Samstag, April 19

Der Journalist Nicholas Potter, der über Antisemitismus schreibt, wird mit dem Tod bedroht, an der Humboldt-Universität rufen Aktivisten zur Auslöschung Israels auf. Berliner Intellektuelle verurteilen die Vorfälle.

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Der Journalist Nicholas Potter von der linken «taz» in Berlin schreibt über den Nahostkonflikt und linken Antisemitismus. Linke Aktivisten fühlen sich gemeint und führen seit Wochen eine Verleumdungskampagne gegen Potter, hetzen in den sozialen Netzwerken, formulieren Drohungen, versuchen ihn so einzuschüchtern.

Nun ist in Berlin ein Plakat mit der Überschrift «Wanted» aufgetaucht, mit dem Gesicht von Potter und dem Spruch «From the river to the sea». Die «taz» hat dies auf ihrer Homepage öffentlich gemacht. Damit sei «eine neue Stufe der Eskalation» erreicht, «an der jede Diskussion über legitime Kritik endet», schreibt die Chefredaktion. Man verstehe die Plakataktion als offenen Aufruf zu Gewalt und als Morddrohung. Die Zeitung erstattete Anzeige.

Die Schriftstellervereinigung PEN Berlin verurteilte die Drohung und zitierte daraus: Menschen wie Potter könnten «bluten wie jeder andere auch», könnten «erniedrigt und eliminiert werden». Die Polizei sagte auf Anfrage, sie prüfe den Sachverhalt.

Ebenfalls Mitte Woche haben Palästina-Aktivisten einen Hörsaal der Humboldt-Universität (HU) in Berlin besetzt. Sie sprühten Parolen wie «Zionisten sind Faschisten» an die Wand oder «Intifada bis zum Sieg», dazu das rote Dreieck, das Symbol der Hamas. Sie rissen Sitzbänke heraus und hielten angezündetes Feuerwerk aus dem Fenster. Der Raum kann für Monate nicht mehr genutzt werden.

Auf Anordnung der Universität räumte die Polizei das Gebäude. Gegen 90 Personen wurden Strafverfahren wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigungen eingeleitet. Auf Bannern sei das Existenzrecht Israels geleugnet und Gewalt verherrlicht worden, hiess es in einer Stellungnahme der HU-Leitung. Damit sei eine rote Linie überschritten worden. Die Aussagen seien «ein eklatanter Widerspruch» zu den freiheitlich-demokratischen Werten, denen die HU verpflichtet sei.

«Sympathien für eine Terrororganisation»

Seit dem Überfall der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 haben antisemitische Straftaten in der deutschen Hauptstadt deutlich zugenommen. Laut Generalstaatsanwaltschaft ist deren Zahl im vergangenen Jahr um 29 Prozent gestiegen.

Angriffe im Kontext des Nahostkonflikts treffen zunehmend auch Journalisten, wie der Fall Nicholas Potter zeigt. Reporter ohne Grenzen veröffentlichte kürzlich die Zahlen: Von 89 gewalttätigen Angriffen auf Medienschaffende, die es 2024 rund um propalästinensische Demonstrationen gab, ereigneten sich 38 davon allein in Berlin.

Philipp Peyman Engel, der Chefredaktor der «Jüdischen Allgemeinen», setzt «propalästinensisch» in Anführungsstriche, wenn er von den Aktivisten an der Humboldt-Universität spricht. Diese demonstrierten unverhohlen für die Hamas und für die Auslöschung Israels, sagt Engel auf Anfrage. «Den Aktivisten ist das Schicksal der Menschen in Gaza komplett gleichgültig. Triebfeder ihrer gewaltsamen Stürmung der Universität ist der Hass auf den jüdischen Staat und Sympathie mit einer Terrororganisation, die für das Böse schlechthin steht.»

Wie sich die israelfeindliche Szene radikalisiert habe, zeigten auch die Mordaufrufe gegen Potter, sagt Engel. Auch er erhalte immer wieder Hassnachrichten und Drohungen, bei Lesungen stehe er unter Polizeischutz. «Eine wehrhafte Demokratie darf sich dies nicht gefallen lassen», sagt er. «Wer ‹Nie wieder!› und das staatliche Gewaltmonopol wirklich ernst meint, muss die Terrorproteste an den Universitäten und Drohungen gegen Journalisten mit aller rechtsstaatlich möglichen Härte bekämpfen.»

Bedrohte Pressefreiheit

Als einen Skandal bezeichnet Felix Klein, Antisemitismus-Beauftragter der deutschen Regierung, die Drohungen gegen Potter. Man könne solche Drohungen als antisemitischen Angriff deuten, es sei aber auch ein Angriff auf die Pressefreiheit. «Beides ist schon für sich genommen absolut inakzeptabel, aber in der Kombination noch unerträglicher», sagt Klein. «Antisemitismus ist eine Bedrohung unserer demokratischen Grundwerte, zu denen wesentlich auch die Pressefreiheit zählt.»

Dass die feindselige Haltung gegenüber Jüdinnen und Juden in Berlin ausgeprägter sein soll als andernorts, verneint er.

Für Deniz Yücel, den Sprecher des PEN Berlin, ist mit der Drohung gegen Potter eine «neue Eskalationsstufe» erreicht. Man sei grundsätzlich dafür, die Grenzen der Meinungsfreiheit so weit wie möglich auszulegen, heisst es in einer Stellungnahme. «Aber bei Morddrohungen gibt es nichts zu diskutieren. Kritik ist kein Verbrechen, Mordaufrufe schon.» Jetzt müssten propalästinensische Stimmen zeigen, dass auch sie diese Grenzen ziehen und die Kampagne gegen Nicholas Potter verurteilten.

Bisher hat man von der Seite wenig gehört.

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