Donnerstag, März 27

Achtzig Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs steht das Land vor einer schwierigen Aufgabe. Die Faszination für den Faschismus scheint noch immer virulent.

Mit dem Faschismus kommt man an kein Ende. Man wird ihn nie ein für alle Mal in die Schublade des 20. Jahrhunderts sperren können. Das zeigt sich auch heute und gerade in Ländern, die den ursprünglichen Faschismus erlebt haben. Von Deutschland über Österreich bis Frankreich und Spanien erstarken rechtsnationale Parteien, die teilweise ganz unverhohlen mit faschistischem Gedankengut sympathisieren.

Optimieren Sie Ihre Browsereinstellungen

NZZ.ch benötigt JavaScript für wichtige Funktionen. Ihr Browser oder Adblocker verhindert dies momentan.

Bitte passen Sie die Einstellungen an.

Italien, wo der Faschismus gleichsam erfunden wurde, wird von einer Partei regiert, die ihre Verbindungen zur Vergangenheit nie verheimlicht hat, auch wenn sie in den letzten Jahren versucht hat, sich gemässigter zu positionieren. In diesem Land, wo die Partei Fratelli d’Italia einen Stimmenanteil von über 30 Prozent erreicht, wurde jüngst die biografische TV-Serie «M. Der Sohn des Jahrhunderts» ausgestrahlt. Sie porträtiert Benito Mussolini in seinen frühen Jahren, als der Faschismus der krumme Sohn des Sozialismus war, unflätig, gewalttätig und gegen das Establishment gerichtet. Bis 1924, als die Bewegung die Macht an sich riss, trug er für offizielle Fotos den guten Anzug und versteckte sorgsam Knüppel und Dolch.

Das Filmporträt markierte den hundertsten Jahrestag der sogenannten Faschistengesetze, die Italien in eine Diktatur verwandelten. Sein Inhalt basiert lose auf dem ersten Band von Antonio Scuratis vierteiligem Roman über Mussolini. Der internationale Bestseller erscheint in vierzig Ländern und ist mit dem Premio Strega ausgezeichnet worden. Doch die Serie unterscheidet sich stark vom Buch, sie macht sogar etwas, das es bis dahin noch kaum gegeben hat: Sie parodiert den Duce zur Karikatur.

Auf Augenhöhe mit Mussolini

2025 ist für Italien ein heikles Jahr, was die Beziehung zur Vergangenheit angeht: Am 25. April jährt sich die Befreiung des Landes vom Nazifaschismus zum achtzigsten Mal. Die Feierlichkeiten werden von der rechtslastigsten Regierung in der republikanischen Geschichte organisiert. Bereits 2024 gab es eine heftige Kontroverse. Das italienische Staatsfernsehen RAI strich einen Monolog aus dem Programm, den Antonio Scurati zum 100. Jahrestag der Ermordung des Mussolini-Kritikers Giacomo Matteotti geschrieben hatte. Der Politiker war am 10. Juni 1924 von faschistischen Attentätern getötet worden. Der Mord ist zugleich der Schlusspunkt der Serie «M. Sohn des Jahrhunderts».

Die im amerikanischen Mannschaftssport verbreitete sogenannte Player-Cam kommt im Film häufig zum Einsatz. Damit konzentriert sich der Blick auf die zentrale Figur der Geschichte, auf ihre Mimik, sie zeigt Nachdenklichkeit, Wutausbrüche, Laster – vor allem sexueller Natur – und Widersprüche. Der Zuschauer wird überwältigt von diesem Mussolini, der so menschlich, allzu menschlich erscheint: Er schaut direkt in die Kamera und spricht zum Publikum.

Es ist ein interessantes und mutiges Unterfangen des britischen Regisseurs Joe Wright und der Drehbuchautoren Stefano Bises und Davide Serino: Sie setzen die Waffe des Lächerlichen und Grotesken ein, um dem Diktator alles Heroische zu nehmen.

Hundert Jahre nach der Ermordung von Giacomo Matteotti und dem Beginn der Diktatur gibt es in Italien noch immer eine Faszination für Mussolini. Ein Bericht von Censis, einem der wichtigsten Forschungsinstitute Italiens, hatte 2019 ergeben, dass 48 Prozent der Italiener «einen starken Mann an der Spitze» wollten, der in der Lage ist, das Parlament und Wahlen zu ignorieren. Unter den Arbeitern und den weniger gebildeten Bevölkerungsschichten stieg die Zahl auf 67 Prozent. «Wer einen starken Mann an der Macht will, hat die Erfahrung noch nie gemacht», kommentierte Liliana Segre, eine Auschwitz-Überlebende und Senatorin auf Lebenszeit, diese Zahlen.

Auch die Symbole des Faschismus sind immer noch weit verbreitet, angefangen bei der Flamme im Logo der Regierungspartei Fratelli d’Italia: Sie wurde 1946 vom Movimento Sociale Italiano erfunden, der ersten explizit neofaschistischen Partei im Italien der Nachkriegszeit. Sie stellt die Flamme dar, die auf Mussolinis Grab in Predappio brennt.

