Dienstag, November 26

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1974 überrascht Muhammad Ali den Box-Champion George Foreman, viele Skeptiker und eine Milliarde TV-Zuschauer. Der Kampf zählt zu den grössten Sportereignissen der Geschichte – nicht nur wegen seiner sportlichen Dimension.

Der letzte Treffer sieht nicht furchtbar aus, er ist nur fürchterlich präzise. Ausserdem braucht es nach knapp acht erbitterten Runden bei der hohen Luftfeuchtigkeit von rund 90 Prozent nicht mehr allzu viel, um einen 99,8 Kilogramm schweren Athleten von den Beinen zu holen.

Also hält Muhammad Ali nach seiner Schlagserie einfach inne und beobachtet, wie sein Gegner taumelt und zu Boden stürzt. Der heisst George Foreman. Und galt bis zu diesem Moment als begnadetster Knock-out-Artist des Planeten. Für die 37 Siege in ebenso vielen Profikämpfen hat er im Schnitt kaum drei Runden benötigt.

«Ich erledige sie gern schnell», hat der bärenstarke Profi aus Texas mal gesagt. «Auf diese Weise wird niemand verletzt. Keine Kopfschmerzen.» Doch an diesem frühen Morgen in Kinshasa, Zaire (heute Demokratische Republik Kongo), ist es Foreman, der am Boden liegt und sich nicht rechtzeitig nochmals aufrappeln kann.

Es gibt auch keine Proteste aus seiner Ecke, als der Ringrichter Zack Clayton ihn aus dem Duell um den Weltmeistertitel im Schwergewicht nimmt. «Muhammad Ali hat durch Knock-out gewonnen. Durch Knock-out!», brüllt der amerikanische TV-Kommentator Jim Sheridan ins Mikrofon. Da stürmen im Stade du 20 Mai bereits Betreuer, Befugte und Unbefugte in den Ring.

Der Routinier entthront den scheinbar Unschlagbaren

Im Boxen kann ein Nimbus in wenigen Sekunden zerstört werden, das kommt immer wieder vor. Doch dass ein 32-jähriger Routinier ohne ganz grossen Punch einen als schier unschlagbar geltenden, sieben Jahre jüngeren Champion noch vor Ablauf der maximalen Kampfzeit entthront, wird ab sofort als Sensation gehandelt. Und weil dabei der berühmteste Schwergewichtler der Geschichte triumphiert, darf man den WM-Kampf vom 30. Oktober 1974, der als «Rumble in the Jungle» in Erinnerung blieb, sicherlich zu den grössten Sportereignissen des 20. Jahrhunderts zählen: aussergewöhnlich in der Inszenierung, historisch nicht nur wegen seiner sportlichen Dimension.

So war es ein Novum, dass ein Titelkampf in der Königsklasse des Boxsports nicht in New York oder Las Vegas, sondern in Afrika ausgetragen wurde. Der Umstand liess manchen Sportreporter in den USA fluchen. «Der Gipfel des Mount Everest war wohl schon vergeben», mokierte sich ein Kolumnist.

Andere mussten erst einmal den Atlas betrachten, um die Lage der damaligen Republik Zaire, ehemals «Kongo-Léopoldville», verorten zu können. Genau das hatte der mächtige Präsident Mobutu Sese Seko beabsichtigt: Tout le monde sollte auf die junge Nation blicken, die er und seine Einheitspartei angeblich in ein Paradies für schwarze Bürger und weisse Investoren verwandeln wollten – und tatsächlich zum eigenen Vorteil ausbeuteten. Der Mann mit der Leopardenmütze hatte Jahre zuvor bereits die Wahlen zur «Miss Europa» nach Kinshasa geholt. Nun sollte jener kleine Coup mit einer Box-WM getoppt werden, die auf allen Kontinenten via TV verfolgt werden würde.

Trotz den Niederlagen gegen Joe Frazier im Jahr 1971 und Ken Norton 1973 galt Muhammad Ali noch immer als populärster Boxprofi der Welt. Doch der Beste in der obersten Gewichtsklasse schien mittlerweile George Foreman zu sein: Er hatte nicht nur den Champion Frazier, sondern auch sämtliche anderen Widersacher mit seiner Schlagkraft aus dem Weg geräumt. So war ein Duell zwischen den beiden Olympiasiegern – Ali hatte 1960 in Rom, Foreman 1968 in Mexiko-Stadt triumphiert – der attraktivste Boxkampf jener Zeit, aber auch der teuerste.

