Montag, Dezember 23

Im Zürcher Stadtkreis 6 fertigt Fontana ihre berühmten Ravioli. Nun übernimmt ihre Tochter das Unternehmen.

Seit 1989 befindet sich im Erdgeschoss an der Scheuchzerstrasse 20 das Reich von Patrizia Fontana. Hier stellt sie in einer winzigen Küche und in aufwendiger Handarbeit ihre Pasta her. Täglich gehen Nachbarn und Freunde ein und aus. Und fast ebenso häufig kommen Kenner von weit her in den Quartierladen, um sich mit den italienischen Spezialitäten aus Fontanas Sortiment einzudecken.

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Die Ravioli, die das Haus an der Scheuchzerstrasse verlassen, sind weit über die Stadtgrenzen hinaus bekannt. Und dies schon lange: Ihr halbes Leben habe sie in dem Laden verbracht, sagt Patrizia Fontana. Ihre Tochter, die 27-jährige Olivia, sei quasi hier aufgewachsen.

Der Name Fontana steht für eine Zürcher Institution.

Doch dann, im vergangenen Frühling, kommt die Nachricht, die alles verändert: Die Eigentümer kündigen Patrizia Fontana den Mietvertrag. Das Gebäude soll zu einem reinen Wohnhaus umgebaut werden. Nach 35 Jahren muss sich Fontana nach einem neuen Zuhause für ihre Pasta-Manufaktur und den Laden umsehen.

Auf einmal hängt die Zukunft des traditionsreichen Geschäfts in der Schwebe.

150 Kilo Ravioli an einem einzigen Tag

Bevor Patrizia Fontana 1989 anfängt, ist sie bei einer Privatbank angestellt. Früher absolvierte sie eine Stage in einem renommierten italienischen Gasthaus – aber mehr hat sie an gastronomischer Ausbildung nicht vorzuweisen. In der Küche folgt sie ihrem Gefühl. Viele der Techniken lernte sie von ihrer Mutter, der sie als Kind häufig beim Kochen zusah.

Essen hat sie schon immer fasziniert; sie wächst in Italien auf, die Schulhefte klebt sie mit Rezepten voll, die sie aus Zeitschriften ausschneidet.

In Zürich sind italienische Spezialitäten aber selbst dann noch eine Randerscheinung, als Patrizia Fontana längst erwachsen ist: Die Zürcherinnen und Zürcher wissen noch nicht einmal um die Vorzüge von gutem Olivenöl. Sie kochen mit billigem Erdnussöl oder Bratbutter. Teigwaren kennen sie höchstens aus dem Grossverteiler. Fontana ahnt, dass sie bei ihren zukünftigen Kunden viel Aufklärungsarbeit wird leisten müssen.

Ob es ihr gelingen würde, ihre Vorstellungen von italienischem Genuss unter die Leute zu bringen, ist 1989 nicht absehbar. Aber versuchen will sie es trotzdem. Sie steckt sich ein Ziel: «Fünf Jahre musst du durchhalten. Danach kannst du es dir noch einmal überlegen.»

Wenn sie heute von ihren Anfängen erzählt, lacht Fontana viel. Sie sei derart in die Arbeit vertieft gewesen, dass die Jahre einfach an ihr vorbeigezogen seien. Ans Aufhören habe sie dabei keinen Augenblick gedacht, erst recht nicht nach den ersten fünf Jahren: «Ich habe meine Prinzipien und will alles immer weiter verbessern. Nach den ersten fünf Jahren hatte ich das Gefühl, erst richtig begonnen zu haben.»

Also folgt sie weiter ihrer Neugierde, probiert unzählige Sachen aus, nimmt winzige Änderungen an ihren Rezepten vor. Für ihre Ravioli verwendet sie ausschliesslich frische Eier, Mehl aus einer kleinen Mühle, frisches Gemüse, hervorragendes Fleisch. Irgendwann stellt sie fest: Wenn die Pasta perfekt sein soll, muss sogar das Salz von ausgesuchter Qualität sein – zum Beispiel Himalaja-Salz. «Gewöhnliches Kochsalz», sagt sie, «rühre ich schon gar nicht mehr an.»

Dieser unerbittliche Qualitätsanspruch hat in den vergangenen dreieinhalb Jahrzehnten vor allem eines mit sich gebracht: Aufwand ohne Ende. Die meiste Zeit über arbeitet Patrizia Fontana sechs Tage in der Woche. Vor Festtagen oder Ferien verdoppeln sich jeweils die bestellten Mengen. Zu Spitzenzeiten stellen in Fontanas Manufaktur vier fingerfertige Angestellte 150 Kilo Ravioli her – an einem einzigen Tag.

Die Ware geht an Private, an Restaurants und an Lebensmittelgeschäfte in der ganzen Stadt.

Das Kochbuch von Patrizia Fontana inmitten von italienischen Köstlichkeiten.

Nach dem Schock kamen die Fragen

«Ich hatte von klein auf einen grossen Respekt vor dem Lebenswerk meiner Mutter», sagt Olivia Fontana. Trotzdem habe sie – eigentlich! –nie den Plan gehabt, dieses Projekt einmal weiterzuführen. Dafür sei der Betrieb lange zu sehr an die Vorstellungen ihrer Mutter geknüpft gewesen.

