Sonntag, Oktober 6

Einen Süssmost für 80 Rappen im Café Odeon, eine sterbende Textilbranche und aus alledem leuchtende Farben: Monique Meier über Anfänge und Abschiede.

Monique Meier, trifft die Bezeichnung Bobo-Chic auf enSoie zu?

Nein. Wir haben eine eigene Identität, einen eigenen Stil: handgemachte, farbige Objekte mit Liebe zum Detail und Charakter. Das Anhäufen von Materiellem kann sehr mühsam sein, drum ist es wichtig, dass jedes Produkt mehr als nutzloser Tand ist. Plunder gibt es genug auf der Welt.

Was meinen Sie damit?

Diese Dinge, die man grundlos und meist schon mit einem schlechten Gewissen kauft und die dann im Weg sind, bis man sie entsorgt . . . Minimalismus ist doch etwas Wunderbares! Aber für unser Innenleben brauchen wir schon auch Objekte, an denen wir uns orientieren können.

Sie haben 2018 die Leitung von enSoie an Ihre Töchter Sophie und Anna übergeben – wie kam das?

Auch wenn ich mich noch jung fühle: Ich bin alt geworden. Auch eine Firma hat eine Seele, die in die Zukunft weiterwandern muss. Man kann mit siebzig keine Kreativfirma führen, sonst endet das tragisch. Dass meine Kinder übernehmen, war aber nie fix geplant, doch Anna, Sophie und Eleonore wollten unbedingt. Anscheinend haben sie dieses enSoie-Gen.

Warum glauben Sie, dass es tragisch endet, wenn man nicht loslässt?

Gerade in den siebziger Jahren habe ich solche Fälle in der Textilwelt hautnah miterlebt. Wie etwa Yves Saint Laurent zugrunde ging und alle anderen, die zu lange blieben.

Und wie war es in Zürich in den siebziger Jahren?

Es war faszinierend. Die halbe Welt traf sich im Café Odeon. Bei einem Süssmost für 80 Rappen erlebte ich dort Künstler und Menschen, die im Krieg gewesen waren. Die 68er Generation war ebenso dort anzutreffen. Auch wenn ich jünger war, hat mich ihr Ethos, Sachen verändern zu wollen, geprägt. Ich realisierte, dass man innovativ und kreativ sein muss, um in einem serbelnden Umfeld wie der Textilbranche überleben zu können.

Ihre Eltern waren Künstler, Ihr Vater stammte aus einer «Textiler»-Familie. Sie gingen aber als junge Frau erst mal einen anderen Weg und wurden Lehrerin.

Es mag esoterisch klingen: Was ich später im Leben gemacht habe, rührt alles aus meiner Kindheit, inspiriert von Stoffmusterbüchern, die ich im Estrich des Toggenburger Grosselternhauses entdeckte. Am liebsten hätte ich die Kunstgewerbeschule besucht, machte aber die Lehrerausbildung, weil ich vernünftig sein wollte. Mir gefielen vor allem die Fächer Musik und Zeichnen.

Wie kamen Sie dazu, mit den Stoffen des Zürcher Seidenhändlers Brauchbar AG zu handeln?

Die Künstler in meiner Verwandtschaft waren immer so arm! Ich hatte deswegen schon früh Jobs in Cafés und als Model, um mich über Wasser halten zu können. Dann entdeckte ich all die wunderbaren Stoffe bei Brauchbar. Der Schweizer Textilbranche ging es damals immer schlechter, und ich dachte: Wenn man etwas Schönes macht, sollte man doch auch einen Batzen dafür erhalten.

1975 begannen Sie dann im Betrieb der Rudolf Brauchbar AG zu arbeiten und brachten frischen Wind in den 1894 gegründeten Betrieb . . .

Ja, ich hatte zwar keine Textilausbildung, erhielt dennoch das Privileg, als Vertreterin dieser Firma – mit Büros in Paris, Como und Lyon und Agenten in Asien, USA und Südamerika – in der Welt herumzureisen. Bei Pariser Couture-Häusern wie Chanel, Givenchy, Yves Saint Laurent und Dior präsentierte ich unsere Stoffkollektionen.

Wie war das als junge Frau?

Eine schwierige Aufgabe, die Mut brauchte, denn ich war sehr scheu und bin es immer noch. Aber ich hatte Freude und konnte viele Freundschaften in der Pariser Modewelt aufbauen, etwa zu Azzedine Alaïa und Thierry Mugler.

Später kauften die Eltern Ihres Ehemannes Dieter Meier die Rudolf Brauchbar AG zu einem symbolischen Franken. 1979 übernahmen Sie die Leitung und tauften den Betrieb zu Sourire enSoie um. Wie entstand Ihr unverkennbarer Stil?

Ich holte mir Kreative wie Helen Branger von Albertini, Gabriele Terzi, Ines Boesch und Sonnhild Kestler zur Verstärkung und löste mich von den strikten Vorgaben des Textilmarktes – etwa, wie etwas auszusehen hatte oder dass es mehrmals jährlich neue Kollektionen geben sollte.

Sie wollten revolutionieren?

