Sonntag, November 24

Elektrofahrräder sind populär, aber schwer. Das Leichtbau-Segment wird für die Hersteller deshalb wichtiger, und der Systemlieferant Bosch leistet dazu seinen Beitrag – mit einer neuen, ebenso kompakten wie intelligenten Antriebseinheit.

Elektrofahrräder, auch Pedelec genannt, sind auf dem Vormarsch: 2022 fanden europaweit (inkl. Grossbritannien) 5,5 Millionen Velos mit E-Motor neue Käufer, was einem Marktanteil von mittlerweile 27 Prozent sowie einer Verdoppelung seit 2018 entspricht. Das ist mehr als noch vor wenigen Jahren prognostiziert, und die Industrie müsste eigentlich frohlocken.

Doch in der Branche denkt man pragmatisch: Nach Corona machten den E-Bike-Herstellern vor allem Lieferengpässe und die stark steigende Inflation einen Strich durch die Rechnung. Hinzu kommt heute der Konkurrenzkampf unter den immer zahlreicheren Anbietern. Inzwischen sind die meisten Lager zwar wieder voll, doch jetzt klemmt es beim Absatz: Viele Verbraucher haben sich erst vor kurzem teure Pedelec gekauft und werden es so schnell nicht wieder tun.

Grösster Autozulieferer konzentriert sich aufs E-Bike

Claus Fleischer, Geschäftsleiter der 2009 gegründeten Bosch eBike Systems, schaut dennoch zuversichtlich in die Zukunft und rechnet ab Mitte 2024 wieder mit steigender Nachfrage. Vor allem in Ballungszentren wolle man die Verkehrswende vorantreiben und mehr Menschen aufs Rad bringen, sagt Fleischer, der in Politik und Kommunen einen schnelleren Ausbau der Infrastruktur anmahnt.

«Sicherheit und Zuverlässigkeit sind wichtige Faktoren für den Umstieg und die digitale Einbindung von Velofahrern ein Schlüssel dazu», sagt Fleischer. Natürlich spielt er auch auf den guten Ruf von eBike Systems an: Die Sparte des deutschen Automobilzulieferers hat sich in den letzten Jahren eine weltweit führende Position aufbauen können und versorgt mittlerweile über hundert Fahrradmarken in Europa, Nordamerika, Asien und Australien mit ihren Antriebseinheiten.

Bestseller in der von Bosch genannten «Performance Line», die unterschiedliche Anwendungen abdeckt, ist die vorrangig bei E-Mountainbikes (eMTB) eingesetzte CX-Serie. Dazu kommen verschiedene «Active Lines» sowie die für Lastenräder konzipierte «Cargo Line».

E-Motoren-Familie wird ausgebaut

Diesen Herbst wird das Antriebsangebot um die neu entwickelte, deutlich schlankere Performance Line SX ergänzt, welche «das Verhältnis von Leistung und Gewicht in ihrer Klasse neu definiert», heisst es bei Bosch. Damit bedient der Hersteller einen Trend. Entworfen für Leichtbau-Modelle wie beispielsweise sogenannte Light-eMTB oder eGravels, die inzwischen deutlich unter 20 Kilogramm wiegen, sind die Hauptvorteile in geringerer Masse zu finden: Die SX-Einheit inklusive Akku und Peripherie bringt dank Magnesiumgehäuse, einer reduzierten Zahnradbreite und weiteren Leichtbaumaterialien nur noch vier Kilogramm auf die Waage.

Die Hälfte davon entfällt auf den Motor, die sogenannte Drive Unit. Damit ist das Paket gut zwei Kilogramm leichter als ein kompletter CX-Antrieb der gegenwärtig vierten Generation. Letzterer ist mit bis zu 85 Nm zwar drehmomentstärker, allerdings auch grösser und hat einen höheren Energiebedarf.