Und natürlich habe sie auch ihren eigenen Kopf, sagt Olivia Fontana. Sie liess sich zur Filmemacherin ausbilden und beabsichtigte, sich auf Dokumentationen zu spezialisieren.

«Aber wenn ich am Sonntag bei meinen Eltern zu Besuch war, redeten wir doch ständig vom Laden.» So sei sie dann trotz allem in das Geschäft «hineingerutscht», das sie von Kindsbeinen an aufs Genaueste kannte. 2019 eröffneten Mutter und Tochter das Bistro La Fontana. Es liegt bloss ein paar hundert Meter vom Laden entfernt an der Haldenbachstrasse 2.

So richtig zur Familienangelegenheit sei das Unternehmen aber erst geworden, als ihnen im vergangenen Frühling der Vertrag für den Laden gekündigt worden sei.

Noch heute, mehr als ein halbes Jahr später, regt sie sich auf, wenn Patrizia Fontana an den Schock zurückdenkt. Aber sie beruhigt sich schnell wieder. Die Kündigung habe sie zunächst sehr aufgewühlt: «Ich fühlte mich ausgeliefert und war in den ersten Tagen nur noch wütend.»

Aber dann kam sie ins Nachdenken. Wollte sie immer so weitermachen? Oder musste sie nicht ohnehin irgendwann ans Aufhören denken? Es folgten lange, zum Teil «strenge» Gespräche mit ihrer Tochter. Würde diese den Laden übernehmen wollen? Oder sollten sie das Unternehmen jemand anderem überlassen?

Eine Frage jagte die andere: «Es war eine intensive Zeit», resümiert Olivia Fontana.

Süsses, Saures, Salziges: Der Name Fontana steht für italienischen Genuss.

Die Arbeit soll noch besser sichtbar werden

Die Antworten kommen nach und nach. Zwar bereitet Olivia Fontana der Gedanke an eine eigene Firma immer wieder schlaflose Nächte. Je mehr Zeit vergeht, desto sicherer fühlt sie sich aber: «Die Arbeit meiner Mutter verdient es, dass jemand sie weiterführt. Ich spürte, dass ich diese Person sein wollte.»

Die Gespräche zwischen Mutter und Tochter werden einfacher – und konkreter. Eine neue Vision entsteht. Und dann wird an der Universitätsstrasse, unweit des Bistros, ein Ladenlokal frei. Es ist grösser als das alte und erst noch an einer Hauptstrasse gelegen, mit einer Tramhaltestelle direkt vor dem Haus.

Mutter und Tochter wissen: Das ist ihre Chance.

So stellt sich die Kündigung als Ausgangspunkt für einen Neubeginn heraus. Der Ärger von einst weicht immer mehr der Vorfreude auf das, was kommen wird: Voraussichtlich im März öffnet der Laden am neuen Standort seine Türen. Ab dann wird Olivia die Geschäfte leiten – mit der Tradition ihrer Mutter im Hinterkopf, aber auch mit eigenen Akzenten.

Es sei ihr zum Beispiel sehr wichtig, dass die Kunden direkt in den Produktionsraum blicken könnten. «Patrizia hat immer für Echtheit und Transparenz gestanden. Diese Werte will ich stärken», sagt Olivia Fontana. Wer bei ihr einkauft, soll sehen, wie die Produkte gemacht werden.

Dass sich ihre Tochter mehr mit Marketing beschäftige als sie, habe sie zuerst nachdenklich gestimmt, sagt Patrizia Fontana. Auch wenn sie zugeben muss, dass die Geschäftswelt heute eine andere ist als 1989: «Ich hatte nie die Zeit, mir zu überlegen, wie man etwas verkauft. Das kann sie besser als ich.»

Mehr über das zukünftige Konzept ist von den beiden im Moment aber nicht zu erfahren. «Ein bisschen muss der neue Ort ja auch eine Überraschung werden», findet Olivia Fontana. Und allzu viel sei auch noch nicht spruchreif. Denn zurzeit warteten sie noch immer auf die Baubewilligung.

Die Arbeit wird ihr nicht ausgehen

Die Fontana-Geschichte geht also weiter. Doch was hat Patrizia Fontana mit ihrer Zeit vor, wenn ihre Tochter an ihre Stelle tritt?

Sie werde natürlich auch weiterhin arbeiten, antwortet sie prompt – wenn auch nicht mehr so viel wie bisher. Sie verstehe ihre künftige Rolle als die einer «besonders erfahrenen Mitarbeiterin». Das Loslassen falle ihr dabei immer leichter.

Vor allem wenn sie mit ihrem Mann in der Toskana weile, könne es vorkommen, dass sie schon gar nicht mehr an den Laden denke.

Ans Essen denke sie aber immer wieder. Und auch daran, ein zweites Kochbuch zu verfassen. Von der Tradition der Scheuchzerstrasse werden die Zürcher, die Fernweh nach Italien empfinden, also noch lange etwas haben.

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