Sonntag, November 24

Die Protestbewegung der Landwirtschaft wurde von Medien zum Mob erklärt. Klimaextremisten, die Flughäfen lahmlegen und Strassen blockieren, werden dagegen zur besten Sendezeit eingeladen.

Kaum waren die ersten Bauern losgefahren, schlugen Medien Alarm. Am 8. Januar bewegten sich Tausende Landwirte mit Traktoren Richtung Hauptstadt, um gegen die kurzfristige Streichung von Agrarsubventionen zu protestieren. Von Beginn an begegneten einige Journalisten den Protesten mit einer Mischung aus Missverständnis, Panik und kaum verhohlener Verachtung für die Berufsgruppe.

Der «Spiegel» machte aus den Landwirten einen «motorisierten Mistgabelmob». Ausserdem ängstigt man sich im selben Blatt vor einer «Schattenarmee, die nur aufs Kommando zum Losschlagen wartet». Die «Welt» erklärte die Protestbewegung kurzum zur «Wutbauernschaft». Der Ratschlag eines Kommentators im «Tagesspiegel» lautete: «Macht mal halblang!»

Die Berichterstattung drehte sich schnell um eine mögliche Unterwanderung durch Rechtsextreme. «Bauern und Nazis: So wollen Rechtsradikale die Trecker-Proteste nutzen» lautete eine Schlagzeile im Redaktionsnetzwerk Deutschland.

Der Vizekanzler warnt, die Journalisten auch

In Schlüttsiel wurde Wirtschaftsminister Robert Habeck von Bauern und anderen Protestteilnehmern erwartet. Als er aus Sicherheitsbedenken wegen der aufgebrachten, aber zahlenmässig überschaubaren Gruppe von Bauern seine Fähre nicht verlassen konnte, drehte er für die Öffentlichkeit ein Video. Darin sprach er von «Umsturzphantasien» und warnte vor Extremisten.

Auf X, ehemals Twitter, zeigte ein SWR-Redakteur offen seine Verachtung für die Aktion: «Die Traktor-RAF, angestachelt von Springer (gemeint ist der Axel-Springer-Verlag, Anm. d. Red.) über CDU und AfD», schrieb der Journalist.

Eine Recherche des Norddeutschen Rundfunks ergab später, dass es keinen Erstürmungsversuch gegeben hatte. Der schleswig-holsteinische Verfassungsschutz gehe nicht von einer «Organisation oder Lenkung der Blockade durch rechtsextremistische Kreise» aus.

Bauernproteste blieben friedlich

Wenn der Vizekanzler die Gefahr, die von Protesten ausgeht, überzeichnet, ist das eine Sache. Doch wenn Journalisten sich ähnlich überdreht äussern, ist das bemerkenswert. Sollten sie nicht jeder Interessengruppe möglichst unvoreingenommen begegnen?

Obwohl die angemeldeten Proteste friedlich blieben, hielt auch die «Tagesschau» bereits am 8. Januar eine Unterwanderung der Proteste durch «Rechtsextremisten und Verschwörungsideologen» für wahrscheinlich.

Journalisten fanden es angemessen, frühzeitig allerlei «Extremismusforscher» zu befragen. So forderte der Soziologe Matthias Quent im Deutschlandfunk die Bauern dazu auf, sich von rechten Mitläufern klar abzugrenzen. Nationalistische, rechtsextremistische und verschwörungsideologische Akteure würden versuchen, die Bewegung politisch zu instrumentalisieren, sagte Quent.

Landwirt fühlte sich unfair behandelt

Diese Vorverurteilung spüren auch die Landwirte. Im «Cicero» sagte einer: «Ich war fassungslos darüber, dass Interviews unehrlich geschnitten und Aussagen verdreht dargestellt wurden. Die schlechtesten Erfahrungen musste ich mit den öffentlich-rechtlichen Medien machen.» Der Mann hatte den Eindruck, die Journalisten wollten sie «vorführen».

Der «Spiegel» verglich die Proteste der Bauern mit jenen der Klimakleber. In einem Text des Wochenmagazins heisst es: «Was ist nachvollziehbarer, was sympathischer, was leichter zu ertragen: Der Protest einer Gruppe, die dafür kämpft, eine jährliche Subvention von etwa 2600 bis 2900 Euro pro eigenen Betrieb zu behalten? Oder der Protest von Menschen, die kein Geld haben wollen, aber eine erträgliche Zukunft für das Leben auf diesem Planeten?»

