Dienstag, Februar 25

Im bundeseigenen Rüstungskonzern Ruag läuft vieles nicht, wie es sollte. Neue Berichte der Finanzkontrolle offenbaren das grosse Ausmass der Mängel sowie klare Hinweise auf strafrechtlich relevantes Verhalten.

Was die Experten der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) in ihren drei Berichten zum bundeseigenen Rüstungskonzern Ruag MRO schreiben, ist mehr als beunruhigend.

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Im ersten Bericht, der von der Finanzdelegation beider Räte in Auftrag gegeben wurde, geht es um ein mutmasslich betrügerisches System, das ein ehemaliger Kadermitarbeiter ab 2014 aufgebaut haben soll. Er war in einer leitenden Funktion für die Ruag in der Schweiz und in Deutschland tätig. Über Jahre soll er selbständig Material eingekauft, neu bewertet und weiterverkauft haben. Fallbeispiele zeigen, wie der Ex-Mitarbeiter vorgegangen sein soll.

Schaden «im hohen zweistelligen Millionenbereich»

Ein Fall ereignete sich 2020 mit gebrauchten Ersatzteilen von Leopard-1- und Leopard-2-Kampfpanzern des niederländischen Staates. Die Ruag hatte diese für 4,5 Millionen Franken gekauft. Vom damaligen Kadermitarbeiter wurden einige Teile in der Ruag Schweiz mit einem Wert von 1,5 Millionen Euro bewertet und eingebucht. Bei einer Analyse 2023 zeigte sich jedoch, dass das Material deutlich überbewertet worden war. Der tatsächliche Wert soll bei lediglich 380 000 Euro gelegen haben. Andere Ersatzteile wurden der Ruag GmbH in Deutschland zugewiesen, bewertet mit 3 Millionen Euro. Diese Teile wurden anschliessend an einen deutschen Geschäftspartner verkauft, anscheinend deutlich unter dem tatsächlichen Marktwert. Später stellte sich nämlich heraus, dass sie bis zu 48 Millionen Euro Wert gehabt haben sollen.

Wieder andere Ersatzteile aus den Niederlanden sollen dem deutschen Geschäftspartner sogar kostenlos überlassen worden sein, aus «undurchsichtigen Gründen», wie die EFK schreibt. Der ehemalige Kadermitarbeiter ist heute bei diesem deutschen Geschäftspartner angestellt.

Der finanzielle Schaden durch die bisher bekannten Fälle liege «im hohen zweistelligen Millionenbereich». Würden die Kosten für die interne und externe Aufarbeitung dieser Fälle hinzugezählt sowie der Reputationsschaden, liege der «gesamthafte finanzielle Schaden noch deutlich höher». Genau beziffert werden könne er aber nicht, so die Kontrolleure.

Die mutmasslichen Betrugsfälle werden seit August 2023 von einer Zürcher Anwaltskanzlei im Auftrag der Ruag untersucht. Die Kanzlei wird zu einem späteren Zeitpunkt ihre Ergebnisse veröffentlichen. Die Kontrolleure der EFK haben die bereits vorhandenen Erkenntnisse allerdings für ihren Bericht genutzt.

Aus Sicht der EFK liegen «substanzielle Anhaltspunkte von mutmasslich strafrechtlichem Verhalten in mehreren Fällen» vor. In Deutschland ermittelt die Staatsanwaltschaft für Korruptionsbekämpfung gegen den ehemaligen Kadermitarbeiter. Die Ruag hat Ende 2024 Strafanzeige in der Schweiz eingereicht. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Es ist nicht das erste Mal, dass sich die Finanzkontrolle die Ersatzteilgeschäfte bei Leopard-Panzern bei der Ruag angeschaut hat. Schon Anfang 2024, als es um 96 in Norditalien eingelagerte Panzer ging, kam die EFK zu dem Schluss, es gebe Ungereimtheiten, Unstimmigkeiten und Mängel. Kritisiert wurde damals insbesondere, dass die Compliance-Vorgaben, also die Einhaltung von externen und internen Regeln, nicht eingehalten worden seien.

«Schwere organisatorische Versäumnisse»

Im jüngsten Bericht ist die Rede von fehlenden und ungenügenden Kontrollen. Dass ein einzelnes Kadermitglied die mutmasslich missbräuchlichen Geschäfte über Jahre habe abwickeln können, zeige, dass es «schwere organisatorische Versäumnisse» gegeben habe. Die EFK schlussfolgert, dass «eine fragwürdige Kultur» im bundeseigenen Rüstungskonzern vorgeherrscht habe. Der ehemalige Mitarbeiter genoss nicht nur grossen Freiraum, sondern wurde auch noch bewundert, weil er viel Umsatz und Gewinn generierte «− ungeachtet externer und interner Vorgaben».

