Mittwoch, März 19

Die Zukunft gehört den Jungen. Aber die Alten stellen die Weichen auf dem Weg dorthin. Nur knapp ein Prozent der Mitglieder der Bundesversammlung ist unter dreissig Jahre alt. Initianten schlagen eine Korrektur vor.

Politikerinnen und Politiker sollen primär die Interessen ihrer Wählerschaft wahren. Das ist ihre Aufgabe als Repräsentanten einer politischen Partei, einer Region oder einer Bevölkerungsschicht. Dabei denken sie natürlich auch an ihre Wiederwahl. Die Interessen künftiger Generationen werden dagegen nicht unmittelbar durch Mitglieder des Parlaments vertreten und deshalb zu wenig berücksichtigt, obwohl sie in vielen Politikbereichen von grösster Bedeutung sind. Das gilt besonders für die Klimapolitik.

Was können wir tun, damit unser politisches System weniger «zukunftsblind» wird? Eine Gruppe von Wissenschafterinnen und Wissenschaftern aus Disziplinen wie Klimawissenschaft, Ökonomie, Rechtswissenschaft und Politologie haben die Frage diskutiert, welche staatliche Institution geeignet wäre, um das langfristige Handeln der Politik zu fördern. Das Ergebnis dieser Diskussion liegt jetzt in Buchform vor.

Unter dem Titel «Mit einem Zukunftsrat gegen die Klimakrise» schlagen die Autorinnen und Autoren in dem Sammelband einen Zukunftsrat vor, der als dritte Kammer mit dem National- und dem Ständerat die Bundesversammlung bilden würde. Er soll aus hundert Mitgliedern bestehen, die nicht gewählt, sondern in einem zweistufigen Losverfahren bestimmt würden. Sie sollen die Interessen künftiger Generationen vertreten, wenn es um Fragen der Nachhaltigkeit geht.

Keine Rücksicht auf die Wiederwahl

Der Zukunftsrat hätte nach dem Vorschlag der Initianten das Recht, selbst Vorlagen auszuarbeiten und das Veto gegen nicht nachhaltige Vorlagen der beiden anderen Kammern einzulegen. Mit den Stimmen einer Mehrheit der Mitglieder dieser Kammern könnte dieses allerdings aufgehoben werden. Der Zukunftsrat würde von einem Stab von Expertinnen und Experten beraten. Diese wiederum würden auf Vorschlag der Hochschulen zum Teil vom Bundesrat gewählt, zum Teil durch das Los bestimmt.

Die Schaffung eines Zukunftsrates könnte wohl tatsächlich dazu beitragen, der Nachhaltigkeit in der Politik einen höheren Stellenwert zu verschaffen. Das neue Organ würde die Interessen künftiger Generationen in den politischen Prozess einbringen, weil seine Mitglieder keine Rücksicht auf Wählerinnen und Wähler und auf ihre Wiederwahl nehmen müssten. Sie könnten in die Zukunft schauen, nicht nur auf das Ende der Legislatur.

Dass die Ziele der Klimapolitik erreicht werden, wäre damit allerdings nicht garantiert. Das Veto des Zukunftsrates könnte leicht überstimmt oder eine Vorlage könnte in einer Volksabstimmung abgelehnt werden. Allerdings dürfte bereits das drohende Veto die beiden anderen Kammern veranlassen, Fragen der Nachhaltigkeit sorgfältig zu prüfen.

Ist das nachhaltig?

Die Auswahl durch das Los schliesst selbstverständlich nicht aus, dass einzelne Mitglieder nicht die Nachhaltigkeit einer Vorlage beurteilen, sondern nach politischen, auch parteipolitischen Gesichtspunkten entscheiden. Es fragt sich auch, ob alle Mitglieder in der Lage sind, sich auf der Grundlage wissenschaftlicher Informationen und Vorschlägen von Experten eine eigene Meinung zu bilden.

Man könnte sich deshalb überlegen, ob der Zukunftsrat nicht eher aus Expertinnen und Experten zusammengesetzt werden sollte – dafür aus weniger Mitgliedern, was das Gremium handlungsfähiger machen würde. Der Begriff der Nachhaltigkeit ist allerdings unbestimmt und müsste im Gesetz präzisiert werden. Der Aufgabenbereich des Zukunftsrats könnte bereits in der Verfassung enger umschrieben werden, etwa indem seine Zuständigkeit auf Massnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels fokussiert würde.

Der Zukunftsrat würde damit zum Klimarat. Ungeklärt bliebe allerdings die Frage der Zuständigkeit: Wer entscheidet, wenn sich die drei Räte nicht einigen können, ob es bei einer Vorlage um eine Frage der Nachhaltigkeit geht oder nicht? Eine dritte Kammer würde zudem den Entscheidungsprozess im Parlament verlängern, obwohl manche Massnahmen, etwa jene zur Senkung der Treibhausgasemissionen, dringlich sind.

Was von der Politik erwartet wird

Die schweizerische Politik ist nicht besonders reformfreudig. Neuerungen bei den staatlichen Institutionen haben es besonders schwer. Die Chancen, dass der Vorschlag der Arbeitsgruppe je realisiert wird, sind deshalb gering. Trotzdem scheint es unerlässlich, dass in der Politik, in den Medien und in der Gesellschaft eine eingehende Diskussion darüber geführt wird, wie wir langfristiges, generationenübergreifendes politisches Handeln institutionalisieren und die Interessen künftiger Generationen besser wahren können.

Der von der Klimaforscherin Sonia I. Seneviratne, dem Staatsrechtler und ehemaligen Zürcher Regierungsrat Markus Notter und weiteren Autoren herausgegebene Band bietet eine ausgezeichnete Grundlage dafür. Er enthält nicht nur einen ausgearbeiteten Vorschlag dafür, wie ein Zukunftsrat konkret ausgestaltet werden könnte, sondern auch Interviews, in denen sich Menschen aus verschiedenen Landesteilen und Bevölkerungsschichten zur Frage äussern, was sie von der Politik erwarten.

Sonia I. Seneviratne/Laura Zimmermann/Markus Notter/Andreas Spillmann (Hrsg.): Mit einem Zukunftsrat gegen die Klimakrise. Warum die Schweiz eine dritte Parlamentskammer braucht. Verlag Scheidegger & Spiess, Zürich 2023. 224 S., Fr. 42.90.

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