Der abenteuerliche Deal des «Don» King

Für weniger als fünf Millionen Dollar Preisgeld wollte keiner der beiden Kontrahenten in den Ring steigen. Das hatten sie Anfang 1974 in den USA verlauten lassen. Obendrein verlangten sie Garantiezahlungen vorab, was viele Interessenten verscheuchte – nur eben nicht den Unterhändler einer New Yorker Firma, die sich auf Live-Übertragungen per Satellit spezialisiert hatte. Donald «Don» King, so sein Name, blieb dran, und zum Frühsommer hatte der einstige Halbwelt-Ganove aus Ohio die Signaturen von Ali und Foreman auf einem provisorischen Vertrag. Das war möglich geworden, weil weitere Unternehmen aus England und Kanada einstiegen – sowie ein Gewährsmann des Präsidenten Mobutu, der das Preisgeld mit «Rücklagen» der Regierung auf einem Schweizer Konto absicherte.

Der abenteuerliche Deal machte King auf einmal zu einer Schlüsselfigur im globalen Box-Business – und Kinshasa bald zum Tummelplatz für Reporter und Edelfedern, Dokumentarfilmer und Starfotografen aus aller Welt. Insgesamt waren es weit über hundert Journalisten, die ab August in den internationalen Hotels im Stadtzentrum logierten; oder in einem der Apartments nahe dem Präsidentensitz in Nsele, an den Ufern des Kongo, wo auch die Boxer trainierten. Sie verfolgten Tag für Tag das Sparring, fischten Zitate auf und drängten sich zunächst um lediglich zwei Fernschreiber, die ihre Berichte in die heimischen Redaktionen schickten.

Das war am Anfang noch aufregend und wurde bald zur Routine. «Wenn Kinshasa Charme besass – wo ihn suchen?», sollte der US-Romancier Norman Mailer später in seinem gerühmten Tatsachenroman über die Box-WM «The Fight» rhetorisch fragen. Denn «durch Kinshasa zu fahren, war kaum angenehmer, als sich vierzig Meilen weit durch dichten Lastwagenverkehr und die von Autos wimmelnden Vororte von Camden oder Biloxi zu quälen.»

Muhammad Ali aber pries das Land der Gastgeber bei jeder Gelegenheit, sobald er seinen Bungalow in Nsele verliess. Der streitbare Anhänger der Nation of Islam begeisterte sich für das junge Zaire, in der Schwarze nicht nur Kellner und Taxifahrer, sondern auch Piloten und Minister waren. Auf seinen Laufrunden liess er sich von Schuljungen ablenken, um mit ihnen herumzualbern, und vor den Medien bezeichnete er seinen Aufenthalt als glückliche Heimkehr eines Afroamerikaners. Das machte ihn im Vergleich zu George Foreman, der das öffentliche Interesse eher pflichtschuldig bediente, zum erklärten Hoffnungsträger. Wo immer er auftauchte, schallte ihm ein vielstimmiges «Ali, bomaye!» entgegen, «Ali, töte ihn!».

Die ostentative Begeisterung wurde Mitte September auf eine harte Probe gestellt: Weil Foreman beim Sparring am rechten Auge verletzt worden war, wurde der ursprüngliche WM-Kampf vom 25. September auf den 30. Oktober verschoben. So lange mochte Ali es kaum aushalten. Im engsten Kreis gestand der zweifache einstige Champion, dass er die USA vermisse. Daher brachte er mal einen dritten Kampf gegen Joe Frazier, mal einen späteren Termin mit Foreman in den Vereinigten Staaten ins Spiel. Aber Mobutu und seine Clique blieben unerbittlich: Der WM-Kampf musste hier im leidlich modernisierten Fussballstadion von Kinshasa vonstattengehen.

