Der FC Barcelona, die Boca Juniors oder al-Ahly aus Kairo? Nein, am meisten nationale Cup-Titel hat der FC Vaduz errungen. Am Dienstagabend errangen die Vaduzer die Trophäe bereits zum 51. Mal – in einem leeren Stadion.

Um 21.06 Uhr dürfen sich die Profis des FC Vaduz doch noch zum unausweichlichen «We are the Champions» von Queen in den Armen liegen. Sie haben das schon oft getan: Auf dem Globus gibt es keinen Klub, der den nationalen Cup-Wettbewerb häufiger gewonnen hat als der FCV.

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Ein 3:2-Sieg bedeutet am Dienstagabend trotz einer peniblen Darbietung den 51. Triumph. Gegner war der FC Balzers, interregionale 2. Liga, ein Team, bei dem manche der Akteure die Stunden vor dem Cup-Final damit verbrachten, ihrer Arbeit nachzugehen. Nicht als Investmentbanker mit aufwendig drapierter Gelfrisur, wie man das in einem Land mit einem der höchsten Bruttonationaleinkommen der Welt pro Kopf vielleicht vermuten würde, sondern, beispielsweise: als Zimmermann.

Und schon ist man beim Thema. Denn die Vaduzer Dominanz ist nicht mit übermenschlichen Darbietungen auf Weltsportlerniveau zu erklären, die dem Klub globale Anerkennung verschafft hätte. Vielmehr ist sie dem System geschuldet.

«Ein Spiel. Ein Team. Fürs Land», so lautet der Slogan des Liechtensteiner Fussballverbands. Aber er passt auch zu diesem Cup-Wettbewerb. Es gibt nur sieben Fussballklubs in diesem Kleinststaat. Und weil dieses Total nicht einmal ausreicht, um Viertelfinals auszurichten, dürfen zur Staffage auch die Reservisten im Cup ran. Also die zweiten und dritten Mannschaften von Eschen-Mauren, Vaduz und Balzers. Letztgenannte spielen in der 5. Liga, was für Aussenstehende irreführend sein kann, weil das keinesfalls die fünfte, sondern die neunte Stärkeklasse bedeutet.

Tiefer runter geht es im Schweizer Ligasystem nicht mehr, 5. Liga kann man auch nach jahrelangem eisernem Verzicht auf Gemüse oder leicht benebelt nach einer durchzechten schlaflosen Nacht an der Langstrasse spielen.

Der Hype um den FC Balzers ist abgeebbt

Seit 1934 sind die Equipen aus dem Fürstentum dem Schweizer Spielbetrieb angeschlossen, Vaduz entschädigt die Swiss Football League (SFL) dafür finanziell – 2023 etwa flossen 882 773 Franken an die SFL, so viel wie noch nie, denn der Betrag ist daran gekoppelt, wie viele Einnahmen der FC Vaduz in Europa generiert. In der Saison 2022/23 hatte Vaduz unter anderem dank einem Sieg gegen Rapid Wien sensationell erstmals die Gruppenphase in einem europäischen Wettbewerb erreicht.

Das Team kann sich nicht über die Meisterschaft für den Europacup qualifizieren – das ginge selbst dann nicht, wenn der seit vier Jahren in der Challenge League aktive Klub die Super League gewinnen würde. Der Cup ist die Eintrittskarte für das internationale Geschäft – der Sieg berechtigt heuer zur Teilnehme an der zweiten Qualifikationsrunde für die Conference League. Seit 1994 hat der FC Vaduz stets den Final erreicht, und er hält den Weltrekord für die meisten nationalen Cup-Siege. Weit vor Linfield, dem Rekordmeister aus Nordirland, und Celtic Glasgow, dem Schwergewicht Schottlands.

Doch alles andere wäre auch bedenklich: Vaduz ist der einzige Profiklub im Ländle. Unter diesen Voraussetzungen den Titel zu holen, ist ähnlich beeindruckend, wie wenn Muhammad Ali nur Weltergewichtler vermöbelt hätte – man sollte sich zumindest halbwegs in einer vergleichbaren Gewichtsklasse befinden. Der Routinier Nicolas Hasler, einer der Führungsspieler im Kader, hat den Cup nun acht Mal gewonnen. Er sagt, die Mannschaft feiere den Titel jeweils bei einer Runde Bier in der Garderobe. Wobei es auch eine Herausforderung wäre, den Sieg allzu ausschweifend zu zelebrieren: Vaduz hat nur knapp 6000 Einwohner und keinen einzigen Nachtklub.

