Mittwoch, März 12

Ein Gemälde betrachten statt Medikamente schlucken: Ein Kanton geht in der Gesundheitsversorgung neue Wege. Ob das viel bringt, ist umstritten.

Kann uns Kunst gesund machen – oder zumindest verhindern, dass wir krank werden? Für die Autoren der britischen Studie «Creative Health: The Arts for Health and Wellbeing» ist die Antwort eindeutig Ja. Gemäss Daten aus dem Vereinigten Königreich hilft Musiktherapie Menschen mit Demenz. Künstlerische Aktivitäten in einer Gruppe führen bei den meisten Patienten dazu, dass sie gesünder essen, sich mehr bewegen und sich generell wohler fühlen.

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Und die Verschreibung von Kunstgenuss soll sich sogar finanziell lohnen. Schickt man Personen mit einer psychischen oder auch einer körperlichen Störung in Kunstgalerien, Museen oder Bibliotheken, führt das laut der Studie zu 37 Prozent weniger Konsultationen beim Hausarzt und zu 27 Prozent weniger Spitaleinweisungen. Für jedes investierte Pfund ergebe das einen Return-on-Investment von vier bis elf Pfund.

Im Schweizer Gesundheitswesen sind die wohltuenden Effekte der Künste bis anhin kein grosses Thema. Psychiatriepatienten, die eine Maltherapie wollen, müssen das in der Regel selbst bezahlen oder eine Zusatzversicherung abgeschlossen haben. Grundsätzlich ist das hiesige System eher auf die Behandlung von Krankheiten ausgelegt als auf die Vorbeugung. So haben die Versicherer keinen grossen Anreiz, in die Gesundheit ihrer Kunden zu investieren.

Stiefkind des Gesundheitssystems

Doch nun startet Neuenburg eine Präventionsoffensive, die unter anderem auf Kunst setzt. Der Kanton und die Gemeinden haben eine entsprechende Vereinbarung unterzeichnet, die für fünf Jahre gilt. Sie investieren 200 000 Franken, um das Wohlbefinden ihrer Bewohner durch Kultur zu fördern. Das berichtet der französischsprachige Dienst der Nachrichtenagentur SDA.

«Die Prävention ist ein Stiefkind des Gesundheitssystems», erklärt der Neuenburger Gesundheitsdirektor Frédéric Mairy (SP). «Wir sind davon überzeugt, dass Investitionen in die Gesundheitsförderung das Wohlbefinden der Einwohner verbessern und zur Kostendämpfung beitragen.»

Neuenburg setzt die Schwerpunkte bei der körperlichen Aktivität, der psychischen Gesundheit, der sozialen Integration von Senioren und dem sozialen Zusammenhalt. Was das konkret bedeutet, zeigt sich in der Kantonshauptstadt: Wer vom Arzt eine Verschreibung bekommt, darf gratis in die vier Museen von Neuenburg.

Etwa ins Kunstmuseum. Dort gibt es derzeit eine Ausstellung, die sich mit der Herkunft der zahlreichen Werke von Impressionisten wie Monet oder Renoir befasst, die das Museum einst von einem Pariser Kunstsammler mit Neuenburger Wurzeln geschenkt bekam.

Ausbruch aus der Isolation

«Kultur hilft, dass es einem bessergeht», sagte Julie Courcier Delafontaine, die in der städtischen Exekutive für Kultur, sozialen Zusammenhalt, Integration und Humanressourcen zuständig ist, gegenüber der SDA. «Der Besuch eines Museums erlaubt es einem, aus der Isolation herauszukommen, sich körperlich zu betätigen und den Geist zu lüften.» Die Nachfrage ist laut der SP-Politikerin gross: Von den 1000 Verschreibungen, die für das Pilotprojekt zur Verfügung stehen, seien bereits 350 bezogen worden.

Fulvia Rota ist Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie (SGPP). Sie begrüsst alle Initiativen, die dazu beitragen, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen wieder mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen könnten. «Gerade diese Gruppe leidet überdurchschnittlich häufig unter sozialer Isolation und hat oft wenige bis keine sozialen Kontakte.»

Das Konzept des «social prescribing», das im britischen Gesundheitswesen etabliert wurde, hat laut Rota gezeigt, dass klassische medizinische Behandlungen durch kulturelle und soziale Angebote sinnvoll ergänzt werden können. Auch der Kanton Zürich startete bereits ein ähnliches, auf vier Jahre ausgelegtes Pilotprojekt, das jedoch bewusst nicht auf einzelne Angebote beschränkt ist. Das halte sie für zentral, sagt die Psychiaterin. «Denn nicht jedes Angebot passt zu jedem Menschen. Es ist entscheidend, individuelle Präferenzen und Bedürfnisse zu berücksichtigen.»

Ein Museumsbesuch könne für manche Personen eine wertvolle Anregung sein. «Für Menschen mit Depression ist ein Gratisbillett jedoch oft kein ausreichender Anreiz, um aktiver zu werden und soziale Kontakte zu suchen.» Eine flexible und auf die Betroffenen zugeschnittene Angebotsgestaltung sei daher essenziell, sagt Rota.

Kunst kann auch verstören

Die Frage stellt sich auch, ob jede Form von Kunst gut fürs Gemüt ist. Die Kulturjournalistin Gabriele Detterer schrieb in der NZZ einst warnend mit ironischem Unterton, ein Besuch im Museum könne auch die Gesundheit gefährden. Denn jede künstlerische Kreation übe eine von Betrachter zu Betrachter unterschiedliche Wirkung auf Auge, Körper und Psyche aus.

So mag ein hübsches Strandgemälde von Gustave Courbet, wie es im Neuenburger Kunstmuseum zu finden ist, eine aufgewühlte Person tatsächlich beruhigen. Ein Besuch der Retrospektive von Marina Abramovic im Kunsthaus Zürich hingegen würde wohl eher verstörend wirken. Oder wie es Detterer schrieb: «Pauschal dem Kunstgenuss positive Wirkungen zu attestieren, ist blauäugig.»

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