Eine kürzlich durchgeführte Untersuchung des Online-Magazins Fanpage hat ergeben, dass in der Jugendbewegung der Fratelli d’Italia, Gioventù Nazionale, häufig Lieder aus der faschistischen Ära gesungen werden. Man zeigt den römischen Gruss und verehrt regelmässig den Duce bei Versammlungen. Auch die faschistische Nostalgie ist im Alltag normal geworden: Zeitungskioske bieten Kalender mit Mussolinis Konterfei an. Auf einigen Rastplätzen in der Emilia-Romagna, der Region, in der Mussolini geboren wurde, sind Erinnerungsstücke wie Mützen und manchmal auch Holzknüppel und Schlagstöcke zu finden. Selbst der amtierende stellvertretende Ministerpräsident Matteo Salvini hat in den letzten Jahren immer wieder faschistische Redensarten zitiert.

Politischer Opportunismus

In der Serie «M. Sohn des Jahrhunderts» kommt Mussolini schlecht weg: Der Duce jener frühen Jahre des Faschismus denkt und sagt alles und das Gegenteil ebenfalls. Als er 1919 in Mailand die Fasci di combattimento gründet, vertritt er populistische Positionen mit vielen Elementen des Sozialismus. Er ist antibürgerlich, antiklerikal und antikapitalistisch. Er will das allgemeine Wahlrecht, einen Mindestlohn, den Achtstundentag, die Enteignung des Kirchenbesitzes, die Verstaatlichung der Waffenfabriken.

Innerhalb von fünf Jahren ändert er seine Meinung in fast jeder Hinsicht. Nicht weil er so denkt, sondern aus Opportunismus. Nach den roten Jahren mit Streiks und Fabrikbesetzungen lässt er seine Schwarzhemden los, um sozialistische Demonstrationen blutig zu unterdrücken. Er sucht und erhält die Gunst der Kirche, die für die Politik in einem katholischen Land wie Italien von grundlegender Bedeutung ist.

Sowohl die Serie wie auch Antonio Scurati zeigen einen der weniger bekannten Momente des Faschismus: nicht den des Bündnisses mit dem «Dritten Reich», sondern den des frühen Aufstiegs. Im Fokus steht der Moment, da ein Staatswesen in die Diktatur kippt. Bereits werden in Italien Parallelen gezogen zu den Manövern der Trump-Regierung. Es war Mussolinis Strategie, möglichst viel Macht in kurzer Zeit an sich zu reissen und das zu schaffen, was einige Analysten als «Demokratur» bezeichnen. In einer solchen Scheindemokratie wird das Parlament seiner Funktion beraubt und die Presse- und Redefreiheit schleichend eingeschränkt.

Doch die Darstellung eines so widersprüchlichen, neurotischen und unsicheren Mussolini hat auch Fragen aufgeworfen: Sie erfordert einen gut geschulten kritischen Geist. Denn allzu leicht könnte man sich in jenen Mann einfühlen, der die Ermordung seiner Feinde anordnete, der die Rassengesetze in Italien unterzeichnete, der den Einsatz chemischer Waffen gegen den äthiopischen Widerstand billigte, der Adolf Hitler bei seinen Plänen zur Ausrottung und zur Eroberung unterstützte.

So schrieb etwa Marco Travaglio, Chefredaktor von «Il Fatto Quotidiano»: «Es besteht die Gefahr, dass die Zuschauer denken, der Duce und die historischen Figuren, die um ihn kreisen, seien wirklich so: Marionetten, Parodien und Silhouetten aus dem Puppentheater oder der Groteske.» Und der «Corriere della Sera» fühlte sich zu dem Hinweis bemüssigt, dass «der Faschismus keine Komödie, sondern eine Tragödie» sei.

Der chaotische Pulsschlag der Kommentare in den sozialen Netzwerken lässt anderseits erkennen, dass vor allem Nostalgiker oder Bewunderer des Duce über das Porträt empört waren. Von den Fratelli d’Italia scheint niemand Zeit gehabt zu haben, sich mit der Serie auseinanderzusetzen. Giorgia Meloni sagte auf eine Frage während einer Pressekonferenz: «Ich sehe keine Fernsehserien, und leider habe ich seit mehr als zwei Jahren ausser dem PNRR, dem Plan für die wirtschaftliche Erholung Italiens, kein Buch mehr lesen können.»

Nicht das Schlechteste, was man über die Serie sagen kann, ist vermutlich dies: Sie hat mit dem anspruchsvollen Gedanken noch einmal neu gezeigt, dass die Parodie eine wirksame Kritik an allen Diktaturen darstellt.

Der Schriftsteller und Journalist Davide Coppo lebt in Mailand. 2024 ist von ihm der Roman «Der Morgen gehört uns» erschienen. – Aus dem Italienischen von rbl.

Exit mobile version