Mittwoch, Oktober 9


Gartenbesuch

Die Idee, ungeliebte Architektur hinter Pflanzen zu verstecken, ist natürlich nicht neu. Eine Vegetationsdecke, die auch unter dem Gebäude ununterbrochen weitergeht, das ist jedoch geradezu radikal. Zu Besuch im Garten des «Musée du quai Branly – Jacques Chirac».

Auf vier Spuren donnern Autos vorbei. Die Strasse entlang der Seine ist eine der Hauptverkehrsadern von Paris. Wer hier zu Fuss unterwegs ist, hat sich entweder verlaufen oder ist auf dem Weg zum Museum für aussereuropäische Kunst. Anstatt eines Museumsgebäudes taucht allerdings zuerst eine riesige Glaswand neben dem Trottoir auf. Dahinter ist es grün. Ein Wald, hier?

Ein paar Schritte durch eine Öffnung im Glas, und es ist ruhig. Sträucher und Gräser wachsen dicht gedrängt unter Laubbäumen. Folgt man den Wegen, die sich wie zufällig durch die Vegetation schlängeln, fühlt sich das tatsächlich an wie ein Waldspaziergang. Nur rötliche Formen, die immer wieder zwischen dem Laub aufblitzen, schmälern die Illusion.

Dann steht man plötzlich unter einem riesigen Gebäude. Es ist das Museum. Geformt wie ein unregelmässiger rötlicher Fels und gehalten von Stelzen, schwebt es zehn Meter über den Pflanzen.

Der Effekt ist monumental und ungewöhnlich. Man fragt sich, wie es zu dem Bau kam. Der etwas sperrige, offizielle Name «Musée du quai Branly – Jacques Chirac» lässt die kontroverse Entstehungsgeschichte des Museums erahnen. Nicht nur der Umgang mit Kunstgegenständen, die während der Kolonialzeit angehäuft wurden, sorgte für Debatten, auch das Gebäude selbst.

Die Anwohner des gehobenen 7. Arrondissements sorgten sich, dass ein Koloss ihre feinen Appartements von der Seine trennen würde. Am liebsten wäre ihnen vermutlich ein Park anstelle eines Museumsgebäudes gewesen. Der Entwurf des Architekten Jean Nouvel war schliesslich eine wunderbar kreative Lösung des Problems.

Eine gärtnerische Herausforderung

Die Idee, ungeliebte Architektur hinter Pflanzen zu verstecken, ist natürlich nicht neu. Eine Vegetationsdecke, die auch unter dem Gebäude ununterbrochen weitergeht, das ist jedoch geradezu radikal. Nur, ein solches Konzept gärtnerisch umzusetzen, ist nicht einfach. Umso beeindruckender ist die Üppigkeit des Grüns hier. Robuste Gräser wie die Riesen-Wald-Segge (Carex pendula) sind die perfekte Wahl. Nur dort, wohin überhaupt keine Feuchtigkeit gelangt, wird künstlich bewässert.

Für diese Bepflanzung und das gesamte Design des Parks ist Gilles Clément verantwortlich. Er ist bekannt für seine innovative, oft bahnbrechende Landschaftsarchitektur. Dem «Jardin du Musée du Quai Branly – Jacques Chirac» fehlen alle Merkmale eines klassischen französischen Parks, keine Sichtachsen, keine Freiflächen, nur Vegetation, und auch die ist besonders.

Neben heimischen Pflanzen wachsen hier exotische, neben Seggen steht Bambus. Kriterium sind nur die Anforderungen der Pflanzen an ihren Standort. Für Gilles Clément ist eine solch gemischte Bepflanzung das gärtnerische Äquivalent einer multikulturellen Gesellschaft. Seine umstrittene Theorie des «planetarischen Gartens» besagt, dass Pflanzen aus aller Welt gemeinsam ein neuartiges, artenreiches und widerstandsfähiges Ökosystem bilden können.

Hier scheint das Konzept zu funktionieren. Die Vegetation ist bei genauem Hinsehen äusserst vielfältig. Dutzende Arten von Bäumen wachsen in dem waldähnlichen Teil. Auf der der Seine abgewandten Seite erinnert der Park an eine fruchtbare Savanne voller Sträucher und schulterhoher Gräser. Dazwischen entdeckt man immer wieder kleine Lichtungen, informelle Gartenzimmer, in denen Sitzgelegenheiten zum Verweilen einladen.

Die Landschaftsarchitektur ist zurückhaltend, will nur Rahmen sein für üppige Vegetation. Armierungseisen, wie man sie vom Bau kennt, dienen als Rankhilfe für eine herrlich duftende Kletterrose. Dekorativen Cortenstahl hätte man stattdessen erwartet. Das billige Konstruktionseisen erfüllt den Zweck genauso, wirkt aber betont unprätentiös, genau wie der gesamte Park. Man hat das Gefühl, einfach in einem Stück Natur zu sein, das man zufällig mitten in Paris entdeckt hat. Man verliert fast die Orientierung, bis plötzlich der pariserischste aller Fixpunkte hinter den Bäumen auftaucht, der Eiffelturm.

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