Eigentlich ist der Cup für den Klub ein Selbstläufer, doch dieses Mal fehlte wenig zur Sensation. Der FC Balzers führte bis zur 65. Minute 2:0, und wer sich denkt: Balzers, da war doch was, hat recht: Ein argentinischer Influencer führte dem Dorfklub kurz vor dem Jahreswechsel ungeahnte Popularität zu; auf Instagram folgen dem Klub fast 400 000 Menschen. Das sind mehr als bei Basel, Servette und Luzern zusammen.

Balzers versuchte den Rummel zu kapitalisieren; der Online-Fanshop ist in spanischer Sprache gehalten und umfasst ein einziges Produkt: das aktuelle Trikot («Jersey sostensible para una sensación corporal agradable»). Es kostet 60 Franken, der Versand nach Argentinien aber unangenehme 40 Franken – die Zollkosten noch nicht eingerechnet. Die Anzahl abgesetzter Trikots sei «nicht der Rede wert», sagt der Präsident Fredy Scherrer: «Der Hype ist ein bisschen verebbt.» Zum Cup-Final hat der Klub Fanartikel mitgebracht, die man auch dann erstehen kann, wenn man die Anmeldung für den Spanischkurs der Migros-Klubschule leider verpasst hat: Ein Schild verrät, dass ein Regenschirm 30 Franken kostet. Schirm, nicht Paraguas.

1185 Zuschauer wollen diesen Cup-Final sehen, weitere 25 zählt Youtube auf dem Livestream des Verbands, der im Rheinpark nur die Haupttribüne geöffnet hat. Die Veranstaltung sagt etwas aus über den Zustand des FC Vaduz, der sich seit einigen Jahren einem Sparkurs verschrieben hat und diesen geschickt als bodenständiges Bekenntnis zur Region verkauft. Die schwerreiche Fürstenfamilie könnte mit ihrem Milliardenvermögen mit Leichtigkeit einen ambitionierten Super-League-Klub alimentieren, doch ihr Interesse am Fussball scheint überschaubar.

Es wirkt so, als sei diese Indifferenz auf den Rest der Bevölkerung übergegangen, es interessiert sich fast niemand mehr für den FCV. Zu den 18 Challenge-League-Heimspielen in dieser Saison kamen insgesamt 24 000 Besucher. In der Super League waren es 2016/17 noch knapp 4000 Zuschauer pro Partie gewesen. Die Hoffnung auf europäische Exploits ist mittlerweile so etwas wie die einzige Raison d’être des Vereins, es hält ihn auch auf dem Transfermarkt halbwegs attraktiv.

Denn selbst in der Challenge League blickt der Klub auf eine enttäuschende Spielzeit zurück, der Rückstand auf den Aufsteiger Thun beträgt 18 Punkte. Der Trainer heisst Marc Schneider, ein jovialer Berner mit langer Vergangenheit als Verteidiger im FC Zürich. Schneider coacht den FCV seit Februar 2024. Und blieb dem Klub auch treu, als er im vergangenen Sommer den Servette FC hätte übernehmen können. Schneider sagte mit der Begründung ab, dass bereits Wunschtransfers realisiert worden seien und die Familie erst gerade den Wohnort gewechselt habe.

Die zwiespältige Bilanz des Trainers Marc Schneider

So kommt es, dass Schneider immer noch in der Challenge League arbeitet, einer Liga, in der man in keiner Funktion reich wird. Daneben wirkt Schneider, 44, als Super-League-Experte bei SRF, es ist eine eigenwillige Konstellation: Am Samstag erklärt Schneider jeweils kenntnisreich, was in der höchsten Spielklasse weshalb geschieht, was Team X besser machen müsste. Und tags darauf verliert er mit Vaduz gegen Bellinzona, Nyon und Stade Lausanne-Ouchy.

Aber immerhin liefert Schneider im TV verdankenswerterweise aufschlussreichere Analysen als kürzlich in der Lokalzeitung «Vaterland». Als er vor einem Duell mit dem FC Schaffhausen zu dessen neuem Trainer Hakan Yakin befragt wurde, diktierte Schneider dem Journalisten diesen Satz: «Grundsätzlich ist er einer, der Fussball spielen lässt.»

Am Dienstagabend steht er mit ernster Miene und der vom Sportminister überreichten Goldmedaille um den Hals auf dem Rasen des verwaisten Stadions und sagt, die erste Halbzeit habe ihm zu denken gegeben. Die Mannschaft sei «im Kopf nicht bereit gewesen», obwohl er «vor der Qualität von Balzers» gewarnt habe.

Schneider bleibt genügend Zeit für eine gründliche Analyse. Auf die Feierabend-Kicker des FC Balzers dagegen wartet wieder der Berufsalltag.

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