Mittwoch, März 12

Die britische Labour-Regierung ist heftigen kulturpolitischen Anfeindungen aus Amerika ausgesetzt. Nun hofft Premierminister Starmer, Donald Trump mit einer Charmeoffensive versöhnlich zu stimmen.

Der britische Premierminister Keir Starmer war in den letzten Wochen immer wieder Zielscheibe harscher rhetorischer Angriffe von Elon Musk.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Es ist noch nicht lange her, da war Grossbritannien für Rechtsnationalisten in aller Welt ein Vorbild. Zum Schrecken des Establishments stimmten die Briten 2016 für den Brexit. EU-Skeptiker in Europa, aber auch Rechtsnationale in Amerika sahen Grossbritannien als Speerspitze einer populistischen Bewegung, die sich gegen globale Eliten aufbäumt und auf die Kraft des Nationalstaats setzt. Donald Trump erklärte während seiner ersten Amtszeit, Grossbritannien werde sich dank dem Brexit eines «Ankers am Fussgelenk» entledigen – wobei er zur Enttäuschung der Brexiteers nie Interesse an einem Freihandelsabkommen mit London zeigte.

Vom Vorbild zum Feindbild

Inzwischen ist die Strahlkraft von Brexit-Britannien ermattet. Angesichts wirtschaftlicher Stagnation und explodierender Migrationszahlen hat Grossbritannien das Fünf-Jahre-Jubiläum des EU-
Austritts Ende Januar ohne Euphorie begangen. Der Brexit-Vorkämpfer Nigel Farage, der heute die rechtsnationale Reform-Partei anführt, wirft Boris Johnson und der Konservativen Partei vor, sie hätten mit ihrer planlosen Umsetzung des EU-Austritts eine historische Chance verspielt.

In Europa gibt es kaum noch eine Partei, die den EU-Austritt ihres Landes propagiert. Doch auch bei den nationalistischen Rechten auf der anderen Seite des Atlantiks ist Grossbritannien heute eher Feindbild als Vorbild. Der Tech-Milliardär und Trump-Alliierte Elon Musk lanciert auf seiner Plattform X fast im Wochenrhythmus Angriffe auf Labour-Premierminister Keir Starmer, dem er autoritäre Methoden vorwirft.

Der libertäre argentinische Präsident Javier Milei behauptete am Weltwirtschaftsforum in Davos, Grossbritannien inhaftiere Bürger, weil sie von der Regierung vertuschte Verbrechen von Muslimen aufdeckten. Und der amerikanische Vizepräsident JD Vance prophezeite, Grossbritannien werde bald zum ersten «wahrhaftig islamistischen Land mit Atomwaffen» avancieren.

Identitätspolitische Angriffe

Die «Financial Times» spricht von einer neuen «Konservativen Internationalen», die sich auf Grossbritannien eingeschossen habe. Das Land eignet sich umso mehr als Zielscheibe, als die seit dem letzten Sommer regierende Labour-Regierung glücklos agiert. Musk nährte im Dezember Spekulationen, er wolle Farages rechtsnationale Reform-Partei mit einer Spende von 100 Millionen Dollar beglücken, um Premierminister Starmer aus dem Amt zu verjagen.

Ein Zwist mit Farage scheint Musks Spendierfreudigkeit inzwischen gedämpft zu haben. Doch ist in Grossbritannien die Popularität der Labour-Partei seit der Unterhauswahl regelrecht eingebrochen. Es gibt erste Meinungsumfragen, in denen die Reform-Partei vor Labour und den Konservativen in Führung liegt – auch ohne Musks Millionen.

Inhaltlich sind die Angriffe auf Grossbritannien weniger wirtschafts- als identitätspolitischer Natur. Im Fokus steht der Umgang mit der muslimischen Bevölkerung, die bis zum Ausbruch des Gaza-Kriegs zu den treusten Wählergruppen der Labour-Partei gehört hatte. Mit seinen Tweets zu Jahresbeginn rief Musk einen alten Pädophilie-Skandal in Erinnerung. Dabei ging es um Ringe meist pakistanischstämmiger Männer, die jahrelang junge Mädchen brutal missbrauchten, ohne dass die politisch korrekten Behörden interveniert hätten.

