Freitag, Dezember 27

Die Schweizer Fussballer starten am Samstagabend in Dänemark ins Länderspieljahr. Murat Yakin präsentiert sich nach schwierigen Zeiten wie ein Entfesslungskünstler.

Die Bilder sind verblasst. Doch sie sind sofort wieder da, wenn man sich an den letzten Herbst erinnert. Als Murat Yakin kraftlos wirkte wie sein Nationalteam. Als der Trainer der Schweizer Fussballer keine Lösungen fand auf dem Spielfeld und keine Erklärungen in der Analyse. Als seine Mannschaft gegen international drittklassige Gegner schwer enttäuschte. Und als viele Beobachter und Medien davon ausgingen, dass Yakin seinen Job verlieren würde.

Einige Diskussionen, eine EM-Auslosung und ein paar Monate später ist Murat Yakin wieder in der Öffentlichkeit präsent. Er zog sich in den Wintermonaten zurück, verzichtete auf Medientermine und präsentiert sich nun, einem Entfesslungskünstler gleich, beinahe wie ein neuer Nationaltrainer. Seine Position ist trotz des schwachen Länderspieljahres 2023 sogar gestärkt, weil er in Giorgio Contini einen neuen Assistenten erhielt, mit dem ihn ein Vertrauensverhältnis verbindet. Und er hätte – so absurd das noch im Dezember geklungen hätte – kürzlich offenbar seinen nach der EM im Sommer auslaufenden Vertrag vorzeitig um zwei Jahre verlängern können.

Vermutlich hat Yakin aber nicht vergessen, dass ihn nicht alle im Fussballverband während der Krise vor ein paar Monaten mit voller Überzeugung unterstützt haben. In dieser Woche sagte Pierluigi Tami, der Direktor der Nationalmannschaft: «Ich wäre froh, wenn wir mit Yakin auch nach dem Sommer arbeiten würden. Denn das hiesse, dass wir alles richtig gemacht haben an der EM.»

Es ist Yakins Wille, erst einmal an dieser EM Vieles richtig zu machen. Das kann ein Risiko sein. Auch für den Verband, weil er im Sommer unter Umständen zur Unzeit auf Trainersuche gehen muss, wie nach der letzten EM vor drei Jahren. Dieses Vorgehen belegt aber Yakins Unabhängigkeit. Er hat keine Angst und pflegt genug andere geschäftliche Aktivitäten. Und er weiss, dass es ein Trainerleben nach dem Schweizer Nationalteam geben wird.

Sein Fokus gilt der EM mit den Vorrundenspielen gegen Ungarn, Schottland und den Gastgeber Deutschland. Dann wird abgerechnet. Und so gibt Yakin den Gambler. Das muss keine schlechte Nachricht für das Nationalteam sein. Es ist Yakins beste Rolle. Und er wirkt gerade so, als ob er das Gefühl habe, gute Karten in den Händen zu halten.

Hält die Beziehung zu Granit Xhaka?

Fünf Tage bereiteten sich die Schweizer zuletzt in La Manga im Süden Spaniens vor, nun absolvieren sie zwei Testspiele; am Samstagabend treffen sie in Kopenhagen auf Dänemark, am Dienstag in Dublin auf Irland. Murat Yakin hat keine personelle Revolution ausgerufen. Und: Er hat in den letzten Wochen nicht nur Gespräche mit Nationalspielern geführt, um deren Aufgaben klar zu definieren, sondern sich auch grundlegende Gedanken zur taktischen Ausrichtung der Auswahl gemacht.

Yakin sagt: «Wir müssen flexibler sein. Und wir werden nun wieder auf Gegner treffen, gegen die wir nicht teilweise 70 Prozent Ballbesitz haben wie in der EM-Qualifikation.» Gegen Teams, die nicht nur verteidigen, sagt Yakin, sei es einfacher, konzentrierter zu bleiben.

