Dienstag, Oktober 1

In Libanon explodierten laut Berichten zeitgleich die Kommunikationsgeräte Hunderter Hizbullah-Mitglieder. Mindestens acht Personen wurden getötet. Die Gründe für die Explosionen sind noch unbekannt – viele vermuten einen israelischen Hackerangriff.

Ein junger Mann steht an einer Supermarktkasse und will ein paar Lebensmittel bezahlen, als an seiner Hüfte plötzlich etwas explodiert. Er sackt in sich zusammen, die Kassiererin und die Umstehenden flüchten in Panik. Videos wie dieses überschwemmten am Dienstagnachmittag die sozialen Netzwerke in Libanon.

Kurz darauf stellte sich heraus: Bei den Detonationen, die sich laut Medienberichten überall im Land ereigneten, handelte es sich um eine Welle von beinahe simultan stattfindenden Explosionen von Kommunikationsgeräten, wie sie fast ausschliesslich von Mitgliedern und Kämpfern des Hizbullah benutzt werden. Laut ersten Erkenntnissen sollen es Pager gewesen sein, die offenbar ohne Vorwarnung explodierten.

Am Abend teilte der libanesische Gesundheitsminister mit, dass bei der mysteriösen Explosionswelle acht Menschen getötet und mehr als 2800 verletzt worden seien. Laut Medienberichten soll auch der iranische Botschafter in Libanon unter den Verletzten sein. Überall in Beirut waren die Sirenen von Krankenwagen zu hören. Videos zeigten Verletzte mit abgerissenen Händen und Löchern im Torso. Spitäler im ganzen Land riefen die Bevölkerung dazu auf, Blut zu spenden.

Die Lage zwischen Israel und dem Hizbullah spitzt sich zu

Der Hizbullah bestätigte die Explosionen. Schnell kam der Verdacht auf, dass es sich um eine gezielte Aktion handeln könnte, bei der womöglich die Pager gehackt und zur Detonation gebracht wurden. Allerdings hat sich noch niemand zu einem möglichen Angriff bekannt. Schnell zeigten mehrere libanesische Kommentatoren aber mit dem Finger auf das verfeindete Israel. Die Schiitenmiliz Hizbullah hatte am 8. Oktober zur Unterstützung der Hamas in Gaza einen Grenzkrieg gegen das südliche Nachbarland vom Zaun gebrochen.

Bisher war es zwar gelungen, eine Ausweitung des Konflikts zu einem grossen Krieg zu verhindern. In den vergangenen Tagen hatte sich die Lage aber einmal mehr zugespitzt. Erst gestern hatte das israelische Sicherheitskabinett die Sicherung der Nordgrenze, aus deren Nachbarschaft Zehntausende Israeli wegen des anhaltenden Beschusses durch den Hizbullah fliehen mussten, offiziell zum Kriegsziel erklärt.

Fast zeitgleich vereitelte Israels Inlandgeheimdienst angeblich einen geplanten Bombenangriff in Tel Aviv, der sich offenbar gegen ein ehemaliges Mitglied der Sicherheitsdienste gerichtet hatte und laut israelischen Angaben vom Hizbullah geplant worden war. Die Explosionswelle könnte eine Antwort auf diesen gescheiterten Anschlag sein. Allerdings haben israelische Stellen die Vorkommnisse in Libanon nicht kommentiert.

Droht jetzt ein Krieg?

Für den Hizbullah bedeutet die Explosionswelle eine weitere Demütigung, nachdem bereits Ende Juli einer seiner höchsten Kommandanten, Fuad Shukr, in Beirut von einer israelischen Drohne getötet wurde. Bereits am Dienstag sprach ein Vertreter der islamistischen Miliz gegenüber Reuters von einem beispiellosen Sicherheitsleck. Die extrem auf Geheimhaltung bedachte Organisation hatte ihre Mitglieder schon vor Monaten dazu verpflichtet, auf Mobiltelefone zu verzichten, weil diese von den Israeli geortet werden könnten.

Die eigentlich technisch längst überholten Pager, welche meist nur kurze Sprachnachrichten empfangen können, galten offenbar als sicher. Wie es einem potenziellen Angreifer gelingen konnte, die Kommunikationsgeräte zur Explosion zu bringen, ist bisher ein Rätsel. Die Nachrichtenagentur AP meldete, der Hizbullah habe angeblich erst kürzlich eine neue Ladung Pager erhalten.

Sollte sich herausstellen, dass tatsächlich Israel hinter der Explosionswelle steckt, dürfte das unabsehbare Konsequenzen haben. Zudem würde sich die Frage stellen, mit welcher Absicht die Israeli ausgerechnet jetzt Hunderte Hizbullah-Mitglieder ausser Gefecht setzen würden. Möglicherweise, so vermuten manche, könnte dies der Auftakt für eine bevorstehende israelische Offensive sein. In Libanon, wo in den letzten Wochen eine Art trügerische Ruhe geherrscht hatte, geht einmal mehr die Angst vor einem grossen Krieg um.

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