Der SX-Motor lässt sich dank schlankeren Abmessungen unauffälliger in den Rahmen integrieren, bietet den Herstellern folglich mehr Gestaltungsspielraum und ist mit Ketten- oder Nabenschaltungen kombinierbar. Gehärtete Stahlzahnräder sollen Haltbarkeit garantieren, Gummi-Metalllager lästige Vibrationen verhindern.

Weitere Charakteristika sind eine Dauerleistung von 250 Watt, maximal 600 W (Leistungsgewicht: 300 W/kg), 55 Newtonmeter sowie die Kombination mit einer ebenfalls leichteren 400-Wattstunden-Batterie, die laut Bosch eine besonders hohe Energiedichte aufweist. Damit sind sie kompakter und leichter als andere. Nahverkehrsstrecken sollen so problemlos realisierbar sein; wahlweise gibt es einen ebenfalls neu entwickelten 250-Wh-Range-Extender für mehr Reichweite: Wir tippen dann auf etwa 80 km, solange es nicht zu bergig wird.

Bosch stellt gar in Aussicht, dass sich je nach Anwendungsgebiet unter idealen Bedingungen bis zu 100 Kilometer zurücklegen liessen, auf Trails mit einem leichten E-Mountainbike seien 40 bis 60 Kilometer möglich. Der Zusatzakku vergrössere die Reichweite um bis zu 60 Prozent.

Im Fokus der SX-Line sieht man beim Hersteller ohnehin «sportives und urbanes eBiken» – also ein fahrradartiges, beschwingtes Fahrgefühl, das mit dem viel zitierten «natürlichen Flow» umschrieben wird. Für voll ausgestattete eSUV-Fullys ist das nicht gedacht; hier bleibt das CX-Modul weiterhin erste Wahl.

Neben den vorteilhaften physischen Eigenschaften weist die SX-Serie eine neue Software sowie eine erweiterte Sensorik mit intelligenten Funktionen auf. Abgesehen vom Off-Modus wird in den vier Stufen Eco (60 Prozent), Tour+ (60 bis 340 Prozent), Sprint (statt wie bisher EMTB, 140 bis 340 Prozent) und Turbo (340 Prozent) unterstützt.

So weit der Standard, denn Bosch hält insgesamt zehn verschiedene Unterstützungsstufen für sein «smartes System» bereit. Die Velohersteller entscheiden dann, wie sie ihre Modelle konfigurieren und beispielsweise EMTB statt Sprint aktivieren – und ob sie es ihren Händlern erlauben, die Modi auf Kundenwunsch auszutauschen.

Die Unterschiede liegen im Detail, entfalten aber grosse Wirkung: Während der sensorgesteuerte EMTB-Modus je nach eingebrachter Pedalkraft elektrisch unterstützt, belohnt das neue Sprint-Programm hohe Trittfrequenzen bis zu 120 U./min mit mehr Schub. Das geht beim SX auch mit dem Fahrprogramm Tour+. Die Unterstützungscharakteristik beider Stufen lässt sich zudem – auch das ist ein Novum – in der etwa um Sprachnavigation und Diebstahlalarm erweiterten App eBike Flow individuell abstimmen. Damit ist die SX-Serie vielseitiger konfigurierbar – Bosch bezeichnet das System gar als «Trainingspartner».

Zahlreiche Cockpits stehen zur Verfügung

Bei der Bedienung der Fahrprogramme steht es Bosch-motorisierten Pedelec-Herstellern frei, sich nur für eine Rahmen-integrierte oder eine zusätzlich Lenker-montierte Lösung zu entscheiden. Erstere ist die leichteste Variante: Sie nennt sich System Controller, bietet nur rudimentäre Infos zu Fahrmodi und dem Ladezustand, fungiert gleichzeitig als Ein/Aus-Schalter und ist zudem die Bluetooth-Schnittstelle für Software-Updates.