Daran knüpft die Behauptung Mileis an, Grossbritannien schränke die Meinungsfreiheit von Islam-Kritikern ein. Allerdings sitzt der rechtsextreme Agitator Tommy Robinson, der dank den Echokammern der sozialen Netzwerke viel Aufmerksamkeit erhält, nicht wegen missliebiger Aussagen hinter Gittern, sondern weil er mutwillig gegen gerichtliche Anordnungen verstossen hat. Fakt ist aber auch, dass die britischen Gerichte sehr hart gegen «Tastatur-Krieger» vorgingen, die im Zuge der Krawalle vom letzten Sommer hetzerische Inhalte im Internet veröffentlicht hatten.

Weniger Migranten, mehr Babys

Aus kulturellen, historischen und sprachlichen Gründen gibt es zwischen Amerika und Grossbritannien immer wieder politische Wechselwirkungen. Als etwa die «Black Lives Matter»-Bewegung über den Atlantik schwappte, kam sie zuerst in Grossbritannien an. Gleichzeitig versuchte die vom amerikanisch-israelischen Philosophen Yoram Hazony geführte Denkfabrik Edmund Burke Foundation in den letzten Jahren, mit Kampagnen und Konferenzen im Vereinigten Königreich eine nationalkonservative Strömung nach amerikanischem Vorbild zu fördern.

Diese Ideen bilden das Fundament für die Angriffe von rechts. So bezeichnete Milei den Westen in seiner Rede am WEF in Davos als «Gipfel der menschlichen Errungenschaften» wegen seiner jüdisch-christlichen Werte. Daraus folgt der Ruf nach einer Eindämmung der Migration aus anderen Kulturkreisen oder nach einer höheren Geburtsrate. An einer Veranstaltung der von der Edmund Burke Foundation initiierten Bewegung National Conservatives in London wurden 2023 auch religiös begründete Positionen wie Verbote der Sterbehilfe, von Leihmutterschaften, der Anti-Baby-Pille und von Abtreibungen propagiert.

Die Bemühungen der neuen Rechten aus Übersee stossen in Grossbritannien auf fruchtbaren Boden. Während Trumps erster Amtszeit markierten die meisten britischen Konservativen noch Distanz zum starken Mann im Weissen Haus. Zu Trumps zweiter Amtseinsetzung im Januar pilgerte nicht nur sein langjähriger Freund Nigel Farage nach Washington, sondern auch prominente Konservative wie die ehemaligen Premierminister Boris Johnson und Liz Truss oder die frühere Innenministerin und migrationspolitische Hardlinerin Suella Braverman.

Farages Reform-Partei und die Konservativen wetteifern heute um die Nähe zu Trump und lassen sich vom Maga-Programm in ihrem Kampf um die Vorherrschaft im rechten Lager in Grossbritannien inspirieren. Aus Angst vor Farage rücken die Konservativen nach rechts. Beide Parteien wollen die Migration, die Rechte von Transpersonen, die Bürokratie und den Klimaschutz begrenzen.

Auch Labour umgarnt Trump

Auch Premierminister Starmer scheint die Herausforderung ernst zu nehmen: Innenpolitisch ist Labour im Kulturkampf ins Zentrum gerückt und hofft, den identitätspolitischen Angreifern mit einem Fokus auf die materiellen Lebensumstände der Bevölkerung den Wind aus den Segeln zu nehmen.

Aussenpolitisch zählt Labour darauf, dass Trump eher als eitler Deal-Maker denn als glühender Ideologe gilt. Starmer zollt Trump öffentlich viel Respekt und hüllt jegliche Kritik in Watte. Symptomatisch für die neuen Töne ist Peter Mandelson, ein mit allen Wassern gewaschener Labour-Stratege aus der Ära Tony Blairs, der Grossbritannien als neuer Botschafter in Washington vertritt. Vor wenigen Jahren hatte er Trump noch als «rücksichtslosen Bully» und als «Gefahr für die Welt» betitelt. Nun kroch er vor den Kameras von «Fox News» zu Kreuze und bereute seine früheren Aussagen.

Die Charmeoffensive scheint nicht wirkungslos zu verpuffen: So hat sich Trump bisher nicht an den rhetorischen Angriffen auf die Briten beteiligt, sondern Starmer mit wohlwollenden Worten bedacht. Das nährt in Labour-Kreisen Hoffnungen, dass die «special relationship» zwischen London und Washington Trumps zweite Amtszeit überdauern könnte. Notfalls ist Starmer gewillt, die traditionelle Allzweckwaffe der Londoner Diplomatie einzusetzen: die britische Königsfamilie, in deren illustrer Gesellschaft sich Donald Trump gerne sonnt.

Exit mobile version