Anscheinend hätten einige Fälle verhindert werden können. 2019 gab es nämlich eine Whistleblowing-Meldung an das Verteidigungsdepartement (VBS) und den Ruag-Verwaltungsrat. Die EFK schreibt, dass sich die «aufgeführten Sachverhalte zu möglichen Missständen» mit jenen decken würden, die im Bericht erwähnt würden. Das anonyme Schreiben wurde an das verdächtigte Kadermitglied weitergeleitet, obschon «implizit zu vermuten war, dass die Vorwürfe» seine Zuständigkeit betreffen. Er soll daraufhin die Stellungnahme an das VBS verfasst haben. Dieses Vorgehen sei «nicht nachvollziehbar», so die EFK.

Dennoch gab sich der Verwaltungsrat 2023 selbst Bestnoten, wie aus dem zweiten Bericht der EFK hervorgeht. Er erklärte, dass er von 30 vom Bund vorgegebenen strategischen Zielen 25 erreicht habe. Dies entspricht einer Erfolgsquote von 83 Prozent. Das VBS habe diese Bewertung gestützt. Aus Sicht der EFK ist dies eine «zu optimistische Einschätzung».

Die Kontrolleure anerkennen jedoch, dass die vergangenen Jahre herausfordernd gewesen seien für den bundeseigenen Rüstungskonzern. Die Ruag wurde 2020 in zwei Unternehmen aufgeteilt: in einen internationalen Teil, der komplett verkauft werden soll, und in jenen Teil, der 80 Prozent seiner Geschäfte mit der Schweizer Armee generieren muss, die heutige Ruag MRO.

Mit der Aufteilung musste der Konzern seine Führungsebene neu aufbauen. Die Folge: häufige Wechsel. In den letzten vier Jahren gab es bei der Ruag fünf CEO und drei Finanzchefs. Damit fehlte eine stabile Führung. Auch habe keine «vertrauensvolle Zusammenarbeit» mit dem Verwaltungsrat aufgebaut werden können, schreibt die EFK: «Die Ursache lag in mangelhafter Transparenz, einer unzureichenden Fehlerkultur und einer zu wenig kritischen Auseinandersetzung mit der Beurteilung der Leistungen und Ziele.»

2024 besetzte die Ruag die Stelle des CEO neu sowie jene des Verwaltungsratspräsidenten. In einer Medienmitteilung zu den EFK-Berichten schreibt der Konzern, dass die neue Unternehmensführung «sich ihrer Verantwortung bewusst» sei und «die Verfehlungen der Vergangenheit lückenlos aufgeklärt» würden. Ein externes Audit zu den Compliance-Prozessen werde eingeleitet. Der Bundesrat gab Ende 2024 bekannt, dass er die Rechtsform der Aktiengesellschaft, die zu 100 Prozent dem Bund gehört, überprüfen wolle. Dies, um künftig mehr Kontrolle über den eigenen Rüstungskonzern ausüben zu können.

Lagerbewirtschaftung nach «Chaos-Prinzip»

Im dritten Bericht der EFK geht es um die Materiallager der Armee an Standorten der Ruag. Diese würden nach dem «Chaos-Prinzip» betrieben. Unterschieden werde unter anderem nicht zwischen intaktem und defektem Material. Auch seien einzelne Materialnummern an bis zu fünf unterschiedlichen Lagerplätzen untergebracht. Eine Inventur durch die Armee oder die Ruag habe nie stattgefunden, weswegen Missbrauch nicht ausgeschlossen werden könne. So habe die Ruag beispielsweise für 1140 Verschrottungen bei der Armee gar nie eine Bewilligung eingeholt, obschon sie dazu vertraglich verpflichtet gewesen wäre. Es könnte somit Material ungesehen entnommen und weiterverkauft worden sein.

Die EFK empfiehlt der Armee dringend eine Kontrolle ihrer Lager. Ausserdem solle sie von der Ruag eine rückwirkende Aufarbeitung der unbewilligten Verschrottungen verlangen. Die Ruag schreibt in ihrer Medienmitteilung, dass sie zusammen mit der Armee «für ganzheitliche Transparenz sorgen» wolle. Sollte Material entwendet worden sein, werde sie dieses dem Bund «vollumfänglich rückvergüten».

Auf die drei Berichte der EFK reagiert die Geschäftsprüfungskommission des Ständerates (GPK-S), welche die Geschäfte des Bundes prüft. In einer Medienmitteilung schreibt sie, dass die festgestellten Mängel «besorgniserregend» seien. Nicht nur die klaren Hinweise auf strafrechtlich relevantes Verhalten, sondern auch die «fehlende kritische Überprüfung» des VBS, nachdem sich der Verwaltungsrat selbst Bestnoten gegeben hatte. Die GPK-S hat weitere Abklärungen zur Zusammenarbeit zwischen dem Bund als Eigner und dem Ruag-Verwaltungsrat in Auftrag gegeben. Auch der künftige Vorsteher des VBS soll befragt werden.

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