Sonntag, November 24

Früher kratzte man Bewuchs von Bauten und Denkmälern einfach ab. Jetzt zeigt sich: Biokrusten sind ein wirksamer Schutz gegen die Erosion durch Wind und Wetter.

Diesem kruden Angriff vermochte selbst die jahrhundertealte Chinesische Mauer nicht standzuhalten. Um in der Provinz Shanxi schneller nach Norden gelangen zu können, fuhr kürzlich ein heimisches Paar einen Bagger auf und riss damit ein grosses Loch in jenen Abschnitt des eindrücklichen Bauwerks, das aus der Zeit der Ming-Dynastie (1368 bis 1644) stammt. Gegen den nagenden Einfluss von Wind und Wetter hingegen erweist sich das Bollwerk stabiler als gedacht – dank bisher unterschätzten Verbündeten in der Form von Cyanobakterien, Moosen und Flechten, wie jetzt eine Studie zeigt («Science Advances»).

Neue Sichtweise erhält Auftrieb

In der Konservierung von Bauten und Denkmälern galt natürliche Vegetation lange Zeit als Feind, der von der Bausubstanz fernbleiben sollte. Man befürchtete, dass zum Beispiel Wurzeln von Pflanzen in Ritzen eindringen und sich ausbreiten könnten und so den Zerfall einer Konstruktion beschleunigen würden. In den letzten Jahren haben Fachleute indessen erkannt, dass insbesondere kurzwurzelige und trockenheitsresistente Vegetation solche Bauten nicht etwa angreift, sondern vielmehr vor Erosion schützt. Dieser neuen Sichtweise verleiht nun ein internationales Forschungsteam um Bo Xiao von der China Agricultural University in Peking Auftrieb.

Auf einem 600 Kilometer langen Abschnitt der insgesamt 8851 Kilometer umfassenden Hauptmauer der Chinesischen Mauer haben die Wissenschafter systematische Proben der Biokruste genommen, die das Bauwerk dort bedeckt, und deren Auswirkungen untersucht. Hier – wie in vielen anderen Abschnitten – ist die Mauer nicht aus Werksteinen oder Ziegeln errichtet worden, sondern aus gestampftem Lehm. Dabei wird erdfeuchter Lehm mit Wasser und Kieselsteinen oder Stroh gemischt und dann schichtweise in Schalungen eingefüllt und festgepresst. Rund 10 Prozent aller Bauten auf der Liste des Unesco-Weltkulturerbes sind auf diese Weise erstellt worden, insbesondere in den trockenen Gegenden Zentralasiens.

Dank Bewuchs weniger porös

Fast zwei Drittel der untersuchten Mauerabschnitte waren von der Biokruste bedeckt. Analysen der Proben im Labor ergaben, dass es sich dabei in erster Linie um Cyanobakterien – photosynthetisch aktive Bakterien, die man auch als Blaualgen bezeichnet –, diverse Moos- sowie einzelne Flechtenarten handelt. Die dermassen geschützten Bereiche der Mauer erwiesen sich als physisch stabiler, waren trockener und besser geschützt vor Erosion durch Wind und Wasser als die nicht überwachsenen Abschnitte. Die Vegetationsschicht wirkt auch isolierend: Sie vermindert sowohl die Auswirkungen extremer Temperaturen als auch den schädlichen Einfluss von Salzen aus der Umgebung. Der Bewuchs macht die Mauerabschnitte weniger porös und fördert selbst ihre Stabilität.

Und so kommen die Fachleute um Bo Xiao in ihrer Studie zu dem Schluss: Biokrusten zu nutzen, sei eine vielversprechende und innovative Strategie, wenn es darum gehe, Kulturgüter für künftige Generationen zu bewahren, gerade in Zeiten des Klimawandels. «Man sollte die Biokrusten ihrerseits schützen, statt sie von den Denkmälern zu entfernen», schreiben sie.

Ein Artikel aus der «NZZ am Sonntag»

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