Der selbstherrliche Autokrat hatte längst Plakate und Banderolen an den Hauptstrassen anbringen lassen, die den WM-Kampf als «Geschenk» an die Bevölkerung sowie einen «Sieg für den Mobutismus» feierten. Wenn es ihm gefiel, nahm er auch an öffentlichen Terminen teil. Am Tag der Entscheidung aber blieb er dem Treiben fern – ob nun aus Sorge um den nahen Monsun, aus Angst vor einem Attentat oder wegen seiner Eifersucht auf die Strahlkraft von Ali. Der wusste in den ersten, dunklen Stunden des 30. Oktober, zu bester US-Fernsehzeit, umso heller zu glänzen: als wahrer König von Kinshasa und begnadeter Stratege im Ring.

Nach einer Runde wechselt Muhammad Ali seine Strategie

Zwischen den beiden Rivalen, die sich unter dem kurz zuvor installierten Aluminium-Dach begegnen, gibt es einen entscheidenden Unterschied. Foreman will und kann nur den Streifen boxen, den er immer geboxt hat: den Gegner von der Ringmitte aus so lange mit giftigen Schlägen zu bearbeiten, bis dieser zerstört ist. Das hat bisher stets funktioniert. Ali hingegen kann sein taktisches Repertoire dem Gegenüber anpassen. Und er ist flexibel genug, jedes Konzept bei Bedarf über den Haufen zu werfen. So wie in diesem Fall.

Schon die erste Runde hat dem Herausforderer gezeigt, dass seine Idee, den Titelverteidiger wie ein Schmetterling auszutanzen, auf Dauer nicht funktionieren kann. Seine Beine würden in der schwülen Stadionluft bald müde werden, zumal Foreman ihm geschickt den Raum abschneidet. Also entscheidet sich Ali zum sichtbaren Ärger seines Trainers Angelo Dundee, die wuchtigen Haken bevorzugt an den Ringseilen zu empfangen, um ihnen mit Pendelbewegungen die Wucht zu nehmen. Die im Gym trainierte Methode des «Rope-a-dope» ist riskant, erweist sich aber als geeignet. Sie erlaubt Ali, phasenweise mitzuschlagen und dabei noch Luft zu haben für Provokationen. «Das tut nicht weh», bekommt Foreman zu hören, «ich dachte, du wärst der Böse.» Und: «Ist das alles, George? Du schlägst wie ein Weichei.»

Und tatsächlich: Nach vier, fünf Runden lassen Wucht und Frequenz von Foremans Schlägen langsam, aber sicher nach. Das gibt seinem Herausforderer die Gelegenheit, Mass zu nehmen für den Konter über die gegnerische Schlaghand hinweg. Der Schlag sitzt einmal, zweimal, dreimal – und leitet schliesslich jene Serie von Treffern ein, von der sich der ausgelaugte Titelverteidiger nicht mehr erholt. So wird dessen Niederlage vor offiziell 60 000 Zuschauern – und der Rekordzahl von rund einer Milliarde TV-Zuschauern weltweit – zum Musterbeispiel, wie ein physisch unterlegener Boxer mit dem intelligenteren Match-Plan siegen kann.

Der enttäuschte Foreman gibt unmittelbar nach dem Kampf allen und allem die Schuld an der Niederlage: dem schnellen Ten-Count des Ringrichters, den zu lockeren Ringseilen. Und sogar einer angeblich manipulierten Wasserflasche. Erst Jahre später wird er dem Ali-Biografen Thomas Hauser gestehen, dass sein Bezwinger «a little too sharp for me» gewesen sei. Ein bisschen zu gut halt.

Ali wiederum hat den Weltmeistertitel zurück, der ihm 1967 als Kriegsdienstverweigerer entzogen wurde. Noch einmal hat er alle Skeptiker düpiert. Ähnlich wie zehneinhalb Jahre früher, als ihm vor dem WM-Kampf in Miami kaum Chancen gegen den Champion Sonny Liston eingeräumt worden waren. Wie hatte Ali Stunden vor dem ersten Gong prophezeit: «Wenn George Foreman mich nicht in sieben Runden kriegt, wird sein Fallschirm sich nicht öffnen.»

Kaum eine Stunde nach dem Kampf prasselt dann der erste Monsunregen mit aller Macht auf die Anwesenden ein. Dramatischer hätte einer der geschichtsträchtigsten Boxkämpfe des 20. Jahrhunderts kaum ausklingen können.

Der Autor dieses Artikels ist der Verfasser des kürzlich erschienenen Buches: «Ali vs. Foreman. 50 Jahre», Die Werkstatt/Delius Klasing 2024.

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