Der Nationaltrainer ist konzentrierter und aufgeräumter, frischer und optimistischer als im Herbst. Seither hat er sich erneut mit seinem Captain Granit Xhaka getroffen und sich mit ihm ausgesprochen. Das Verhältnis der beiden ist fragil, aber womöglich gelingt es ihnen, Befindlichkeiten und Eitelkeiten den hohen Zielen im Sommer unterzuordnen. Wobei Xhaka selbst während seiner herausragenden Saison mit Leverkusen stets für eine unbedachte Aktion sorgen kann, und wenn es nur über die Sozialen Netzwerke ist, wie kürzlich, als er emotional die Geschehnisse im FC Basel und die Rolle seines Bruders Taulant kommentierte. Familienehre first.

Yakin dürfte zudem langjährigen Nationalspielern wie Xherdan Shaqiri, Ricardo Rodriguez und Fabian Schär klargemacht haben, dass sie nicht mehr immer zu den Stammkräften gehören könnten. «Jeder muss seine Rolle kennen», sagt der Nationaltrainer. Schär hatte sich in der Vergangenheit darüber beklagt, im Nationalteam nicht jene Wertschätzung zu erhalten, die er angesichts seiner starken Leistungen bei Newcastle verdient hätte. Bisher hat Schär nicht besonders gut harmoniert mit dem Schweizer Abwehrchef Manuel Akanji. Shaqiri und Rodriguez wiederum sind nicht mehr so spritzig wie zu ihren besten Zeiten und könnten deshalb nicht mehr auf ihren Positionen am rechten Flügel respektive links in einer Viererkette eingesetzt werden.

Warum nicht Ndoye links und Shaqiri im Sturmzentrum?

Wenn nicht alles täuscht, dürften die Schweizer ohnehin eher auf eine Dreierkette in der Abwehr setzen; mit Akanji im Zentrum, vielleicht mit Nico Elvedi (oder Fabian Schär) rechts, vielleicht mit Rodriguez links. Xhaka wird seine Lieblingsposition direkt vor der Abwehr einnehmen, unterstützt von zwei zentralen Spielern wie Remo Freuler und Denis Zakaria, die ein wenig weiter vorne postiert sind.

Rechts im Mittelfeld ist Silvan Widmer gesetzt, die linke Aussenbahn aber bleibt die Problemzone. Ulisses Garcia von Marseille reiste am Freitag angeschlagen aus dem Trainingscamp ab. Es gibt Überlegungen, links eine mutige Variante zu wählen mit Ruben Vargas oder Renato Steffen. Oder sogar mit Dan Ndoye, der ebenfalls ein offensiver Flügelspieler ist und mit seiner Schnelligkeit gerade in Umschaltsituationen ein wertvoller Faktor sein könnte. Dem Nationalteam mangelte es im letzten Jahr nicht nur an Effizienz, sondern oft auch an Geschwindigkeit. Und weil Widmer und Rodriguez taktisch intelligente Fussballer sind, könnte die neue Ausrichtung defensiv variabel interpretiert werden.

Im Sturm fehlt es der Schweiz an einem Torjäger, kein Nationalspieler hat in der Liga in dieser Saison mehr als fünf Tore erzielt. Immerhin dürfte Breel Embolo nach seinem Kreuzbandriss bald wieder einsatzbereit sein. Und vielleicht testet Yakin auch ein 3-5-2-System mit zwei zentralen Stürmern: Kandidaten für die vorderste Linie sind Zeki Amdouni, Noah Okafor, Vargas, Ndoye – und Shaqiri. Es ist ja ein Trend im Fussball, ganz vorne auch Spieler aufzustellen, die nicht zwingend als Stürmer gelten, mit ihrer Technik aber in der Lage sind, in Tornähe gefährliche Aktionen zu kreieren. Ein Beispiel dafür ist Kai Havertz in London bei Arsenal.

Viel Zeit bleibt Murat Yakin nicht bis zur EM. Doch als Gambler mag er solche Konstellationen. Rücksicht muss er nicht mehr nehmen – und zu verlieren hat er wenig. Schlechter als im Herbst 2023 kann es kaum werden.

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