Donnerstag, Februar 13

Die USA leisten sich mit Radio Free Europe / Radio Liberty ein einzigartiges Netzwerk freiheitlichen Journalismus aus Zeiten des Kalten Kriegs. Donald Trumps Handlanger sehen darin nur unnötige Kosten.

Jeden Mittwoch leitet Sergei Medwedew seine Sendung «Archeologija» mit denselben Worten ein: «Guten Tag, es spricht Radio Swoboda, es zeigt der Fernsehkanal Nastojaschtscheje Wremja.» Was dann kommt, würde heute kein offizieller russischer Sender mehr verbreiten. Dem Autor, Historiker und Politologen Medwedew geht es um tiefschürfende Analysen der russischen Gegenwart und Vergangenheit und um deren Abbild in Literatur, Alltag und Kultur. Seit drei Jahren dreht sich fast alles um Russlands Krieg gegen die Ukraine und dessen Auswirkungen auf die Gesellschaft, Wirtschaft und die russische Aussenpolitik.

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Medwedew ist ein unermüdlicher und unerbittlicher Kritiker, ja Gegner des heutigen Russlands. Kurz nach dem Grossangriff auf die Ukraine verliess er seine Heimat, weil er in dem kriegführenden Land nicht länger leben wollte. Auch Radio Swoboda und der Fernsehsender Current Time (Nastojaschtscheje Wremja) mussten Russland 2022 verlassen. Die Sender und ihre Mitarbeiter arbeiten wieder aus dem Exil – wie einst im Kalten Krieg, dem sie ihre Existenz verdanken.

Elon Musk sieht keinen Nutzen darin

Radio Swoboda und Current Time sind die Dachmarken des russischsprachigen Programms von Radio Free Europe / Radio Liberty (RFE/RL). Mit dem 1950 gegründeten Radio Free Europe für Ostmitteleuropa und dem 1953 eingerichteten Radio Liberty für die Sowjetunion wollten die USA die Menschen hinter dem Eisernen Vorhang von München aus mit westlichem Gedankengut und Nachrichten jenseits der kommunistischen Propaganda versorgen. Bestritten wurde das Programm vielfach von Exilanten. Ursprünglich über den Geheimdienst CIA finanziert, gehören die Sender heute, zusammen mit Radio Free Asia und Voice of America (VOA), zur U. S. Agency for Global Media, werden via den Kongress alimentiert und haben ihren Sitz in Prag.

In seinem Furor, Amerikas angeblich unnütze Ausgaben radikal zu reduzieren, ist jetzt auch Elon Musk auf die Sender aufmerksam geworden. «Ja, macht die zu», schrieb er auf X und fügte an, Europa sei schliesslich heute frei (abgesehen von der überbordenden Bürokratie), die Sender würden sowieso nicht gehört, und es würden dort nur radikale Linke auf Kosten der amerikanischen Steuerzahler miteinander reden. Musk antwortete damit auf Äusserungen Richard Grenells, eines Sondergesandten Donald Trumps und früheren Botschafters in Deutschland, der RFE/RL und VOA als von linksextremen Aktivisten betriebene Staatsmedien und Relikte der Vergangenheit bezeichnet hatte. Solches brauche Amerika nicht.

Grenell behauptete zwar, er habe jahrelang mit diesen Sendern zusammengearbeitet und wisse, wovon er spreche. Aber was er und Musk verbreiten, ist ein Zerrbild dessen, was diese Sender bis heute leisten.

Wichtige Stimmen in Diktaturen

RFE/RL macht in 27 Sprachen Programme für 23 Länder im östlichen Europa, im Kaukasus, in Zentralasien und dem Nahen Osten. VOA, das als «Stimme Amerikas» in der Welt 1942 mitten im Zweiten Weltkrieg gegründet wurde, betreibt gar Sender in 48 Sprachen. Längst sind sie nicht mehr reine Radio- und Fernsehprogramme. Die Inhalte werden im Internet verbreitet, über Youtube gestreamt und sind als Podcasts zu jeder Zeit abrufbar. Damit bereichern sie ein Medienangebot in Staaten, in denen die einheimischen Medien entweder ganz oder mehrheitlich von Regierungen gelenkt werden und freie Berichterstattung nur unter hohen Risiken möglich ist.

Das wird auch geschätzt: Allein auf Youtube wurden die Programme von RFE/RL 2024 nach eigenen Angaben 3,9 Milliarden Mal abgerufen. Mehr als 47 Millionen Hörer, Zuschauer und Leser informieren sich wöchentlich über die Kanäle – und das, obwohl in vielen dieser Länder die Angebote von RFE/RL nur über Umwege erhältlich sind. Der englischsprachige Dienst vermittelt die Beiträge der Journalisten aus all diesen Staaten sowie von zusätzlichen Spezialisten an ein amerikanisches und internationales Publikum. Für viele Experten im Westen sind die Informationen dieses Netzwerks von grosser Bedeutung für ihre tägliche Arbeit.

RFE/RL hat sich im Laufe der mehr als dreissig Jahre seit dem Ende des Kalten Krieges den neuen Bedürfnissen angepasst. Einzelne Länderprogramme wurden geschlossen, weil sie für anachronistisch gehalten wurden. In Ungarn, Rumänien und Bulgarien wurden diese Schliessungen später rückgängig gemacht.

Als Antwort auf Russlands Annexion der Halbinsel Krim, den Krieg in der Ostukraine und die zunehmende Einschränkung der Freiheitsrechte in Russland richtete das russischsprachige Programm ab 2014 zahlreiche regionale Unterprogramme für die Krim, den Donbass, aber auch für den russischen Norden, die Wolga-Region – auf Tatarisch und Baschkirisch – sowie für Sibirien und den russischen Fernen Osten ein. Der Fernsehsender Current Time wurde als Gegengewicht zum Kreml-gesteuerten russischen Fernsehen gegründet. Seit dem Angriff auf die Ukraine haben die Programme in Russland an Beachtung zugelegt.

Abbau wäre ein Geschenk für Autokraten

In den meisten Ländern, in denen die Organisation heute tätig ist, ist «Europa» eben nicht so frei, wie es Musk behauptet – das zeigt allein das Beispiel Sergei Medwedews, der aus dem Exil senden muss, weil er längst wegen seiner Tätigkeit in Russland hinter Gittern sässe. Die Journalistin Alsu Kurmasheva, die im vergangenen August beim grossen Gefangenenaustausch zwischen Russland und dem Westen freigelassen wurde, hatte aus dem Exil für eines der Unterprogramme von Radio Swoboda gearbeitet und war bei der vorübergehenden Rückkehr nach Russland von den Behörden angeklagt worden. Eine Mitarbeiterin von Radio Swoboda in Tschita in Ostsibirien sitzt derzeit wegen ihrer Tätigkeit eine Lagerhaftstrafe ab.

Die Abwicklung dieses qualitativ meist hochstehenden Netzwerks wäre ein Geschenk für die autoritären Regime der Region, die an freiem Journalismus kein Interesse haben und hinter allem ausländische Einmischung wittern. Es wäre aber auch ein Verlust für all die Hörer und Leser in diesen Staaten, die sich im repressiven Klima ohnehin marginalisiert und alleingelassen fühlen und nach andersartiger Information dürsten. Und auch die USA würden ein einzigartiges Instrument verlieren, um die Botschaft der Freiheit in der Welt zu verbreiten.

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