Sonntag, September 8

Patti Basler ist eine der erfolgreichsten Komikerinnen der Schweiz. Ihre Hemmschwelle ist tief, aber ihre Schutzwälle sind hoch. Ein Besuch im Keller.

Wäre sie nicht als katholisches Bauernmädchen aufgewachsen, würde sie heute als Pfarrerin auf der Kanzel stehen. Würde sie zum Vorbild taugen, wäre sie Lehrerin geblieben. Weil sie zwar gerne vor Publikum steht, mit der Welt aber nur klarkommt, indem sie sich darüber lustig macht, ist Patti Basler stattdessen Satirikerin geworden. Applaus ist ihr Treibstoff, Scheinwerfer lösen zuverlässig Dopaminschauer aus.

Ob Radio, TV, Zeitung, Social Media, Firmenevent oder Kleinkunstbühne: Patti Basler macht das alles. Kann das alles. Wer ihr folgen will, muss bei der Sache bleiben. Und die Sache ist meistens Politsatire. Etwa, wenn sie zum Ende der SRF-«Arena» die politische Debatte in einem bitterbösen Kurzprotokoll zusammenfasst. Humor, sagt Basler, müsse nicht unbedingt politisch sein. «Aber wenn nicht – wo bleibt dann die Relevanz?»

Ein Besuch in Baslers Arbeitshöhle, die genau genommen ein schwarz gestrichener Keller unter einem langgezogenen Badener Parkhaus ist.

Ein Zürcher Kopfbahnhof

An den Kellerwänden hängen alte Show-Schilder und von Freundinnen gemalte Bilder. Darunter breitet sich eine Sofalandschaft aus. Alles ganz ordentlich – ein glücklicher Zufall, sagt Basler. Dann geht der Blick von den Wänden weg und zurück in die Vergangenheit.

Basler wuchs in den siebziger und achtziger Jahren auf einem Bauernhof im Aargau auf, genau zwischen Basel und Zürich. Erst teilte die Eisenbahnlinie ihr Heimatdorf Zeihen in zwei Hälften, später drängte sich die A 3 an seinen Rand. Lange vor der Autobahn allerdings kamen die Futtermittelverteter und der Besamungstechniker, die Milchkontrolleurin und der Bauer vom Nachbarhof bei der Familie Basler vorbei. Alle wollten etwas, meistens erst einmal einen Kaffee, ein Bier oder gleich ein Kafi Lutz. Auf alle musste man sich einlassen, mit allen musste man klarkommen. Davon lebt ein Bauernbetrieb. Vielleicht hat Basler da gelernt, ihre Berührungsängste ab- und die Schlagfertigkeit aufzubauen.

Dass sie lustig sei, habe sie bereits mit zwei Jahren erkannt, sagt Basler. Hinter ihr hängt ein pinker Donut an der Wand, daneben ein gleichfarbiges Schild mit der Aufschrift «PATTIS-SERIE». Überbleibsel ihres gleichnamigen SRF-Formats, in dem sie vor den letztjährigen Wahlen mit den Präsidenten aller grosser Parteien über Politik, Probleme und Süssigkeiten sprach.

Intensiv auf solche Engagements vorbereiten muss Basler sich nicht. Ihr Markenzeichen – sie sagt USP, Unique Selling Point, als Komikerin muss man sich auch vermarkten können – ist ihre Spontaneität. Analogien passieren ihr einfach, seien plötzlich da, «und meistens enden sie in den Feuchtgebieten». Etwa so: Während sie von ihrem Heimatdorf erzählt, das zwar eine prominente Eisenbahnlinie, aber keine Haltestelle hat, sagt Basler: «Ich bin ein Bahnhof.» Ernster Blick. «Ein Kopfbahnhof. Wie der Zürcher HB.» Kunstpause. «Weil: Der öffentliche Nahverkehr findet bei mir auch im Untergeschoss statt.»