Friedlicher Aktivismus sieht anders aus

Davon abgesehen, dass die Rückerstattung der bezahlten Dieselsteuer für einen einzelnen Hof bis zu 10 000 Euro ausmachen kann, offenbart sich hier eine Haltung, die bei einigen Medienmachern dominant zu sein scheint: Die wirtschaftlichen Anliegen der Bauern sind einigen Journalisten per se nicht geheuer, die politischen Forderungen der Klimaschützer dagegen schon.

Die Folge ist eine Berichterstattung, die alle Klischees über parteiische und voreingenommene Journalisten bestätigt.

Bis heute sprechen viele Journalisten von Klimaaktivisten, wenn es um die Letzte Generation geht. Dabei bewegen sich Vertreter der Gruppe längst im extremistischen Bereich. Sie scheuen sich weder, ganze Flughäfen lahmzulegen, noch, das Brandenburger Tor oder die FDP-Zentrale zu verschandeln. Vom Landgericht München werden sie als «kriminelle Vereinigung» eingestuft.

Friedlicher Aktivismus ist das längst nicht mehr, doch dürfen die Extremisten mit der Sanftmut jener Journalisten oder Forscher rechnen, die mit ihren politischen Forderungen einverstanden sind.

Lützerath als rührseliger Protest

Die Strassenblockaden der Letzten Generation hält der oben zitierte Experte Matthias Quent für ein mildes Mittel. «Die bisherigen Mittel der Letzten Generation sind mild im Vergleich zu anderen Protesten», sagte der Soziologe gegenüber der Deutschen Presse-Agentur (DPA). Die Aktionen der Gruppe seien nur Ausdruck von zivilem Ungehorsam. Vor Razzien gegen die Letzte Generation warnt Quent sogar. Das Vorgehen der Ermittler könnte zu einer Radikalisierung führen.

Das rührselige Bild der friedlichen Aktivisten verbreitete die DPA auch während der Proteste in Lützerath, bei denen über hundert Polizisten verletzt wurden: «Einige Aktivisten protestierten bewusst mit leisen Tönen gegen den Polizeieinsatz. Ein Aktivist sass mitten im Regen an einem alten Klavier und spielte.»

Talkshow-Einladungen statt Vorverurteilungen

Statt moralischer Verurteilungen gibt es wohlwollende Agenturmeldungen, Porträts und Talkshow-Einladungen für jene Klimajünger – sowohl in privaten als auch in den öffentlichrechtlichen Medien. Das mit Gebührengeldern finanzierte ZDF widmete den radikalen Klimaschützern sogar eine eigene Serie.

Die ARD-Moderatorin Caren Miosga lud die Sprecherin der Letzten Generation für ein Gespräch auf Augenhöhe zu den «Tagesthemen» ein, nachdem die Gruppe eine Landebahn am Flughafen Berlin-Brandenburg besetzt hatte.

Gerade im linken Spektrum sind Journalisten oft mehr Fan als Kritiker, wenn es um junge Klimabeseelte aus dem akademischen Milieu geht.

«Traktor-RAF» contra «Klima-RAF»

In einem Porträt des «Spiegels» mit dem Titel «Die Superkleberin» heisst es über eine Klimaradikale, gegen die mehrere Prozesse laufen: «Wer könnte ernsthaft von sich behaupten, er sei im Widerstand? Womöglich noch zivil, gewaltfrei?»

Als der CSU-Politiker Alexander Dobrindt angesichts der Störaktionen der Letzten Generation vor der Entstehung einer «Klima-RAF» warnte, war die Empörung gross. Der ZDF-Fernsehunterhalter Jan Böhmermann entwarf ein Fahndungsplakat, um den Vergleich zu verunglimpfen. Die Wortwahl des SWR-Redakteurs, der von «Traktor-RAF» schreibt, wird wohl eine Randnotiz bleiben. Und schmachtende Porträts und Einladungen in Talkshows sind für Rinderwirte und Traktorfahrerinnen eher Mangelware.

Grüne wünscht mehr Berichte über «Demos gegen rechts»

Etwas leichter in der Berichterstattung als die Landwirte haben es die aktuellen «Demos gegen rechts», die sogar Bundeskanzler Olaf Scholz besuchte.

Als die «Tagesschau» nicht wie gewünscht berichtete, schaltete sich die NDR-Rundfunkrätin und Grünen-Politikerin Jessica Kordouni ein. Sie bemängelte öffentlich, dass es ein Ungleichgewicht zwischen «antifaschistischen Demonstrationen und den Bauernprotesten» gebe. Zwei Tage nach der Kritik der Rundfunkrätin begannen die «Tagesthemen» mit den bundesweiten Anti-AfD-Demos.

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