Die indische Regierung präsentiert sich als Sieger des viertägigen Konflikts mit Pakistan. Viele Nationalisten werfen ihr aber vor, sich vorzeitig auf eine Waffenruhe eingelassen zu haben. Trumps Vermittlungsangebot kommt da zur Unzeit.
Eine Woche nach Vereinbarung der Waffenruhe zwischen Indien und Pakistan herrscht wieder Ruhe zwischen den Atommächten. Die Toten des viertägigen Konflikts sind bestattet, die Trümmer wurden beseitigt, und die Flughäfen sind wieder geöffnet. Nach dem tagelangen Artillerie- und Raketenbeschuss sowie den wechselseitigen Drohnen- und Luftangriffen schweigen die Alarmsirenen in den Städten an der Grenze. Ist also im Konflikt um Kaschmir wieder alles wie zuvor? Nein, sagt der indische Premierminister Narendra Modi.
Mit dem Militäreinsatz habe Indien eine «neue Norm» und «einen neuen Richtwert im Kampf gegen den Terror gesetzt», sagte Modi in seiner ersten Rede nach der Waffenruhe vom 10. Mai. Indien werde Pakistan künftig für jeden Terroranschlag in Indien militärisch direkt zur Verantwortung ziehen. Die indische «Operation Sindoor» sei mit der Waffenruhe nicht beendet, sondern nur ausgesetzt, betonte Modi. Indien werde genau verfolgen, was Pakistan weiter tue.
Der Auslöser des Konflikts war am 22. April ein Anschlag auf Touristen im indischen Teil von Kaschmir gewesen. Indien machte Pakistan für den Angriff mit 26 Toten verantwortlich. Zur Vergeltung flog die Luftwaffe am 7. Mai Angriffe auf Einrichtungen der islamistischen Terrorgruppen Lashkar-e Toiba und Jaish-e Mohammed in Pakistan. Binnen weniger Stunden eskalierte der Konflikt und brachte die beiden Atommächte an den Rand eines offenen Krieges.
In seiner Ansprache an die Nation warnte Modi Pakistan vor «nuklearer Erpressung». Diese werde nicht funktionieren, Indien werde trotzdem die Verstecke der Terroristen attackieren, sagte der Hindu-Nationalist. Dies bedeutet, dass Indien künftig selbst im Fall eines drohenden Nuklearschlags weiterkämpfen will. Ausserdem sagte Modi, das Indus-Abkommen mit Pakistan – das Delhi nach dem Anschlag in Kaschmir suspendiert hatte – bleibe ausgesetzt, solange der Terror nicht ende. Denn «Wasser und Blut können nicht zusammenfliessen».
Trumps Vermittlungsangebot erteilt Indien eine Absage
Donald Trumps Rolle als Vermittler erwähnte Modi dagegen in seiner Rede mit keinem Wort. In Indien ist die Verärgerung gross über den amerikanischen Präsidenten. Dieser hatte am 10. Mai als Erster die Nachricht der Waffenruhe verkündet. Dabei stellte Trump sie als Erfolg seiner Vermittlung dar. Zudem kündigte er weitergehende Gespräche zwischen den Nachbarn an und stellte ihnen eine Ausweitung des Handels mit den USA in Aussicht. Zwei Tage später erneuerte Trump sein Angebot, im Kaschmir-Konflikt zu vermitteln.
Während Pakistans Premierminister Shehbaz Sharif Trump für sein Engagement dankte und sich offen für Verhandlungen mit Indien zeigte, beharrte Delhi darauf, dass die Waffenruhe in direkten Gesprächen ohne externe Vermittlung ausgehandelt worden sei. Nach indischer Darstellung war es Pakistan, das nach den Raketenangriffen auf seine Militärbasen am Morgen des 10. Mai um die Feuerpause bat. Indien lehnt traditionell jede Vermittlung im Kaschmir-Konflikt ab.
Für Delhi ist der Streit um die mehrheitlich muslimische Himalajaregion eine rein bilaterale Angelegenheit. Trumps Angebot, zu vermitteln, wird als Affront empfunden. Modi erteilte Verhandlungen denn auch eine Absage. Gespräche könne es nur über eine Beendigung des Terrors und den pakistanischen Teil Kaschmirs geben, sagte er. Dies ist für Islamabad freilich inakzeptabel. Es will über die Zukunft von ganz Kaschmir sprechen – also auch über den indischen Teil.