Satire als Schutz

Baslers Hemmschwelle ist tief, aber ihre Schutzwälle sind hoch. Pointen verschiesst sie wie Abwehrsalven. «Ich will in keine Schublade, weil ich in keine reinpasse. Das müsste schon ein sehr grosses Möbel sein», sagte sie etwa in einer deutschen Sendung. Um den Trollen im Internet den Wind aus den Segeln zu nehmen, macht sie die Witze über ihr Aussehen lieber gleich selber. Denn Lacher, die man bewusst auslöst, klatschen wie Applaus, nicht wie Ohrfeigen.

«Satire ist auch ein Schutz», sagt Basler. Und sie schützt sich und ihr nahes Umfeld sehr bewusst. Darum schöpfe sie für ihre Pointen und Programme lieber aus der Politik als aus ihrem Alltag. Der sei sowieso viel zu langweilig. Statt von der eigenen Familie erzählt Basler auch im Keller lieber von den Panzern ihrer Verlobten, Bundesrätin Viola Amherd – ein Running Gag aus ihrer Zeit bei der SRF-Late-Night-Show «Deville».

Ein Sendungseinspieler zeigte vor zwei Jahren, wie Basler um die Hand von Bundesrat Ignazio Cassis anhält – um durch Heirat Tessinerin zu werden. Cassis lehnt ab. Basler kontert: «Aber die FDP legt sich doch mit allen ins Bett, die Geld haben?» Weil die Einheirat in die Sonnenstube ennet dem Gotthard nicht klappte, versucht es Basler als Nächstes bei jener ennet dem Lötschberg und geht vor Verteidigungsministerin Viola Amherd auf die Knie. Die erklärt schlagfertig, zur Bundesratsgattin könne sie Basler nicht machen – nur zur Bundesrätinnengattin. Und bei den Tischchartjini wolle sie auf jeden Fall das letzte Wort haben.

Patti Basler: Einbürgerungsfragen | Deville

«Ich betreibe Blasphemie»

Szenen wie jene mit den Bundesräten führen zu mehr als nur zu Lachern. Basler bekommt regelmässig Mord- und Vergewaltigungsdrohungen. Warum sie die Menschen derart provoziert? Jetzt schüttelt sie in einer knappen Bewegung den Kopf. Falsch formuliert. «Nicht ich provoziere die Leute so sehr, dass sie mir Morddrohungen schicken. Der Fehler liegt nicht bei mir.»

Korrekt formuliert: Warum lassen die Menschen sich derart von ihr provozieren? «Was ich mache, ist Blasphemie: Ich greife ihre Götter in Sünneligelb oder SP-Rot an, das vertragen die Leute schlecht. Wenn ich Witze über die von ihnen gewählten Politiker mache, fühlen sie sich menschlich angegriffen.»

Basler weiss doppelt, wovon sie redet. Wäre sie nicht katholisch aufgewachsen, wäre sie vielleicht Pfarrerin geworden, sagte sie einst bei einem Auftritt in einer Kirche. Weil die Katholiken keine Frauen auf der Kanzel mögen und Basler auch gar nicht an Gott glaubt, hat sie stattdessen das Lehramt gemacht und danach an der Universität Zürich Soziologie, Kriminologie und Erziehungswissenschaften studiert. Menschen, die anders sind, und die Gründe für dieses Anderssein interessieren sie: «Da gibt es einerseits die Devianz, also Verhalten, das von der geltenden Norm abweicht, aber nicht problematisch sein muss. Und Delinquenz, Verhalten, das strafbar ist.»

Wenn Basler über die Menschen spricht, von denen sie angegriffen wird, scheint die Erziehungswissenschafterin durch. «Meistens geht es ja um die Selbstwirksamkeit – die Leute wollen gehört werden. Darum antworte ich den Trollen. Sie haben nicht so eine laute Stimme wie Politiker oder wie eine Komikerin.»

Baslers Sichtbarkeit gibt ihr auch Einfluss. Sie winkt ab. Macht und Geld wolle sie eigentlich nicht. Nicht zu viel, zumindest, «ab zwei Millionen würde ich alles zurückgeben». Aber ja, doch, ein wenig stimme es schon: «Ich habe eine gewisse Macht.» Allzu hoch dürfe man diese aber nicht einschätzen: «Satiriker nimmt doch keiner ernst.» Tatsächlich? «Moment, ich vergass, das korrekt zu gendern: Satirikerinnen nimmt doch keiner ernst.» Manche trainieren ihre Schlagfertigkeit auf dem Tennisplatz, Basler beim Reden.

