Mittwoch, Oktober 9

Das Vibiscum in Vevey schüttelte den Westschweizer Festival-Markt durch, hatte die Kosten aber offenbar nicht im Griff. Zwei Wochen vor den Konzerten wird nun der Stecker gezogen.

Die emblematische Place du Marché in Vevey ist wie immer mit Autos vollgestellt, der Alltag nimmt seinen Gang. In zwei Wochen wäre die Stimmung hier eine ganz andere gewesen – am Vibiscum-Festival hätten während drei Abenden Konzerte stattfinden sollen. Auf dem Programm standen Künstler, die eine internationale Karriere vorzuweisen haben: der Rapper Hamza, die Rockgruppe Shaka Ponk oder der DJ Hardwell.

Den Nerv der frankofonen Jugend haben die Veranstalter damit aber offenbar nur bedingt getroffen. Knall auf Fall mussten sie am Donnerstag bekanntgeben, dass die diesjährige Ausgabe annulliert werden muss. Sie hatten schlicht zu wenige Tickets verkauft, um die Ausgaben für die Künstler und weitere Dienstleister decken zu können.

Der eigentliche Hammerschlag folgte erst in einem zweiten Schritt. Aufgrund von «finanziellen Schwierigkeiten» sei man derzeit nicht in der Lage, den Preis bereits gekaufter Tickets zurückzuerstatten, heisst es. Man verstehe, dass dies frustrierend sei, und versuche, «eine für alle gerechte Lösung» zu finden, schreiben die Organisatoren.

Für einen Konzertabend waren 95 Franken fällig, der VIP-Eintritt kostete gar 250 Franken. Platz hätte es für 15 000 Gäste pro Abend. Wie Gründer und Direktor William von Stockalper – ein Nachfahre des legendären Handelsmannes aus Brig – gegenüber «24 heures» ausführte, wurden bis am Mittwoch rund 9000 Billette verkauft. Für die NZZ waren am Freitag weder er noch die Kommunikationsverantwortliche erreichbar.

Es bilden sich Selbsthilfegruppen

In den sozialen Netzwerken gehen seit der Annonce die Wogen hoch. «Ich bin sprachlos», schreibt eine Nutzerin, die über 300 Franken ausgegeben hat. Andere verdrehen den Namen des Open Airs zu «Vibiscam» – als sei man Betrügern auf den Leim gekrochen. Auf Facebook hat sich gar eine Gruppe namens «Geschädigt vom Vibiscum» gebildet, wo sich die Mitglieder über juristische Mittel austauschen, um an ihr Geld zu kommen.

Allzu viel Hoffnung sollten sie sich allerdings nicht machen. Die Westschweizer Konsumentenorganisation (FRC) empfiehlt den Ticketinhabern, ihrer Forderung mittels eingeschriebenen Briefs Nachdruck zu verleihen. Wenn das Festival überschuldet sei, werde man sein Geld allerdings nicht wiedersehen, so die FRC-Juristin gegenüber RTS.

Wie es um die Finanzlage des Vibiscum steht, wissen nur Eingeweihte. Die Absage diese Woche ist jedenfalls nicht die erste Negativschlagzeile, die das Festival produziert. Das grossspurige Auftreten der Veranstalter sorgte in der Branche von Anfang an für helle Aufregung.

Denn der (West-)Schweizer Open-Air-Markt ist gesättigt. Musikfreunde wissen kaum mehr, wo sie bei all den Angeboten als Nächstes hinreisen sollen. Neben den beiden traditionsreichen, international bekannten und mehrtägig stattfindenden Giganten – dem Paléo und dem Montreux Jazz Festival – gibt es eine Vielzahl von kleineren und mittelgrossen Veranstaltungen, die von Frühling bis Herbst um die Gunst des Publikums buhlen.

Methoden wie im Profifussball

Aus dem Nichts gesellte sich im März 2022 plötzlich das Vibiscum hinzu. Der Name – zu römischen Zeiten hiess Vevey so – versprach Lokalkolorit, die Veranstalter dachten aber weit über das beschauliche Städtchen am oberen Genfersee hinaus. Von Stockalper, der Präsident des FC Vevey-Sports mit Verbindungen zum FC Sion, habe ein Festival zusammengeschustert, das bezüglich Methoden und Geldsummen eher «an die individualistischen Exzesse der Fussballwelt als an die Westschweizer Musikszene» erinnere, schreibt «24 heures».

Die erste Ausgabe, welche die Organisatoren in nur drei Monaten auf die Beine stellten und selbst als «Verrücktheit» einstuften, ging noch als Galaabend für den lokalen Fussballverein über die Bühne – mit niemand Geringerem als der legendären Hip-Hop-Crew IAM als Hauptakt. Der Anlass wurde zum vollen Erfolg.

Doch dieser stieg von Stockalper und seinem Team gemäss Branchenexperten in den Kopf. Den französischen Rapper Orelsan etwa hätten sie mit einer Wahnsinnsgage ans Vibiscum gelockt, obwohl er zuvor mit dem Festi’neuch vereinbart hatte, in Neuenburg aufzutreten. Auch für weitere Stars griffen die Veranstalter, die nunmehr auf den Weltkonzern Nestlé als Hauptsponsor zählen konnten, tief ins Portemonnaie.

Mutmasslich hohes Defizit

Die Einnahmen folgten aber schon letztes Jahr nicht den Erwartungen. Statt der zur Ausgabendeckung notwendigen 12 000 Besucher pro Abend kauften für den Freitag gemäss «24 heures» nur gut tausend Personen ein Billett. Gleichzeitig stiegen im internationalen, inflationär geprägten Musikgeschäft die Kosten laufend. Es resultierte ein mutmasslich siebenstelliges Defizit, das die Organisatoren freilich nie kommentierten.

Die Finanznot scheint derart gross, dass die Veranstalter zahlreiche laufende Kosten nicht mehr decken können. Eine deutsche Firma betreibt das Open Air gemäss dem Westschweizer «Blick» wegen einer offenen Rechnung in der Höhe von 150 000 Franken. Ein Musiker wartet seit Dezember auf die versprochenen Anzahlungen seiner Gage.

Die Absage der dritten Vibiscum-Ausgabe scheint ein Debakel mit Ansage zu sein. Mit einem entsprechenden Imageschaden für den Veranstaltungsort?

Vevey sei für Anlässe begehrt, mit allen Chancen und Risiken, die diese mit sich brächten, schreiben die Behörden auf Anfrage. Unter den gegebenen Umständen sei die Absage des Festivals verständlich. Schlimmer wäre es gewesen, wenn die Veranstaltung «stattgefunden hätte, aber schlecht herausgekommen» wäre, heisst es.

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