Ich wollte einfach zu meinen Sachen stehen können und alles kontrollieren, vom Faden bis zum Kleid. Aber natürlich hat man auch Freude, wenn den Menschen die Sachen gefallen. Man muss seine Kundschaft mögen, sie prägen ein Produkt in gewisser Weise mit.

Welchen Ratschlag hätten Sie damals bei der Übernahme gut gebrauchen können?

Ich war ganz auf mich allein gestellt und hatte manch schlaflose Nacht. Ungewiss, ob ich die Löhne des stark reduzierten Teams – rund ein Dutzend – bezahlen können würde. Ich hätte gerne jemanden mit einer Wirtschaftsausbildung gehabt oder einen Verwaltungsrat. Aber so gab es auch kein einengendes Korsett.

Die Marke enSoie ist seit je stark mit Indien verbunden. Woher kommt die Faszination?

Vielleicht, weil schon meine Vorfahren als Missionare dort waren und mein Onkel einst seine Stickmaschinen nach Indien verkaufte. Als Jugendliche las ich «Siddhartha» von Hermann Hesse, mit dem meine Grossmutter befreundet war.

Und wie entdeckten Sie das Land?

Ich reiste mit meinem Mann Dieter zum ersten Mal nach Indien, der viel abenteuerlicher ist als ich. Dort realisierte ich die endlose Bedeutung von Farben und Textilien. Die machen etwas mit der Seele. Ich knüpfte Kontakt mit dem indischen Stoff- und Silberfabrikanten Surendra Kumar Joshi, der noch heute als Mittelsmann ein Freund und Partner von enSoie ist.

Wie entstand die Idee mit dem Vichy-Muster, das man heute auf Servietten, Taschen und Porzellan von enSoie findet?

Etwa durch die Verbindung zu Indien, wo Madras-Karo Tradition hat. Vichy-Karo war auch hier schon immer präsent, aber eher «bünzlig» aufgeladen, etwa als Motiv auf Porzellan der fünfziger Jahre. Wir machten es dann uns zu eigen und begannen, es in Indien weben zu lassen.

Vor allem Ihre Geschäftspartnerin Ines Boesch hat mit ihren verspielt gemalten Motiven die Marke enSoie bis in die neunziger Jahre stark geprägt. Weshalb ist sie gegangen?

Wir haben unseren Traum gelebt und ausgelebt. Irgendwann musste sich die Firma in eine neue Richtung entwickeln. Es waren viele wichtige Talente bei enSoie, und alle haben etwas voneinander gelernt.

Das Motto «Love Rules Forever» wurde 2011 von Ihrem Mann, dem Künstler Dieter Meier, kreiert. Was wollen Sie uns damit sagen?

Dieter hat mit seinen Gedichten und seinem Gespür für Wörter viel beigetragen. Es ist ein strenges Wort, das Verb «rule», regieren. Aber letztlich soll man allem mit Liebe begegnen, auch wenn das nicht immer einfach ist.

Die Stofftaschen mit dem Motto sind heute allgegenwärtig, vor allem in Zürich.

Ich freue mich jedes Mal unglaublich, wenn ich jemanden damit sehe. Die Idee war immer, solche Dinge im Sortiment zu haben, damit sich jede und jeder ein Stück von enSoie leisten kann. Wir wollen nicht elitär sein.

Mit Dieter Meier haben Sie vier Kinder grossgezogen. Fällt es Kreativen einfacher, Job, Familie und Beziehung unter einen Hut zu bringen?

Als Selbständige hat man wohl eher Freiheiten und kann Kinder in den Arbeitsalltag einbringen. Aber ich war sehr streng mit mir selbst und arbeitete jeden Tag, von Montag bis Samstag. Auch in meiner Beziehung zu Dieter, der als Künstler ständig unterwegs war, bin ich eigenständig geblieben. Das war mir sehr wichtig und vereinfachte vieles: Ich musste auf niemanden Rücksicht nehmen, nur auf mich und die Kinder.

Ein Wort, ein Gefühl, wenn Sie an damals zurückdenken?

Spass.

Über die Marke

130 Jahre enSoie

1894 wurde der Seidenhandel Königsberger, Schimmelburg & Cie. in Zürich gegründet, 1902 von den Unternehmern Jakob Abraham und Edmund Brauchbar übernommen. Abspaltung in den 1940er Jahren in die Seidenlabels Abraham AG und Rudolf Brauchbar AG. Bis in die 1970er Jahre belieferte man Modehäuser wie Dior, Balenciaga, Balmain und Givenchy mit feinsten Seidenstoffen. Monique Meier tritt Anfang der 1970er Jahre als Werkstudentin in den Betrieb ein, Mitte der 1970er Jahre übernimmt die Familie von Ehemann Dieter Meier die Brauchbar AG. Ab 1979 leitet Monique Meier die Firma, 1984 erfolgt die Namensänderung in Sourire enSoie AG. Seit 2013 ist Monique Meiers Tochter Anna Kreativleiterin, und seit 2018 führt diese mit ihrer Schwester Sophie die Firma. ensoie.com

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