Tennessee Williams’ Roman «Moise und die Welt der Vernunft» hat der neusten Inszenierung am Zürcher Schauspielhaus den Titel gegeben. Es geht um Schwundstufen der Vernunft. Diese manifestieren sich auch im Stück selbst.
Am Anfang steht ein Text. Schauspielerin Karin Pfammatter liest eine Passage aus «Moise und die Welt der Vernunft», einem Roman des amerikanischen Autors Tennessee Williams. Die Rede ist von der Künstlerin Moise, die sich aus der Arbeitswelt und dem sozialen Mainstream in die Privatwelt ihrer Malerei zurückgezogen hat.
Im Rahmen einer armseligen Party mit etwas Brot und Wein gibt sie einer handverlesenen Bubble aus befreundeten Bohémiens nun allerdings bekannt, dass ihr Schaffen an ein Ende gekommen sei: Es fehlt ihr an Farbe, Pinseln und Leinwand, seit ihr Gönner und Liebhaber verstorben ist. Im materiellen Mangel lässt sich gleich auch ein Verlust an Motivation, Leidenschaft und Sinn erkennen.
Ähnlich ergeht es offenbar dem deutschen Regisseur Alexander Giesche, der sich seinerseits aus der Theaterwelt verabschieden will. Für seine letzte Inszenierung am Zürcher Schauspielhaus hat er sich diesen Abschnitt aus Tennessee Williams’ letztem Roman herausgenommen. Er projiziert Moises privaten Befund von Sinnverlust und Entfremdung dann aber auf die Krankenakte der Gegenwart. In einer lockeren Phänomenologie des Zeitgeistes wird sich offenbaren, wie nach dem Verlust an Idealen und Zielen, an sozialen und ästhetischen Leidenschaften bloss Banalität und Trivialität zurückgeblieben sind.
Lärm und Musik
Das Theater wird nun zu einer Art Revue oder Nummern-Show. Verschiedene Szenen, Installation und Videos folgen nacheinander oder gehen ineinander über. Zu Karin Pfammatter gesellen sich die drei Schauspieler Dominic Hartmann, Maximilian Reichert und Thomas Wodianka.
In einer ersten Episode geht es um Koffer. Eine Unzahl an mit Rädern versehenen Koffern wird von den vier Schauspielern wie Kegelkugeln oder Curlingsteine über die Bühne (Set Design: Nadia Fistarol) ins seitliche Aus spediert. Man mag lachen über die schönen Verrenkungen und Posen der Darsteller und sich gleichzeitig fragen, ob sie nicht besser auf Reisen gingen mit den hohlen Dingern. Aber die sportliche Umnutzung der Koffer soll wohl symptomatisch sein für fehlendes Fernweh infolge inflationärer touristischer Hyperaktivität.
In einer weiteren Szene sieht man die vier Freunde abermals bei sportlicher Betätigung. Eine Matratze ist auf die Bühne geschoben worden, auf die man über eine kleine Plattform springen kann. Und so wird nun halt gehüpft und gesprungen – mal weit und elegant, mal eher ungeschickt und plump. Die vier Sportler scheinen zufrieden, obwohl sich ihr Sportplatz anscheinend in irgendeiner urbanen Wüste befindet, wo die vorbeirasende U-Bahn immer wieder für schockartigen Lärm sorgt.
Die akustische Kakofonie, die die Diskontinuität der Inszenierung, ihre dramaturgischen Ecken und Kanten hervorhebt, werden begleitet und überhöht durch einen ununterbrochenen, ziemlich heterogenen Soundtrack. Auf einen Screen projiziert, zeigt die verbindliche Play-List nicht nur das musikalische Menu an, sondern auch die Lyrics einzelner Songs. Und so wird klar, dass auch Pop-Stars wie Romy, Roisin Murphy oder Anohni über Ängste, Einsamkeit und Entfremdung klagen.
Bemerkenswerter ist allerdings, dass zumeist Remixe ihrer Originale abgespielt werden. Durch die technoide Post-Produktionen wird die dramatische Geschlossenheit der Songs aufgebrochen. Und aus einer intimen Klage wie «Killing Me Softly» wird ein stampfender Dance-Track, der den emotionalen Gehalt verwässert durch seine Schlaufen spült.
An die Form des Tracks scheint sich auch die Inszenierung von Alexander Giesche anzulehnen. So wird zwar der Text von Tennessee Williams später in einer Art Loop wiederholt. Sonst aber verzichtet der Regisseur auf formale Stringenz und dramaturgische Geschlossenheit – zugunsten einer willkürlichen Verkettung verschiedener Situationen von unterschiedlicher Intensität.
Die theatrale Dynamik erinnert auch an andere musikalische Genres, etwa an die Suite oder die Fuge. Aber für diese fehlt es an Schwung, für jene an Dringlichkeit. Und so sehr der Kopf bereit ist, diese zunächst durchaus überraschende und bisweilen auch originellen Produktion nach Sinnspuren abzusuchen und zu interpretieren, so sehr beklagen sich ständig die ungeduldigen Nerven. «Here we are, entertain us!», murmeln sie die ganze Zeit in den Gliedern.
Aber die kommen nicht auf ihre Rechnung. Denn das Stück wirkt rasch langatmig, manchmal langweilig. Die thematisierte Banalität und Entfremdung schlägt auf die Inszenierung selbst durch. Der Aderlass an Dramatik sorgt für eine kühle Poesie, aber er dämpft Aufmerksamkeit und Interesse.
Letzte Eindrücke
Wenn das Schauspiel auf Small Talk reduziert wird, mag das soziale und kommunikative Schwächen zeigen. Aber im Publikum generiert das Müdigkeit. Und wenn immer wieder ein paar Zuschauerinnen und Zuschauer auf die Bühne gerufen werden – einmal um verschiedene Drinks zu probieren, einmal gar für einen 25-minütigen Zeichenkurs –, dann mag die Idee zwar nicht ganz neu, aber einigermassen kurios erscheinen. Aber für alle nicht Berücksichtigten sind solche Eskapaden mit mühsamen Wartezeiten verbunden.
Immerhin bleiben auch ein paar positive Eindrücke, ein paar schöne Effekte dieser Multimedia-Aufführung in Erinnerung. Lustig ist es beispielsweise, wenn die Männer an der Party ihre antrainierten Muskelpakete zur Schau stellen, um sich danach von ihnen befreien zu wollen wie von einer fremden Haut oder einer krankhaften Schwellung. Schön sind die bunten Leuchtstoffröhren, die irgendwann im Publikum verteilt werden. Und wenn sich zuletzt in einer Tornado-Wolke ein Stück Stoff windet, denkt man in einer romantischen Aufwallung an die elementaren Kräfte, die unser Schicksal dirigieren.