Die Nationalisten sind enttäuscht über die Waffenruhe
Viele indische Kommentatoren sind alarmiert in Bezug darauf, dass Indien im Kaschmir-Konflikt wieder als gleichrangig mit Pakistan behandelt wird. Unter Modi war Indien in den letzten Jahren bemüht, sich als aufstrebende Weltmacht zu präsentieren, die in einer anderen Liga spielt als der ungeliebte Nachbar. Für Irritationen sorgte in Indien zudem, dass Trump suggerierte, dass für die beiden Staaten eine Ausweitung des Handels ein Anreiz sein könnte, zu einer Einigung zu kommen.
Die Opposition verlangte prompt Auskunft von Modi, ob er etwa bereit sei, Kaschmir für bessere Wirtschaftsbeziehungen mit den USA zu opfern. Für Modi ist das unbequem. In nationalistischen Kreisen gibt es ohnehin Vorwürfe, dass er unter dem Druck der USA vorzeitig eingeknickt sei. So beklagten Kommentatoren in den Medien, dass Indien seinen Erzfeind habe davonkommen lassen, statt zu kämpfen, bis die Terrorgefahr ein für alle Mal gebannt sei.
Viele indische Fernsehsender, die schon zu normalen Zeiten einen überdrehten Hypernationalismus vertreten, hatten während der Kämpfe die Erwartungen hochgeschraubt. Zahlreiche Falschnachrichten zirkulierten. So hiess es, Karachi sei unter Beschuss, indische Truppen seien über die Grenze vorgedrungen, Pakistans Premierminister habe Zuflucht in einem Bunker gesucht, es sei ein Militärputsch im Gang. Als dann überraschend eine Waffenruhe vereinbart wurde, sorgte dies in nationalistischen Kreisen für Ernüchterung.
Der Personenschutz des Aussenministers wurde verstärkt
Modis Regierung, die sich sonst gerne als Verkörperung der indischen Nation präsentiert, ist nun plötzlich mit Vorwürfen konfrontiert, das Land verraten zu haben. Speziell Aussenminister Subrahmanyam Jaishankar und dessen rechte Hand, Vikram Misri, sind derart harscher Kritik ausgesetzt, dass die Regierung ihren Polizeischutz verstärkte.
Die chauvinistische Stimmungsmache der indischen Nationalisten ignoriert aber, wie brisant die Lage während des viertägigen Schlagabtauschs war. Im Nachhinein wurde bekannt, dass an den ersten Luftkämpfen entlang der Grenze mehr als 110 Kampfjets beteiligt waren. Beide Seiten setzten für ihre Angriffe auf die Militärflughäfen des Gegners neben Drohnen auch ihre modernsten Hyperschallraketen ein.
Zudem verlegte Indien eine Flugzeugträgergruppe vor die pakistanische Küstenmetropole Karachi, um sich für Angriffe bereitzuhalten. Am Ende wurde gar eine nukleare Eskalation befürchtet, als die Nachricht verbreitet wurde, dass Pakistans Militär das Gremium einberufen habe, das über den Einsatz von Atomwaffen entscheide. Pakistans Verteidigungsminister dementierte dies zwar später. Doch die Nachricht bewog die USA offenbar, beide Seiten zur Deeskalation zu drängen.
Nach dem Ende der Kämpfe fällt die Bilanz gemischt aus. Indien scheint es gelungen zu sein, die anvisierten «Terrorcamps» präzise zu treffen. Luftaufnahmen zeigen, dass es auch auf den pakistanischen Stützpunkten einige Treffer landen konnte. Ähnliche Schäden auf indischen Basen sind nicht dokumentiert. Dafür hat Pakistan bei den Luftkämpfen offenbar drei oder mehr indische Kampfjets vom Himmel geholt. Indiens Regierung schweigt bis jetzt hartnäckig dazu und betont lieber die eigenen Erfolge. Doch auch so wird Modi Mühe haben, die Öffentlichkeit zu überzeugen, dass der Einsatz ein voller Erfolg war.