Die Sache mit dem Brief

Ist das Geschlecht auch der Grund, warum ihr Berufskollege Stefan Büsser die begehrte Nachfolge von Dominic Deville antrat? Und wieder keine Frau, was Basler im Namen von rund vierzig Schweizer Komikerinnen in einer Stellungnahme öffentlich kommentiert hat. Das ist die ernste Seite von Patti Basler.

Nachdem bekanntgeworden war, dass für den begehrten Late-Night-Sendeplatz auf SRF nur Männer zur Auswahl standen, war Basler von Medien, Kollegen und auch Freunden gefragt worden, warum. Manche dachten, es hätte sich gar keine Frau beworben, andere mutmassten, dass Frauen halt einfach nicht so lustig seien. Basler stellte gemeinsam mit der Slam-Poetin Lara Stoll und im Namen vieler klar, dass beides nicht stimme, und listete 16 Punkte auf, die den strukturellen Sexismus in der Comedy-Abteilung von SRF aufzeigten.

Dass Stoll und Basler als Einzige mit Namen hinstanden, hat damit zu tun, dass viele andere Angst hatten, als Folge der Stellungnahme noch weniger Arbeit beim SRF zu bekommen. Basler dagegen hat ihre Angst verloren, als sie auf dem Silo des elterlichen Bauernhofs turnte.

Woker als Gottschalk

Vielleicht hat Baslers Angstfreiheit aber auch damit zu tun, dass sie sich ihrer Sache sicher ist. Sie weiss, dass sie gut ist. «Wenn ich etwas mache, möchte ich mich darin mit den Besten messen können. Sonst lasse ich es lieber.» Kabarettistin sei sie darum erst geworden, «als ich wusste, dass ich’s kann». Damals war sie bereits Ende dreissig, älter als die meisten anderen.

Erprobt hatte sie ihre Witze während der Fasnacht, als sie das Beizenpublikum im katholischen Freiamt mit Schnitzelbänken unterhielt. Und an zahlreichen Slam-Poetry-Wettbewerben, von denen sie die meisten gewann. Bereits etwas älter zu sein, gefestigter in ihrem Selbstbewusstsein, habe ihr auch dabei geholfen, von Anfang an für sich einzustehen. Eine eigene Late-Night-Show hat sie sich damit trotzdem nicht ergattert. Vielleicht noch nicht.

Büsser, der nun das Rennen gemacht hat, sei auf jeden Fall frischer als Beni Thurnheer und woker als Thomas Gottschalk. «Er macht das super. Gebt ihm noch eine Lottoziehung mit dazu und sendet ihn Prime Time am Samstagabend.» Sie schaut derart ernst, dass der Sarkasmus unübersehbar ist. Dann fügt sie an: «Humor ist Geschmackssache.»

«Pleiten, Pech und Pannen»-Humor

Zum Zustand des Schweizer Humors im Allgemeinen mag dessen vielleicht wichtigste Exponentin nicht viel sagen. «Es stand ja lange zur Diskussion, ob so etwas überhaupt existiert. Ich kann bestätigen: Doch, es gibt ihn.» Ein bisschen unterdrückt sei er, etwas verklemmt auch, aber existent.

Basler selber hat eher einen «Pleiten, Pech und Pannen»-Humor. Bei einer Show von Freunden etwa habe sie die Pointen zwar gut gefunden, in lautes Lachen ausgebrochen ist sie während des gesamten Abends aber nur ein einziges Mal: als ein Teil des Bühnenbildes sich löste und krachend ins Publikum fiel. Sie lacht erneut, während sie erzählt. «Ich finde das unfreiwillig Komische einfach am lustigsten», sagt sie dann. Auch darum ist die Politik ihr liebster Spielplatz.

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