurden unabhängiger, weil es dem Unternehmen bessergeht. Wer zu stark von Inserenten lebt, ist erpressbar.

Sie haben auch die Löhne der Journalisten erhöht.

Ich kam als Modeunternehmer von aussen und habe realisiert: Lokaljournalismus ist eine sehr anspruchsvolle Aufgabe. Die Leute arbeiten jeden Tag viele Stunden, bis spätabends, und sie sind danach ihrem Umfeld ausgesetzt, das sie auf Artikel anspricht oder kritisiert. Ich wollte ihren Einsatz anerkennen.

Um wie viel haben Sie die Löhne denn erhöht?

Etwa 20 Prozent.

Es gibt nicht viele Journalisten in der Schweiz, die so etwas erlebten. Wie haben die Mitarbeiter reagiert?

Journalisten sind nicht Menschen, die einem um den Hals fallen. Aber das wollte ich auch nicht. Es ging mir darum, zu zeigen: Ihr seid etwas wert, dieser Beruf ist etwas wert. Die Mitarbeiter haben es als Anerkennung wahrgenommen. Das ist mir wichtig. Aber wer nicht motiviert ist, der wird auch mit mehr Lohn nicht motivierter.

Was für Fehler haben Sie gemacht?

Ich bin ein Typ, der schnell entscheidet. Manchmal habe ich es verpasst, die Leute mitzunehmen. Gleichzeitig biete ich denen etwas, die sich gerne bewegen.

Haben Sie als Medienunternehmer eine besondere gesellschaftliche Verantwortung?

Das denke ich schon, ja. Hätte ich nur mein Geld vermehren wollen, hätte ich sicher nicht Zeitungen gekauft.

Es war also auch eine ideelle Entscheidung?

Zu hoch möchte ich mein Tun nicht hängen. Unternehmen sollen gewinnbringend sein, aber ich muss nicht als Reichster auf dem Friedhof Visp begraben werden.

Sie sind mittlerweile nur noch Verwaltungsrat und haben die Firma vor zwei Jahren den Mitarbeitern verkauft. Kam das gut an?

Journalisten haben nicht so viel Zeit, sich für das Geschäft zu interessieren. Ich bot ihnen einen moderaten Kaufpreis und sagte, ich wolle nicht, dass sie die Firma einem Grossen übergäben. Deswegen gibt es vertragliche Restriktionen. Das Ziel ist, das Unternehmen möglichst lange in der Region zu behalten.

Was ist der Vorteil dieser Lösung?

Die Zeitung gehört den Einheimischen, und so kommt sie auch daher. Im «Walliser Boten» veröffentlichen wir jeden Tag mindestens zehn Lokalseiten. Inland- oder Auslandnachrichten kommen weiter hinten, und die kaufen wir von CH Media ein.

Arbeitet man auch anders, wenn einem die Firma gehört?

Kommt darauf an. Manche Leute haben ein unternehmerisches Gen, andere nicht.

Besteht die Gefahr, dass die Journalisten auf Reportage noch ein paar Inserate verkaufen, wenn sie plötzlich am Erfolg des Unternehmens direkt beteiligt sind?

Schön wäre es! (Lacht.) Nein, das machen sie nicht. Alle wissen, dass es wichtig ist, die Abos zu halten. Das machen wir mit gutem Inhalt.

Auch das «Bieler Tagblatt» wollen Sie den Mitarbeitern verkaufen – übernehmen Sie in Biel einfach das Modell aus dem Wallis?

Nicht eins zu eins. Biel kenne ich weniger gut. Zum Glück konnte ich Stefan Niedermaier an Bord holen und ihm die Hälfte der Aktien verkaufen. Er ist ein IT-Unternehmer, ich arbeite mit ihm schon viele Jahre. Und er war Chef beim Fussballklub Young Boys und kennt unglaublich viele Leute. Er wird der starke Mann in Biel.

Haben Sie die Aufgabe in Biel unterschätzt?

Nein, ich wusste schon, worum es geht. Das «Tagblatt» war online unheimlich schwach. Der digitale Auftritt bestand mehr oder weniger aus einem PDF, der Anteil Digitalabos lag etwa bei 2 Prozent. Es war beängstigend. Das haben wir sofort in Ordnung gebracht.

Wie?

In die IT investiert und eine gute App gebaut, Ajour.

Und sonst?

Organisatorisch bot das Unternehmen, das ich von Marc Gassmann übernommen habe, gute Voraussetzungen: Ein Medienhaus, in dem die Redaktionen von Zeitung, Radio und Fernsehen vereint sind, gab es schon. Wir mussten die Journalisten aber im Arbeitsalltag näher zusammenbringen, da gibt es immer noch Luft nach oben. Publizistisch herausfordernd ist die Zweisprachigkeit, aber auch das sehr heterogene Gebiet: von der urbanen und offenen Stadt Biel bis zum ländlichen Berner Jura. Die Leute fühlen sich weniger zusammengehörig, es gibt nicht so viele polemische Diskussionen.

Ist das schlecht?

Es hilft uns, wenn Emotionen im Spiel sind. Dann wollen die Leser wissen, was passiert.

Wo stehen Sie denn jetzt mit den Unternehmen in Biel?

Wir haben in den Journalismus investiert, Stellen geschaffen und Löhne angepasst. So sind wir konkurrenzfähig und konnten gute Leute holen. Nun müssen wir Abos gewinnen, zwischen 3000 und 6000 zusätzlich. Wenn wir das geschafft haben, verkaufen wir die Firma an die Mitarbeiter, sofern diese das wollen und können.

Wie verkaufen Sie mehr Abos?

Wir haben eine harte Paywall und bieten gute Geschichten. Die Zahl der Digitalabos ist bereits von 2 auf 18 Prozent gestiegen.

Klingt logisch – und einfach. Hat der Lokaljournalismus doch eine Zukunft?

Sicher! Wo die Zeitungen verschwinden, werden entweder die Gemeinden mehr Informationen liefern, was ich nicht gut finde, weil die nicht unabhängig sind. Oder ein Unternehmer hat Lust und Energie, etwas aufzubauen. Die Eintrittsschwelle in den Markt wird tiefer, wenn ein Medium nur noch online existiert und nicht mehr gedruckt werden muss. Mit fünf, sechs Journalisten kann man schon viel machen.

Wenn Sie das «Bieler Tagblatt» verkauft haben, ziehen Sie sich dann aus dem Mediengeschäft zurück?

Ja – und ich kümmere mich dann nur noch um das Thermalbad Brigerbad. Da habe ich ein schönes Umfeld: 2500 Geranien, eine gute Aussicht, 90 Prozent motivierte Mitarbeitende, 90 Prozent zufriedene Kunden. Das ist in den Medien nicht ganz das Gleiche.

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