Die optionale (auch nachrüstbare) Lenker-Schalteinheit funktioniert drahtlos, heisst Mini Remote, kommt in zwei Grössen für verschiedene Lenkerquerschnitte und bietet einen bequemeren Zugriff auf Unterstützungsstufen, Schiebehilfe oder Lichtschalter. Darüber rangiert das ebenfalls am Lenker positionierte LED Remote, das den System Controller ersetzt und seinerseits die verschiedenen Funktionen mit unterschiedlichen Farben anzeigt.

Als drittes mögliches Cockpit-Element für die zusätzliche Anzeige relevanter Daten wie Trittfrequenz, Eigenleistung, Energiemanagement, Reichweite oder Navigationshinweise stehen verschiedene Bosch-Displays bereit, beispielsweise das bewährte Kiox 300 oder ein grösseres – neues – Kiox 500. Als wäre das nicht schon genug, lassen sich System Controller und Display alternativ auch in der neuen Anzeigeneinheit Purion 200 zusammenfassen – oder mit ihr erweitern.

Beeindruckende Elektro-Unterstützung

Bei einer Testfahrt mit eMTB-Prototypen wusste die SX-Einheit durchaus zu überzeugen. Der E-Motor spricht feinfühlig an, ist aber kein laues Lüftchen, sondern kann in höheren Unterstützungsstufen durchaus kraftvoll zupacken. Die fehlenden Pfunde machten sich auf dem gewählten Waldparcours positiv bemerkbar: Wo dieses Light-Pedelec sich wendig und agil durchschlängelt, wären wir auf einem schwereren E-SUV bereits abgestiegen.

Wenn man sich dagegen jenseits der unterstützten 25 km/h bewegt, tritt die SX-Serie angenehm in den Hintergrund: Der von anderen Bosch-Antrieben bekannte Widerstand ist hier um 50 Prozent reduziert worden, folglich ist die berüchtigte Bremswolke kaum noch wahrnehmbar.

Bei der empfundenen Leichtigkeit spielt die individuelle Dosierung der Antriebsunterstützung eine Schlüsselrolle. Ausschliesslich im EMTB-Modus kommt die bereits aus der dritten CX-Generation bekannte Funktion namens Extended Boost hinzu, die nicht nur beim Anfahren eine Extraportion Kraft auf das Hinterrad schickt, sondern auch dabei hilft, Wurzeln, Steine oder Stufen zu überwinden. Und zwar auch dann, wenn eigentlich nicht mehr pedaliert werden kann, weil beispielsweise ein Hindernis die nächste Kurbelumdrehung verhindert – der Motor schiebt dann nochmals nach.

Soll man also vor einem höheren Hindernis nicht absteigen, sondern nochmals antreten? Beim ersten Versuch müssen wir umdenken, werden aber angenehm überrascht: Das Vorderrad lässt sich leichter lupfen als vermutet – es kann zügig weitergehen.

Mit an Bord ist ausserdem eine smarte Schiebehilfe mit Rückrollschutz («Hill Hold»): Wird bergauf mit elektrischer Beihilfe geschoben und angehalten, blockiert der Motor und hält das Bike für zehn Sekunden in Position. Fahrer müssen dazu nicht bremsen, sondern steigen sicher auf, was in unebenem Terrain ein entscheidender Vorteil sein kann.

Mit dem SX-Antrieb verringert Bosch den Zielkonflikt zwischen Leistung und Gewicht, reagiert damit auf den zunehmend diversen Pedelec-Markt und spricht eine aktive Klientel an, die sich niemals ein schweres Pedelec kaufen würde.

Ähnliches haben kleinere E-Motoren-Hersteller wie Maxon oder TQ zwar auch schon gemacht, aber wenn ein Grossserienproduzent wie Bosch das tut, ist die Breitenwirkung eine andere. Es wird interessant zu beobachten sein, wie sich der Absatz entwickelt. Der neue Leichtbaumotor ist ab Ende Jahr erhältlich, zuerst in den 2024er-Modellen der Marken Bulls, Norco oder KTM. Grosse Preissprünge zwischen SX und CX sind nicht zu erwarten.

Exit mobile version